Die Südtiroler Arbeitsgemeinschaft für Vogelkunde und Vogelschutz (kurz AVK) besteht seit 40 Jahren. Viele Vogelschützer, -freunde, -liebhaber beobachten und schützen die Vögel und schicken ihre Beobachtungen an den Gründervater der Arbeitsgemeinschaft, den Meraner Lehrer Oskar Niederfriniger ein, der eine große Datenbank angelegt hat und betreut. Die vielen Beobachtungen sind unter anderem in die Publikation des ersten Vogel-atlasses Südtirol im Jahre 1996 als wertvolle und nachlesbare Informationen eingeflossen und damit allgemein zugänglich geworden. „ornitho.it“ ist hingegen die neue Form der Eintragung von Beobachtungen in eine Internet-Plattform, welche von der Schweizerischen Vogelschutzwarte ausgegangen ist, inzwischen außer in der Schweiz in Deutschland, Österreich, Frankreich, Katalonien gespeist und angewendet wird: Beobachtungsdaten von Tausenden Vogelbeobachtern zu vielen Brut-, Zug- und Standvogelarten sind in Echtzeit abrufbar.
Am Freitag, 7. November d.J. hat die AVK im Südtiroler Naturmuseum in Bozen ihr 40-jähriges Bestehen 1974-2014 gefeiert: Im Rahmen einer Fachtagung wurden in interessanten und hochwertigen Vorträgen neue, großteils noch unveröffentlichte Beobachtungen, Fakten und Erkenntnisse präsentiert.
„Avifauna in Südtirol – Veränderungen in den letzten 40 Jahren“
Den Vortrag von Oskar Niederfriniger möchte ich, auch zur Würdigung Oskars, auf dieser Doppelseite zusammenfassen. Zu Recht ist Oskar Niederfriniger für seine Verdienste um die Vogelkunde und den Vogelschutz in Südtirol im Rahmen der Vierzig-Jahr-Feier der AVK auf Beschluss des Vorstandes von Dr. Leo Unterholzner, ebenfalls Mitglied und Mitarbeiter der ersten Stunde sowie Schriftleiter der AVK-Nachrichten, die Ehrenmitgliedschaft der Arbeitsgemeinschaft verliehen worden.
Kommen und Gehen
Oskar Niederfriniger hat in seinem Vortrag anhand verschiedener Vogelarten nachgewiesen, dass es in Südtirols Vogelwelt ein Kommen und Gehen gibt und in den letzten 40 Jahren Veränderungen im Artenspektrum und in der Individuen-Anzahl stattgefunden haben. Einige Beispiele von Neubürgern oder Verlierern unter den Vogelarten seien kurz zusammengefasst:
Die Wacholderdrossel (Turdus pilaris) ist in Südtirol ein relativer Jungbürger: Erstmals 1969 mit einem Brutnachweis in Tschars nachgewiesen, dürfte sie das Maximum ihres Bestandes in den 90-er Jahren erreicht haben. In den letzten Jahren haben sich ihre Bestände eingependelt.
Die Türkentaube (Streptopelia decaocto) ist in Südtirol seit 1959 nachgewiesen. Wie ihr Artname verrät, ist sie ein Zuzügler aus dem Osten: Dementsprechend beginnen ihre Nachweise in Südtirol vom Osten des Landes her in Toblach, über Bruneck und Brixen. 1990 hat sie bereits alle Haupttalfurchen Südtirols besiedelt.
Der Kiebitz (Vanellus vanellus) ist ein Verlierer: Er braucht offene Ackerflächen. Seit 1970 waren Brutnachweise in Südtirol bekannt geworden so u.a. auch für die Vinschgauer Talsohle zwischen Lichtenberg und Laas. Mit dem Verschwinden der Ackerflächen ist auch der Kiebitz verschwunden: Seit 2009 gibt es für Südtirol keinen Brutnachweis mehr!
Die Feldlerche (Alauda arvensis) hingegen braucht die offene Wiese. Wie der Kiebitz ist sie ein Bodenbrüter und leidet unter dem Schwund dieser Kulturgattung und unter der frühen Mahd, welche zu Gelege- und Brutverlusten führt. Der bekannte und faszinierende Gesang, im Steigflug vorgetragen, ist heute im Vinschgau fast nur mehr auf den Wiesen des großen Plawenner Schuttkegels zu vernehmen. Südtirol weit zieht sich die Feldlerche in höhere Lagen zurück, so auf die Almflächen auf der Seiser Alm und am Ritten.
Der Alpen-Birkenzeisig (Carduelis flammea) war bis 1980 ein Charaktervogel der oberen Wald- und Baumgrenze, der nur in den Wintermonaten zur Futtersuche in die Talsohlen abgestiegen ist. Ab 1980 hat er die Talböden beginnend bei Schlanders auch als Brutgebiet im Frühjahr und Sommer in Höhenlagen zwischen 220 und 800 Metern MH entdeckt. Die neueren Eintragungen von Beobachtungen in die ornithologische Internet-Plattform „ornitho.it“ zeigen für 2014 Verbreitungslücken sowohl in der Talsohle als auch an der Waldgrenze auf.
Die Singdrossel (Turdus philomelos) ist heute der auffälligste Vogel der Obstanlagen. Im Zeitraum 1990-2014 hat sie sich landesweit verbreitet. Seine Gegenwart kündigt der Zugvogel mit dem abwechslungsreichen Gesang an. Der melodiöse, kräftige und phrasenreiche Gesang wird besonders laut in der Morgen- und Abenddämmerung von hohen Singwarten aus vorgetragen. Gegen Süden zum Trentino hin keilt das Vorkommen der Singdrossel aus.
Das Braunkehlchen (Saxicola rubetra) galt schon seit Beginn der Beobachtungen der Arbeitsgemeinschaft für Vogelkunde als Sorgenkind und im Bestand gefährdet. Dem Wiesenbewohner, der als Insektenfresser und Zugvogel von hohen Halmen aus Insekten jagt, ist durch die Entwässerung der Feuchtwiesen, durch starkes Güllen und durch das Roden der Heckenstreifen der geeignete Lebensraum entzogen worden. Der Vergleich der Verbreitung laut Südtiroler Vogelatlas 1996 und ornitho.it-Plattform 2014 zeigt den dramatischen Schwund des Verbreitungsgebietes.
Auch der Neuntöter (Lanius collurio) ist zum Sorgenkind geworden. Während es 1990 in den Heckenlandschaften, an den Rändern von Wiese zu Wald und im Dornstrauchgestrüpp am Vinschgauer Sonnenberg noch gute Bestände gab, sind die Bestandslücken 2014 zunehmende größer geworden. Die Verfrachtung von Insektiziden aus den Obstbaugebieten in der Thermik der Mittagsstunden auch in höhere und entferntere Lagen des Sonnenberges scheint eine Rolle zu spielen, weil die Nahrungskette dieses Insektenfressers ausgedünnt wird.
Der Steinrötel (Monticula saxatilis), ein früherer Charaktervogel des Vinschgauer Sonnenberges ist aus den tiefen Lagen des Sonnenberges völlig verschwunden, auch er dürfte unter der Abtrift der Spritzmittel zu leiden haben. Nur noch in den höheren Bereichen des Sonnenberges zur oberen Waldgrenze hin konnten letzthin vereinzelte Beobachtungen des Steinrötels gemacht werden.
Der Kleinspecht (Dendrocopos minor), dem das Rot des Buntspechtes an der Bauchseite fehlt, ist hingegen ein Neueinwanderer in Südtirol. Im Jahre 1990 gab es für Südtirol noch keine Brutnachweise, ab 1994 konnten sie für die Brunecker Gegend erbracht werden. Typisch für den Kleinspecht ist seine lokale und oft kleinräumige Verbreitung.
Der Graureiher (Ardea cinerea) ist im Südtiroler Vogelatlas von 1996 noch als Durchzügler aufgelistet, in den letzten Jahren ist er auch in Südtirol zum Brutvogel geworden. Für das Jahr 2008 sind 5 Brutplätze in Südtirol belegt und aus den Eintragungen in ornitho.it 2014 ist zu erkennen, dass seine Verbreitung in unserem Land fortgeschritten ist. Es gibt auch Winterbilder und -boebachtungen, aus denen der Graureiher im tiefen Schnee etwa des Pfunderer Tales, an der jungen Falschauer in St., Gertraud in Ulten oder am aufgeweiteten Rambach zwischen Fuldera und Valchava im Münstertal belegt ist.
Der Kormoran (Phalocrocorax carbo) gehört neuerdings zu den Wintergästen Südtirols am Kalterer See und an der unteren Etsch, wo er sich nachts auf Schlafbäume zurückzieht.
Vom Glurnser Altbürgermeister Luis Riedl habe ich die Beobachtung, dass die Dohlen (Corvus monedula) aus den Stadtmauern und von den Dächern von Glurns abgewandert sind; vermutlich fühlen sie sich von den Haustauben gestört. Eine kleine Dohlen-Kolonie brütet noch im Turm der Agumser Kirche von St. Georg.
Der Bartgeier (Gypaetus barbatus) ist dank Wiederansiedlungsprojekt in die Alpen zurückgekehrt und für die nächsten Brutsaisonen sind auch die ersten Naturbruten in den Vinschgauer Bergen zu erwarten.
Von den Felswänden auf die Balken unter den Vordächern unserer Häuser in Dörfern und Städten abgestiegen und damit zum Kulturfolger geworden ist in den letzten 30 Jahren auch die Felsenschwalbe (Ptyonoprogne rupestris).
Auffällig ist weiters das Vordringen der Elster (Pica pica) aus der offenen Heckenlandschaft in den Baumbestand der Hausgärten und Parkanlagen. Elstern sind aber nicht nur Nesträuber von Kleinvögeln, sondern auch Schädlingsvertilger.
Als Brutvögel neu am Haider See ist der Haubentaucher (Podiceps cristatus). Ein Neuankömmling an der Südtiroler Etsch und ihrem Umland ist auch die Mittelmeer-Möwe (Larus michahellis). Neueinwanderer sind auch der Karmingimpel (Carpodacus erythrinus) und der Gänsesäger (Mergus merganser).
Keine Entwarnung möglich
Der Wechsel im Artenspektrum der Vogelarten Südtirols mit Neueinwanderern in den letzten 40 Jahren darf nicht nur beruhigen, sondern er enthält auch eine mahnende Botschaft: Stärker als das Kommen ist das Gehen ausgeprägt! Denken Sie beispielsweise an die Anzahl Schwalben in unseren Dörfern der 50- und 60-Jahre, als es noch unversiegelte Böden mit Lehmpfützen zum Bau eines haltbaren und dauerhaften Nestes und Insekten-Nahrung genug gab. Bleibt die lange schon bekannte Erkenntnis: Es gibt keinen Artenschutz ohne Lebensraumschutz!
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