Die Edelkastanie ist typisch für den Mittelvinschgau und prägt das Bild am Sonnenberg. Viele der Bäume stehen auf Boden der Fraktionen, also nicht Privatbesitz, doch der Baum gehört bestimmten Besitzern. Dies sind alte „Stockrechte“, die über Jahrhunderte vererbt wurden und sogar im Grundbuch eingetragen sind. Dies lässt erahnen, welche Wichtigkeit die Kastanie früher für die Bevölkerung hatte.
Nicht zu glauben welch altes Wissen in der Kunst des Kastanienanbaus steckt. Die Geschichte der Kastanie führt viele Jahrhunderte zurück. Noch bevor Getreide und die Kartoffel ihren Siegeszug antraten, brachten die Römer den Kastanienbaum zu uns. Aus dem Mittelalter stammen die ersten schriftlichen Nachweise, wo vom „Chestenboum“ die Rede war. Es gibt alte Gerichtsurteile, aus denen hervorgeht, wie Bauern bestraft wurden, weil sie ohne Absprache einen Kastanienbaum fällten. Die Kastanienhaine waren wertvolle Besitze und wurden dementsprechend von den Bauern gepflegt, bewässert und gesäubert. Das Laub wurde für die Streu der Tiere genutzt, Ziegen und Schafe beweideten die Gärten. Lange Zeit war „die Kastanie der Brotbaum der Armen“, denn sie galt als wichtige Nahrungsquelle, reich an Eiweiß, Vitaminen und Spurenelementen. Bereits Hildegard von Bingen nutzte die Heilwirkung des Baumes und der Frucht.
Doch die Zeit veränderte sich, Kartoffeln und Getreide wurde eingeführt und vermehrt angebaut, Wale angelegt und das Wasser in Rohren abgeleitet. Zudem zog der Obst und Weinbau ins Land, durch den die Kastanie langsam in den Hintergrund gedrängt wurde. Die Edelkastanie verlor an Wertschätzung.
1906 standen die Kastanienbäume in Amerika kurz vor dem Aussterben, der Kastanienrindenkrebs setzte den Beständen vehement zu und es war nur noch eine Frage der Zeit, wann dieser Befall auch Europa treffen sollte. In den 30Jahren kam er nach Italien und in den 50 Jahren gelangte er nach Südtirol. Ganze Kastanienhaine waren von der Krankheit befallen und viele drohten abzusterben. Bis schließlich das Land mit der Forstbehörde einschritt und drastische Säuberungen vornahm. Wer heute am Sonnenhang den Waalweg entlang spaziert, kann Bäume bestaunen die über 300 Jahre alt sind. Knorrige alte Bäume, mit riesigen verzweigten Kronen, sie könnten so manche Geschichte erzählen. Man mag es kaum glauben, diese Kastanienbäume wurden schon damals veredelt. Wer heute einen jungen Kastanienbaum setzt und veredelt, der folgt einem jahrhundertealten Wissen.
„Der Kestnbam isch a zacher Hund, bevor er verreckt, treib er numol aus“
(Paul Kofler)
Größter aktueller Feind der Edelkastanie ist die Gallvespe die vor Jahren aus Japan eingeführt und 2008 in Terlan zum ersten Mal entdeckt wurde. In Windeseile verbreitete sie sich auf das ganze Land und begann wiederum weite Bestände zu dezimieren. Ein sogenannter „Gegenspieler“, ein Nützling, ebenso eine Vespe, wurde als natürlicher Feind der Gallvespe ausfindig gemacht und vor ca. fünf Jahren ausgebracht.
Langsam kommen diese Populationen zum Tragen und haben mancherorts, wie im Eisacktal bereits eine gute Erfolgsquote erbracht. Wer mit wachen Augen die Kastanienbäume beobachtet, sieht kleine Knöpfe an den Blattansätzen und braunes ausgedorrtes Laub. Dies ist der Schaden der Gallvespe, die dem Baum die Kraft raubt. In 1 bis 2 Jahren erhoffen sich die Bauern einen Sieg über den Schädling, einige italienische Regionen zeigen dies bereits.
In der Kastanie schlummern viele Fähigkeiten, ihre Heilkraft hat bereits Hildegard von Bingen fasziniert. Tinkturen, Honig, Tees und die gebratene Frucht wurden für innerliche und äußerliche Anwendungen genutzt.
„Wer an der Leber leidet, zerstoße
oft die Edelkastanien-Fruchtkerne
und lege sie so in Honig ein und esse
sie oft mit dem Honig und die Leber
wird wieder geheilt“
(Hildegard von Bingen)
Die Kastanie kann bei Magen, Milz und Herzproblemen eingesetzt werden, sowie Erkältungen und Husten. Dr. Bach hat die Edelkastanie als Nr.30 in sein Sortiment aufgenommen, als Sweet Chestnut empfiehlt er sie bei schlechtem Gemütszustand. In der Naturkosmetik finden Kastanienmehl, Honig oder Essenzen aus den Blättern ihren Einsatz. In der Küche erlebt sie eine Renaissance, sei es beim traditionellen Törggelen, als Beilage oder in feinen Desserts.
Wander-Tipp
Kastanienerlebnisweg in Völlan
Büchertipp:
· Kastanien im südlichen Tirol
von Siegfried W. de Rachewiltz (Arunda)
· Die Kastanienbäume sterben na und?
(Südtiroler Obstbaumuseum Lana)
· Kochen und Backen mit Kastanien
von Hildegard von Bingen (Pattloch Verlag)
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