Die Stromleitungen wurden fast überall unter die Erde verlegt und so können sich die Schwalben nicht mehr sammeln. In Stilfs hat der frühere Grundschullehrer Roland Angerer vor einigen Jahren eine Initiativgruppe „Freunde der Schwalben“ gegründet und eine Sensibilisierungskampagne gestartet. In Zusammenarbeit mit der Gemeindeverwaltung und der E-Werk-Genossenschaft wurden 500 Meter Stromleitungen für die Schwalben aufgestellt. Und so können sich die Schwalben wieder versammeln und wenn der richtige Zeitpunkt ist, nach Süden abfliegen. Die Drähte sind Flugschulen für die jungen Schwalben, meint Angerer. Es gibt den Spruch „ Um Maria Geburt gehen die Schwalben furt“. Maria Geburt ist am 8. September, doch als ich am 10. September früh am Morgen in Stilfs war, flogen die Schwalben in Scharen um den Kirchturm herum, dann wieder weg und später kamen sie wieder. Um 7 Uhr war Sonnenaufgang und als ich um halb acht Uhr in Stilfs ankam, saß keine Schwalbe auf den Drähten. Es hängt vom Luftdruck ab, erklärt mir Roland Angerer. Bei Hochdruck fliegen sie herum, um Insekten zu fressen, es ist sozusagen ihr Frühstück oder Mittagessen. Bei Tiefdruck sammeln sie sich auf den Drähten. Ganze Massen versammeln sich, vor allem im September bzw. Oktober vor dem Abflug. „Das ist dann wie Freilichtkino“, meint Gerd Hofer, der Gastwirt vom Dorfgasthaus Sonne. Man kann auf den Bänken sitzen, auf der Straße stehen und den Schwalben zuschauen. Roland Angerer meint, dass Stilfs ein wichtiger Treffpunkt für die abfliegenden Schwalben ist. Auch Schwalben vom Tal kommen nach Stilfs, sie beraten sich, reden miteinander und wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, dann fliegen sie gemeinsam fort. Es geht über das Joch nach Süden. Nur die Schwalben wissen, wann der richtige Zeitpunkt ist. Und im Frühjahr kommen sie dann wieder. Sie sind die Frühlingsboten. Die Volksseele kennt auch dafür einen Spruch: „Um Maria Verkündigung kommen die Schwalben wiederum“. Maria Verkündigung ist am 25. März. Aber in den letzten 20 Jahren kamen sie immer früher, meistens bereits in der ersten Märzwoche, meint Karl Schöpf. Er ist 1939 geboren und verfolgt ein Leben lang den Zug der Schwalben. Die Straßen in Stilfs sind alle geteert oder gepflastert. Die Schwalben finden keine Pfützen mit Lehm für den Nestbau, das ist ein Problem. Viele Hausbesitzer wollen auch keine Nester unter den Vordächern. Das Leben für die Schwalben ist schwieriger geworden. Vielleicht kann eine neue Sensibilisierungskampagne zu mehr Verständnis für die Schwalben führen. Kotfänger an Hausmauern müssten errichtet werden und vielleicht auch Schlamm- und Nasszellen für den Nestbau. Damit es auch in Zukunft ein Freilichtkino gibt und Stilfs weiterhin der Sammelort der Schwalben vor dem Abflug in den Süden bleibt.
Acht Brunnen aus Holz, Marmor und Stein
Das kleine Dorf Stilfs mit 425 Einwohnern hat acht Brunnen und ist damit das Brunnendorf im Vinschgau. Drei der acht Brunnen haben sogar zwei Brunnen übereinander, so dass es eigentlich 11 Brunnen an acht verschiedenen Stellen gibt. Früher waren dort sieben Quellen, die Menschen und Tiere mit Wasser versorgten. Es waren wichtige Treffpunkte. Die Tiere wurden zur Tränke geführt, Kinder holten Wasser von den Brunnen, die Frauen trafen sich, um die Wäsche zu waschen. Die Brunnen verloren ihre Bedeutung, nachdem alle Haushalte fließendes Wasser bekamen und die Waschmaschine Einzug hielt. Die Anzahl der Tiere ging zurück bzw. die Tiere werden in den Ställen getränkt. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurde im Dorfkern von Stilfs eine umfangreiche Dorfsanierung gestartet. Die Straßen wurden gepflastert, Wasserleitungen und das Kanalisationssystem wurden neu verlegt bzw. saniert. Die Stromleitungen wurden unterirdisch verlegt, Hänge wurden entwässert. Außerdem wurde das Brunnenprojekt als Teil der Dorfsanierung geplant und umgesetzt. In enger Zusammenarbeit zwischen Land, EU-Strukturfonds, Gemeinde, Raiffeisenkasse und Nationalpark wurden über 300.000 Euro aufgebracht, um acht neue Brunnen aufzubauen bzw. herzurichten und damit an die historische Bedeutung der Brunnen anzuknüpfen. Fünf Brunnen sind aus Holz, der Brunnen am Widumplatz von Josef Mayr ist aus Laaser Marmor. Auf dem Kirchplatz wurde ein neuer Brunnen aus Stein aufgestellt. 22 Grundschulkinder haben Zeichnungen gemacht und Ernst und Mary Kolt haben die Kinderzeichnungen in Stein gemeißelt. Einen Steinbrunnen aus Granit mit einer Wasserschaukel hat Franz Pichler in einer der vielen Gassen aufgestellt. Einige Brunnen werden mit viel Liebe mit Blumen geschmückt. Nachbarn halten alles sauber und achten darauf, dass alles gepflegt und schön ausschaut. Ein Spaziergang durch die vielen Gassen, vorbei an den Brunnen und Plätzen, ist auch ein Spaziergang durch die Vergangenheit, als Stilfs ein Bergbauerndorf und Knappendorf war. Im Juli 2008 wurde das Projekt Dorfsanierung abgeschlossen. Stilfs erstrahlte im neuen Glanz. Es war ein Projekt, um die Abwanderung zu stoppen und Aufbruchsstimmung im Dorf zu erzeugen. Ganz ist das nicht gelungen. Stilfs kämpft immer noch gegen die Abwanderung. Das Bauen ist kompliziert und teuer und die Arbeitsplätze sind oft weit weg. Viele müssen täglich ins Tal hinaus bis nach Schlanders oder Meran, wo sie ihren Arbeitsplatz haben. Aber die Lebensqualität im Bergdorf Stilfs ist für viele der Hauptgrund im Dorf zu bleiben. Und wer Stilfs um Nikolaus beim „Klosn“ oder zu Fasching beim „Pflugziachn“ erlebt hat, weiß, dass auch die alten Bräuche noch so lebendig sind wie vor 50 Jahren. An diesen Tagen ist nicht nur das ganze Dorf auf den Beinen, auch viele Stilfser, die weggezogen sind, kehren zurück, um die alten Bräuche wieder zu erleben und die Verwandten und Nachbarn zu besuchen. So wie die Schwalben aus dem Süden zurückkehren, um in den Bergen den Sommer zu verbringen.
{jcomments on}