Dienstag, 25 August 2015 00:00

„Es isch oft a hort´s Leebm“

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s17 6850Etwas machen die Leute falsch. Wenn jemand auf die Welt kommt, dann feiern sie. Wenn jemand stirbt, dann trauern sie. Eigentlich müsste es umgekehrt sein. Denn der gegangen ist, hat es geschafft. Das sagt der „Olber Hans“, wie er in Schluderns genannt wird. Und er weiß, wovon er spricht. Denn er sitzt seit Jahren im Rollstuhl und wird oft von Schmerzen geplagt. Das Leben stellt ihn tagtäglich vor großen Herausforderungen. 

von Magdalena Dietl Sapelza

Den Humor hat Hans trotz allem nicht verloren und auch nicht den Willen sich täglich in den elektrischen Rollstuhl zu setzen und im Dorf eine Runde zu drehen.

Der Rollstuhl, den er sich selbst gekauft hat, schenkt ihm ein bisschen Freiheit. Einem „Ratscherle“ ist er nie abgeneigt. Hans hat viel zu erzählen, von guten und weniger guten Zeiten. Er wuchs zusammen mit vier Brüdern in Kortsch auf. Die Familie lebte von einer kleinen Landwirtschaft. Hans besuchte bis 1943 die italienische Schule dann die deutsche. „Di Lehrerinnen hoobm olm lai mea Heil Hitler in Kopf kopp“, ärgert er sich. „Inser Gebet isch gweesn: Ein Volk, ein Reich, ein Führer.“ Im Sommer hütete er Ziegen in Allitz und dann Jungrinder auf dem „Gmarhof“ am Kortscher Sonnenberg. Sein Hirtendienst begann am ersten Mai, und zu Allerheiligen kehrte er wieder nach Hause und in die Schule zurück. Nach dem Schulabschluss erhielt er eine Arbeit als Handlanger bei einer Schlanderser Maurerfirma. Weil er sehr geschickt war, bot ihm sein Chef an, Maurer zu lernen. Zur Berufsschule meldete ihn dieser jedoch nicht an. „Lai orbatn, orbatn hot`s ghoaßn“, meint Hans. Mit Schrecken erinnert er sich an den Großbrand in Kortsch in der Silvesternacht 1953. Er saß beim „Wirt“ und spielte Karten als plötzlich jemand schrie: „Es brennt, es brennt.“ Hans stürmte ins Freie und sah die lodernden Flammen, die sich seinem Heimathof näherten. Sofort weckte er seine Eltern und Geschwister. Ihnen blieb gerade noch so viel Zeit, die Tiere ins Freie zu bringen, dann fiel der Hof dem Feuer zum Opfer. Drei weitere Höfe waren betroffen. 56 Personen hatten kein Dach mehr über dem Kopf. Unterschlupf boten Nachbarn und Bekannte. Die Aufräumarbeiten zogen sich hin. Im Frühjahr begann die Familie mit dem Wiederaufbau. Im Spätherbst waren einige Räume notdürftig bezugsfertig. „Mea isch it gongan, dr Tschosch hot gfahlt“, sagt Hans. Um mehr zu verdienen, trat er eine Maurerstelle im Münstertal an. Schon bald leitete er als verantwortlicher Vorarbeiter Baustellen im Engadin. Sein privates Glück fand Hans mit Paula Schiechtl aus Schluderns. Mit ihr wohnte er zuerst in Kortsch. Dann bezog das Paar ein Eigenheim in ihrem Heimatort. Hans freute sich über die Geburt seiner zwei Söhne. Er sah sie meist nur an den Wochenenden. „I hon drfür nit schlecht verdiant“, erklärt er. An den Sonntagen  begleitete er die Schludernser Fußballmannschaft. „Massaggiatore“ wurde er genannt. Denn er war in „Erster-Hilfe“ geschult. 30 Jahre lang war Hans in der Schweiz tätig. Seine Frau arbeitete als Köchin im Schludernser Altenheim. Nach der Pensionierung freute er sich auf einen unbeschwerten Lebensabend mit ihr. Doch es kam anders. Eine zu wenig beachtete Diabetes-Erkrankung bremste die Blutzirkulation in seinem linken Fuß.  2005 musste ein Teil davon amputiert werden.  „Mai linkr Stumpf steckt lei in Schua“, erklärt er. Über neun Monate befand er sich im Meranen Krankenhaus. Seine Frau besuchte ihn jeden zweiten Tag und umsorgte ihn nach seiner Entlassung.
Nach der Amputation traf ihn ein nächster Schicksalsschlag. 2007 starb seine Frau ganz plötzlich nach einem Herzinfarkt. Der Verlust schmerzte. Ein Jahr später versagte auch die Blutzirkulation im rechten Bein. Der Unterschenkel musste  amputiert werden. Kaum war er einigermaßen genesen, stellten die Ärzte einen Tumor an der Schläfe fest. Es folgten Bestrahlungen mit schlimmen Folgen. Teile der Speicheldrüse und der Luftröhre wurden zerstört. Seither lebt Hans mit einer Kanüle im Hals.  2014 musste er auch seinen Sohn Roman zu Grabe tragen, der an Krebs gestorben war. „Deis tut schun olz wea“, sagt Hans. „Es isch oft a horts Leebm.“ Er ist auf Hilfe angewiesen, bemüht sich aber, so viel wie möglich selbst zu erledigen. Die Partnerin seines Enkels steht ihm zur Seite. „Di Tina hilft miar fescht“, betont er. Oft plagen ihn Phantomschmerzen. „Es isch wia verhext. Wea tuat miar deis Stuck, wos nimmr droun isch“, beschreibt er.
Zweimal am Tag besuchte Hans die Gräber seiner Frau und seines Sohnes. „I muaß schaugn, ob olz brennt“, erklärt er. Er jammert selten - oft nur ganz leise. Er nimmt  sein Los an und meint: „Irgendwann isch olles vorbei. Miar hoobm olle s`gleiche Ziel. Dr oane erreicht`s friaer, dr ondere spater. Unt selm miaßat ma norr feiern.“

 

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