Freitag, 29 Juli 2011 00:00

„Kam priden sda?“ (Wo gehe ich jetzt hin?)

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Menschen - Portrait Bruno Loszach, Prad

s15_1710Bruno stellt einen zuckerüberbackenen Kuchen auf den Tisch. „Gobanza“ heißt das mit Nüssen gefüllte Gebäck, das er kürzlich aus seinem Geburtsort Grimacco in der Provinz Udine mitgebracht hat. In dem 450-Seelendorf an der slowenischen Grenze ist er aufgewachsen. Seine Muttersprache ist slowenisch. Inzwischen spricht er den Vinschger Dialekt. „In Grimacco isch es uns ähnlich ergongen, wia den Südtirolern unterm Faschismus“, sagt er. „Miar hoobm lei  italienische Schual kopp unt zerscht gor nix verstondn.“  Nur einmal in der Woche hielt ein Geistlicher Religionsunterricht in slowenischer Sprache. „Miar hoobm boads nit richtig glernt“, erklärt er. Mit seinen zwei Brüdern unterstützte er seine Mutter in der Landwirtschaft mit einer Kuh, einem Schwein und mehreren Kaninchen. Der Vater arbeitete als Maurer in Metz in Frankreich, weil es im Ort keine Arbeit gab. Er kam nur zu den Feiertagen nach Hause. Viele Männer arbeiteten im Gastgewerbe in der Schweiz.

Als Bruno 19 Jahre alt war, vermittelte ihm ein Bekannter einen Arbeitsvertrag im „Hotel Rosatsch“ in Pontresina. Dieser Vertrag war Voraussetzung, um in die Schweiz einreisen und dort arbeiten zu können. In der Stadt Udine, die er zum ersten Mal sah, bestieg er den Zug und erreichte über Mailand den Ort Boschiavo, wo ihn Schweizer Behörden auf Herz und Nieren prüften. Selbst Blut nahmen sie ihm ab. Am 9. Dezember 1959 ging es dann weiter und er erinnert sich an jedes Detail. Zu prägend war der Weg in die unbekannte Schweiz und die Zugfahrt über den verschneiten Berninapass. Die Rhätische Bahn fuhr zwischen meterhohen Schneewänden hindurch. Alles war weiß und unheimlich. „Kam priden sda?“ (Wo gehe ich jetzt hin?), hämmerte es in seinem Kopf. Die Spannung ließ nach, als er nach der Ankunft am Bahnhof in Pontresina von der freundlichen Chefin des Hotels in Empfang genommen wurde. Als Abspüler und Kellermeister begann er seine Karriere im Gastgewerbe. Unter den 28 Angestellten befanden sich viele Italiener und Bruno konnte sich verständigen. Deutsch, genauer das „Schwizertütsch“ erlernte er nach und nach. Eine Saison folgte der nächsten und er wurde zum Hausmeister und Chauffeur befördert. 1964 verliebte er sich in das Zimmermädchen Sabine Graf aus Prad. Sie lud ihn zu sich nach Hause in den Vinschgau ein. Ein Jahr später heirateten sie. Sie bezogen eine Wohnung in Prad und begannen mit dem Hausbau. „Miar hoobm Schuldn gmocht unt ogstottert“, sagt Bruno. Anfangs bestritten sie gemeinsame Saisonen, dann blieb Sabine bei ihren drei Kindern daheim. 1970 quittierte auch Bruno den Dienst in der Schweiz und begann als Maurer in Prad. Jeder Knopf floss in die Tilgung der Schulden.

Dann verunglückte Bruno bei Spondinig mit seinem Motorrad. Zwei Autos hatten ihn bei Spondinig in die Zange genommen. „I hon lei mea an Zentimeter Plotz kopp“, beschreibt er. Beide Beine waren gebrochen. Über ein Jahr lang war er arbeitsunfähig und kam mit der niederen Versicherungsprämie mehr schlecht als recht über die Runden. Die Sorge war groß, die Schulden nicht begleichen zu können. Schließlich kam er wieder auf die Beine und konnte einer geregelten Beschäftigung nachgehen. Das Paar lebte sparsam und ermöglichte den Kindern eine gute Ausbildung. Die Tochter besuchte die Handelsschule und die Söhne die Universität. Im Jahr 2000 ging Bruno in den Ruhestand und er wollte  diesen mit seiner Frau genießen.

Doch es kam anders. Sabine erkrankte an Krebs. Zu lange hatte ein Arzt die Situation verkannt. Der Tumor im Hals hatte bereits gestreut. Die Diagnose stürzte das Paar und die Kinder in einen tiefen seelischen Abgrund. Es begann eine Odyssee auf der Suche nach Hilfe, von einem Arzt zum anderen. Bruno  begleitete seine Frau durch sechs Chemotherapien. Zehn Jahre kämpfte er mit ihr. Doch im Oktober 2009 musste er Abschied nehmen. Nun ist er allein im Haus. Die Söhne leben in Brixen und Wien. Die Tochter wohnt mit ihrer Familie nebenan und schaut oft vorbei, ebenso die Enkelin Annalena. Immer öfters zieht es Bruno in sein Heimatdorf. Heute leben dort nur noch 25 Menschen. Der Ort hatte nicht das Glück, eine Autonomie zu bekommen wie Südtirol und gefördert zu werden. „Ersch jetzt weart Grimacco  berühmt, weil a Kulturzentrum entsteht“, freut sich Bruno und die slowenische Sprache erfährt die ihr lange verwehrte Anerkennung.
Einst trennte der „Eiserne Vorhang“ die Menschen. Nun ist die unüberwindbare Grenze verschwunden und der Weg ist frei zum Nachbardorf in Slowenien. Inzwischen wird eine grenzüberschreitende Patenschaft gepflegt.
Ein bisschen Heimweh klingt aus seinen Worten, als er erzählt, dass er bei seinem jüngsten Besuch anlässlich des Dorffestes im Juli beim traditionellen „scampegnare“ die drei großen Kirchenglocken anschlagen durfte: „Noch 50 Johr honn i deis iaz wieder gmocht“, strahlt er und schenkt ein Gläschen süßen „Verduzzo“ ein. Auch diesen hat er kürzlich aus Grimacco mitgebracht.

Magdalena Dietl Sapelza

Zeitung Vinschgerwind Bezirk Vinschgau

 


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