Dienstag, 03 Februar 2015 00:00

Was machen die Sozialdienste?

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s7 7239Vinschgau - Mit rund 100 MitarbeiterInnen nehmen die Sozialdienste im Aufgabenbereich der Bezirksgemeinschaft Vinschgau den größten Raum ein. Die SozialbetreuerInnen, AltenpflegerInnen, die Sozialpädagogen, SozialassistentInnen, die BehindertenerzieherInnen, die PädagogInnen und die PsychologInnen arbeiten abseits des Rampenlichtes - und verrichten unverzichtbare Dienste im Tal.

von Erwin Bernhart

Wenn mediale Aufmerksamkeit und entsprechendes Rampenlicht gleichgesetzt werden mit Wertschätzung, dann erhalten die Sozialdienste wenig davon.

Dabei sind die Leistungen, die von den qualifizierten MitarbeiterInnen angeboten und erbracht werden, in ihrem gesellschaftlichen Wert nicht hoch genug zu bewerten. Die Arbeit ist nicht technischer sondern menschlicher Natur. „Soziale Themen sind randständig“, sagt die Direktorin der Sozialdienste Vinschgau Karin Tschurtschenthaler. Den Doppelsinn der Randständigkeit lässt sie bewusst im Raum stehen. Politische Lorbeeren sind im Sozialbereich rar und deshalb ist die Behandlung eher stiefmütterlich. Die andere Seite ist, dass die Sozialdienste Erscheinungen an den Gesellschaftsrändern abzufedern versuchen - dies durchaus von der Geburt bis ins hohe Alter.

Was sind und was machen die Sozialdienste? Diese Frage ist so einfach nicht zu beantworten. Die organisatorischen Fäden laufen bei der seit 2012 Direktorin Karin Tschurtschenthaler zusammen. Sie koordiniert die Aufgaben, die Leistungen, die Fortbildungen, neue Projekte, pflegt den Kontakt zur Politik in der Bezirksgemeinschaft, klärt mit Generalsekretär Konrad Raffeiner Organisatorisches und Finanzierungsfragen.
Die Sozialdienste sind dort gefragt, wo es Schwierigkeiten gibt. Mit dem neu gestarteten Projekt „Netzwerk frühe Bindung“ etwa, welches gemeinsam mit dem Krankenhaus Schlanders betreut wird, sollen Frauen oder Eltern, bei denen Anzeichen von Schwierigkeiten, psychischer Natur etwa, bereits bei der Geburt eines Kindes begleitet werden. „Je früher wir Eltern Hilfsangebote angedeihen lassen, desto früher erwerben diese die Fähigkeiten zur Selbstständigkeit“, sagt Tschurtschenthaler.
Für Kindergarten und Schule, um den Altersstufen zu folgen, arbeiten die Sozialdienste in Arbeitsgruppen an Themenschwerpunkten. Die AG Kinder- und Jugendschutz wird sich heuer gemeinsam mit dem psychologischen Dienst und Kinderärzten mit dem Thema „Schulverweigerung“ befassen. Diese Arbeitsgruppe ist auch zuständig für minderjährige SchülerInnen, die durch Auffälligkeiten im Verhalten, Anzeichen von Vernachlässigung usw. aus dem Raster der Norm fallen. Die Problemlösung kann, eingebettet im psychologischen Dienst des Sanitätsbetriebes und neuerdings auch in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, bis zum Jugendgericht gehen, welches aufgrund fundierter Einschätzungen entsprechende Dekrete erlässt. In letzter Konsequenz ist das eine Fremdunterbringung eines Kindes außerhalb von seiner Familie. 2014 waren es 20 Kinder, welche fremduntergebracht werden mussten. „Grundtenor und Ziel ist es allerdings, Kinder und deren Eltern viel mehr zuhause zu betreuen und zu unterstützen“, sagt Tschurtschenthaler. Im Jahr 2013 waren es 176 Kinder bzw. Minderjährige, welche in eine sozialpädagogische Grundbetreuung eingebettet waren. Im gleichen Zeitraum waren es 101 Erwachsene, welche aufgrund von Schwierigkeiten, Alkohol etwa oder psychologischer oder sozialer Probleme, ambulante Hilfe aus den Sozialsprengeln Ober- und Mittelvinschgau erfahren haben.
Die Betreuung von Menschen mit Schwierigkeiten, welcher Art auch immer, zehrt auch an den Betreuern. Deshalb sind Fortbildungen, Ruhephasen, Ausgleichsbetätigungen von enormer Wichtigkeit. Auch dieser Schonung der Humanressourcen wird in der Verwaltung der Sozialdienste Rechnung getragen.
Neben dem Ausschwärmen der Mitarbeiterinnen, denn von den rund 100 Angestellten sind etwa 80 Prozent Frauen, für ambulante Dienste, gehören auch fixe Einrichtungen zu den Sozialdiensten. Die Werkstatt und Tagesförderung für Menschen mit Behinderung in Prad etwa, der Arbeitsrehabilitationsdienst für Menschen mit psychischer Erkrankung in Latsch, die Wohngemeinschaft für Menschen mit psychischer Erkrankung in Laas, der Treffpunkt für Menschen mit psychischer Erkrankung in Schlanders. „Für Menschen mit Behinderung bestehen derzeit in Prad und in Schlanders keine Wartelisten“, sagt Tschurtschenthaler. Dieser Dienst sei gut abgedeckt. Ein größeres Thema sind die psychischen Probleme in der Bevölkerung. Tschurtschenthaler macht zwei Themenfelder aus: Menschen im mittleren Alter, die aufgrund der Wirtschaftskrise aus dem Arbeitsmarkt fallen und schwer vermittelbar sind, fallen oft in ein tiefes Loch und werden von den Sozialdiensten aufgefangen.
Noch gravierender ist die Zunahme von Jugendlichen und von jungen Menschen mit psychischen Problemen. Schizophrenie, Autismus, Menschen, welche offensichtlich mit dem steigenden Druck der Gesellschaft nicht oder kaum zurecht kommen, wagt Tschurtschenthaler eine Diagnose, welche durch Studien belegt ist.

Zuspruch findet eine Einrichtung für Senioren: die Tagespflegeheime. In Prad wird seit zwei Jahren in der Wohngemeinschaft  St. Antonius  betreutes Wohnen angeboten, in Konvention mit der Gemeinde Prad. Ein Mitarbeiter der Sozialdienste ist vor Ort und kümmert sich um Wünsche und Bedürfnisse der Senioren. „Das kommt gut an“, sagt Tschurtschenthaler. Eine Bezugsperson vor Ort sei für den Erfolg von Seniorenwohnungen unabdingbar. Die Angst, allein gelassen zu sein, sei ansonsten zu groß. Zudem wird das Tagespflegeheim in Prad, welches 5 Öffnungstage in der Woche hat, immer stärker von den Senioren in Anspruch genommen. Im März 2015 wird in Martell mit 12 Wohnungen ein betreutes Wohnen gestartet.
In den Seniorenheimen von Mals, Latsch und Schlanders unterstützt die Bezirksgemeinschaft  finanziell das Tagespflegeheim: Senioren aus dem Einzugsgebiet können sich dort in offener Runde treffen, 5 Mal die Woche in Latsch und fünfmal die Woche in Mals.
In den Sprengeln von Mals und von Schlanders ist die finanzielle Sozialhilfe angesiedelt. Auch dieser Bereich gehört zu den Sozialdiensten im Vinschgau.
Den wohl größten Bereich bei den Sozialdiensten nimmt die Hauspflege ein. 40 Mitarbeiterinnen sind täglich unterwegs, um stundenweise Menschen zu Hause zu pflegen, nachzuschauen, Hilfestellungen zu geben. Dieser Dienst, der jederzeit abrufbar und in den Sozialsprengeln anzumelden ist, ist kostenpflichtig und wird einkommensabhängig berechnet. Eine Ganztagsbetreuung ist nicht vorgesehen. Im vorigen Jahr 2014 wurden 850 Leute im Rahmen der Hauspflege betreut. „Dieser Dienst wird gern und sehr oft in Anspruch genommen“, sagt Tschurtschenthaler. Man bekomme sehr postive Rückmeldungen über die engagierten Mitarbeiterinnen. Die Senioren seien für das Kommen sehr dankbar. Die Hauspflege wird bereits seit Jahrzehnten angeboten und ist mittlerweile eine nicht mehr wegzudenkende Notwendigkeit. Trotzdem geht der Trend in Richtung kürzere Einheiten, in Richtung Rückgang der angeforderten Pflegestunden. Mit dem eingeführten Pflegegeld und der sich stark ändernden Arbeitssituation der Frau im Allgemeinen werden vermehrt Badante angestellt, welche eine Ganztagsbetreuung garantieren. Dieser Umstand ist auch Thema im Haus der Sozialdienste. „Wir arbeiten permanent an der Frage, wie wir unsere Dienstleistungen gut anbieten können“, sagt Tschurtschenthaler dazu. In anderen Bezirksgemeinschaften sei die Hauspflege ausgelagert. Zudem sind Pflegeleistungen auch von anderen, privaten oder genossenschaftlich organisierten Anbietern abrufbar.  

Die Sozialdienste arbeiten in einem stark geknüpften und immer wieder pflegebedürftigen Netzwerk. Ausgehend von der Bezirksgemeinschaft laufen Fäden zu den einzelnen Gemeinden, in die Schulen, die Zusammenarbeit mit der Sanität ist gefragt, mit Basisärzten, mit Psychologen, Psychiatern, mit der Caritas, mit dem Dienst für Abhängigkeiten, mit dem psychologischen Dienst. Tschurtschenthaler wünscht sich eine zusätzliche Einrichtung: Eine Wohngemeinschaft für Menschen mit Behinderung im Obervinschgau. Man sei dabei, eine solche im alten Altersheim von Mals zu installieren.
Die Sozialdienste sind die Lobby für die Stimmlosen. Auch wenn diese Lobby im medialen Getöse oft zu wenig Beachtung oder Gehör findet.

„MitarbeiterInnen zeigen großen Einsatz“

Vinschgerwind: Was ist Ihre Aufgabe im Netzwerk der Sozialdienste?
Karin Tschurtschenthaler: Ich sehe meine Aufgabe in der Koordinierung unserer Angebote, auch in der Bedarfserhebung im Vinschgau. Welche Strukturen wir eventuell noch bräuchten. Vor allem aber liegt meine Aufgabe darin, das Geld, welches wir vom Land Südtirol zugewiesen bekommen, so zu verwalten, dass es auch an jenen Stellen ankommt, wo es gebraucht wird.
Haben Sie das Gefühl, dass dieses Geld in die Gesellschaft gut investiert wird?
Im Moment schon. Aufgrund der Wirtschaftskrise und der damit einhergehenden Umstrukturierungen ist es notwendig, dass man genau hinschaut, dass das Geld gut eingesetzt wird. Und es ist darauf zu achten, dass es keine Kürzungen gibt. Das Geld für Sozialleistungen soll nicht gekürzt werden.
Mögliche Kürzungen beim Krankenhaus haben zu großen Protesten in der Bevölkerung geführt. Wären solche Proteste auch bei Kürzungen bei den Sozialdiensten zu erwarten?
Das hängt vom Bereich ab. Aber Proteste in dieser Größenordnung wären sicher nicht zu erwarten. Weil unsere Dienste eine kleinere Bevökerungsgruppe betreffen.
Die Sozialdienste im Vinschgau sind strukturmäßig gut aufgestellt. Gibt es noch Bedarf?
Bedarf ist im Bereich Menschen mit psychischen Erkrankungen im oberen Vinschgau gegeben. Auch ambulante Betreuungen für zuhause sind noch auszubauen. Auch die Wohnbegleitung, also die Betreuung von Menschen in Schwierigkeiten vor Ort,  ist noch ausbaufähig. Dabei handelt es sich um Unterstüztung bei der Lebensführung, Lebensplanung und auch bei der Freizeitbeschäftigung, die von vier Mitarbeiterinnen betreut werden.
Welcher Bereich in den Sozialdiensten verlangt von den MitarbeiterInnen viel Substanz und Engagement ab?
Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zeigen großen Einsatz und großes Engagement. Alle Bereiche, die von den Sozialdiensten betreut werden, sind sehr komplex und fordern unsere Mitarbeiter, sei es die Arbeit mit Menschen mit Behinderung, mit Menschen mit psychischer Erkrankung oder auch in der Hauspflege. Die Belastung ist sehr hoch.
Mit welchen Maßnahmen werden die psychologischen Belastungen der Mitarbeiter abgefedert?
Mit Fortbildungen, Supervision, Intervision, psychophysischer Wartestand, aber auch mit betrieblicher Gesundheitsförderung unterstützen wir unsere Mitarbeiter in ihrem komplexen Aufgabenbereich. Dies ist auch ein wichtiges betriebliches Ziel.
Welchen Stellenwert nehmen die Sozialdienste im politischen Gefüge der Bezirksgemeinschaft ein?
Wir erfahren sehr viel Unterstüztung vom Präsidenten der Bezirksgemeinschaft und vom Generalsekretär. Die sozialen Themen sind im Vinschgau immer wieder präsent und werden besprochen.

Interview: Erwin Bernhart

 

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