Auf den Inseln, auf denen Menschen seit uralten Zeiten mit Ausnahme der felsigsten Stücke das gesamte Terrain geformt und bearbeitet haben, ist Satoyama die Rettung der japanischen Artenvielfalt gewesen. In Satoyama-Landschaften lebende Menschen sammelten Jahrtausende lang Feuerholz und stellten Holzkohle her, weideten ihr Vieh und gestalteten die Vegetation so kunstvoll, dass die Fische, Frösche, Libellen, Schmetterlinge, Leuchtkäfer, Heuschrecken Singvögel, Enten, Störche und Falken anlockten und ernährten.
Aber die Kamine der Bauernhäuser wichen in den 60-er Jahren den Ölbrennern. Als der Kunstdünger auf den Feldern Einzug hielt, wurde der Niederwald, der einst Wärme, Futter und Blattmulch für die Reisfelder lieferte, nicht mehr täglich aufgesucht. Pestizide beseitigten die Heuschrecken und Raupen, woraufhin auch die Fisch- und Silberreiher und die majestätischen Schwarzschnabelstörche, denen sie als Nahrung dienten, verschwanden. Betoneinfassungen für Wassergräben zur Drainage der Felder machten Kaulquappen, Schnecken und Würmern den Garaus. Als die Nahrung von Milchkühen und Mastvieh von der Freilandweide auf Importgetreide und Sojafutter umgestellt wurde, verschwanden das Grasland und die Wiesen, die einst die japanischen Städte umgaben und Neubausiedlungen und Golfplätzen entstanden“.
Der das schreibt, ist Alan Weisman, ein US-amerikanischer Wissenschaftsautor, Journalist und Professor für internationalen Journalismus an der Universität von Arizona, in seinem 2013 bei Piper erschienen Buch „Countdown – Hat die Erde eine Zukunft?“
Geht es auch den Alpen als Jahrtausende altem Mosaik von Natur- und Kulturlandschaft so, wie den japanischen Satoyama-Landschaften?
Studienfahrt zur Landwirtschaft in den Alpen
In der heurigen ersten Juliwoche hat eine international zusammengesetzte Journalistengruppe Teile der Zentralalpen bereist, um der alpinen Landwirtschaft und einigen ihrer Nischenprodukte nachzuspüren. Die Informationsreise wurde vom Ständigen Sekretariat der Alpenkonvention in Innsbruck und in Bozen organisiert. Der derzeitige Generalsekretär der Alpenkonvention ist der Österreicher Markus Reiterer. Die Erkundungsreise der Journalisten wurde von den slowenischen Mitarbeiterinnen Simona Vrevc, Vizegeneralsekretärin der Alpenkonvention und selbst studierte Agraringenieurin, und Taja Ferjancic, Projektmanagerin, organisiert, in ihren inhaltlichen Schwerpunkten definiert und begleitet. Die Reiseteilnehmer haben sich zwischen den einzelnen Besuchsorten mit öffentlichen Verkehrsmitteln fortbewegt und am 7. Juli auch den Nationalpark Stilfserjoch besucht, in dem ich sie begleiten durfte. Die Informationsreise hat vom graubündner Puschlav durch das lombardische Veltlin über das Stilfserjoch in den Vinschgau und weiter durch das Etschtaler Obstbaugebiet an die Universität Bozen geführt. Weitere Stationen waren das Eggental, das Wipptal und zum Ende der Reise Innsbruck.
Programmpunkte bei den einzelnen Stationen und Etappen waren etwa Formen der Almsömmerung mit Mutterkuhhaltung und Veredelung von Milchprodukten im Puschlav oder die Erzeugung des „Bitto“ als zertifizierten Käse im Gebiet von Morbegno im Veltlin, die Information über den Nationalpark Stilfserjoch im Gelände an der Dreisprachenspitze auf der Passhöhe und im Abendvortrag im Nationalparkhaus aquaprad. Der Förster Hubert Stillebacher hat als Nebenerwerbs-Imker in Prad seine Bienenstöcke geöffnet und zur Begeisterung der Teilnehmer Einblick in das Innenleben eines Bienenvolkes geboten sowie in seinem Arbeitsraum das Ausschleudern der Honigwaben vorgeführt. Die Obsterzeugung und –vermarktung im Vinschgau war Thema des Besuches bei der VIP. Die praktischen Einsichten wurden abgerundet mit theoretischen Vorträgen und statistischen Zahlenangaben zur Landwirtschaft an der Universität Bozen. Im Eggental wurde den Teilnehmern das Biokistl erläutert. Viele Fragen wurden gestellt und beantwortet, interessante Vergleiche zu den landwirtschaftlichen Produktionsbedingungen und Erzeugnissen aus den verschiedenen Herkunftsländern der Reiseteilnehmer angestellt. Immer auch verbunden mit der Sorge zum Erhalt von Nachhaltigkeit und Artenreichtum, der Produktion gesunder Nahrungsmittel, der Förderung der Regional- und Nischenprodukte und der Einkommenssicherung der Berglandwirtschaft in Randlagen.
Satoyama ist ein japanisches Wort, aber keine japanische Eigenheit: Die Frage nach dem sorgsamen, nachhaltigen Umgang mit Natur, Landschaft, Boden und Ressourcen stellt sich lokal in unseren Alpen genauso wie im großen globalen Rahmen auf unserem Planeten Erde. Begriffe wie der ökologische Fußabdruck im Verhältnis zu den auf unserer Erde verfügbaren Ressourcen werden immer häufiger mit quantitativen Fakten ausgefüllt.
Jon Foley, ein Astrophysiker und Leiter des „Institute of the Environment“ der Universität Minnesota, war 2008 mit 28 Kollegen aus drei Kontinenten zu einer Konferenz in Schweden zusammengekommen. Die Wissenschaftler bekannten, sie hätten das Gefühl in einen Abgrund zu starren: Man brauche unserem Planeten nur auf die eine oder andere Weise ein bisschen mehr zuzusetzen, und die Welt verändere sich auf nie dagewesene, dramatische Weise. Die Wissenschaftler nannten in der Folge neun „planetarische“ Grenzen, jenseits derer es zu einer Phasenverschiebung kommen würde, die sich für die Menschheit als verheerend erweisen könnte.
Die planetarischen Grenzen des Systems Erde
Ich möchte nicht rabenschwarzen Pessimismus verbreiten oder Ängste schüren, aber die neun planetarischen Grenzen möchte ich Ihnen, geschätzte Leserinnen und Leser, am Schluss des heutigen Beitrages als verhaltenshinterfragenden Denkanstoß aufzählen: den Klimawandel, den Verlust der Artenvielfalt, die Störung der globalen Stickstoff- und Phosphorzyklen, den Ozonabbau, die Versauerung der Meere, den Süßwasserverbrauch, Änderungen hinsichtlich der Bodennutzung, Belastung mit chemischen Stoffen und atmosphärische Partikel.
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