Dienstag, 18 Februar 2014 00:00

Auf den Spuren der Schmuggler - Grenzgänger, Pendler, Abenteurer, Überlebenskünstler

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s32 0818von Barbara Wopfner

Wenn Walter Schöpf zurück denkt, schmunzelt er aus den Augenwinkeln, wenn er mir erzählt, wie er seinem Vater bereits als 5-Jähriger beim Schmuggeln half. Viele im Vinschgau haben sich dem Schmuggel in der Zwischen- und Nachkriegszeit  verschrieben.

Die Menschen lebten vielfach von der Hand im Mund, hatten kaum Arbeit, waren aber voller Einfallsreichtum und Kraft. Grenze hatte für sie vielerlei Bedeutung: Grenzerfahrungen, die der Krieg mit sich brachte, Überleben, Armut, persönliche Grenzen überschreiten und da war auch das Leben mit der geografischen Grenze, das auch als Chance gesehen wurde. Geschmuggelt wurde fast alles, was gebraucht wurde: Tabakwaren, Zucker, Kaffee, Maschinen und Vieh.
Grenzpendler waren auch sie damals: junge, kräftige Männer, die die Wälder des Dreiländerecks so gut wie ihre Westentasche kannten. Es war eine Aufgabe, Überleben, Reiz  und Abenteuer zugleich, die sie antrieben, Nacht um Nacht unterschiedliche Waren über die Grenzen von Österreich und der Schweiz nach Italien zu bringen.

Vom Feuerzeug zu Tabak, Saccharin, Kaffe und Vieh….
Walter Schöpf erinnert sich an die Zeit als er ein kleiner Bub war: „Do hots bo ins lei die Cerini gebm und kuane Fuierzuger.“ Diese waren rar, scheinbar sogar verboten, und vielleicht gerade deswegen gefragte Ware. Es gab sie hinter der Grenze und wer wiff genug war, konnte sich damit ein paar Centesimi dazuverdienen. „Mitn Voter bin i mitgongen, epper a 5 Jor olt bin i gwesn. Sell hon i die Lederhousn unkop und vourn hinter der Klopp sein Fachlen gwesen, wou sui mir die Feuierzuiger versteckt hom. Sem hot jo neamad nochgschaug“. So wurde Walter Schöpf mit dem Gewerbe vertraut, wuchs damit auf, wurde gewiefter und erweiterte über die Jahre sein Repertoire.
s32 PizLadWalter Schöpf erzählt von seinen Touren um den Piz Lad, den er nicht nur einmal umwandert oder überquert hat. Für ihn war das damalige „Pendeln“ über die Grenze eine gute Einnahmequelle, vor allem Vieh aus Österreich brachte gutes Geld ein. Tabak, Saccharin und Kaffee holte er aus der Schweiz, hier  - weiter südlich vom Reschen – fanden diese Waren viele Abnehmer. Das meiste kaufte er in „Strada“ im Engadin ein, dort war er gern gesehener Kunde. Die Ware wurde in „Pinggl“ gebunden und kiloweise über die grüne Grenze getragen.  

Mit dem Sarg nach Bozen….
Einmal bot sich Walter Schöpf die Gelegenheit, mit Freunden 100 Kilogramm Kaffee auf einmal zu holen. Das war schon eine körperliche und logistische Herausforderung, diese Aktion musste sorgfältig geplant werden. Forstwege gab es noch keine, quer durch den Wald nutzten sie Routen, welche die Finanzer am wenigsten kontrollierten. Sie starteten in der Nacht, die Dunkelheit bat ihnen einen zusätzlichen Schutz.
Diese 100 Kilogramm Kaffee verpackten sie schließlich in einen Sarg, schmückten diesen mit einem Kranz und verfrachteten so die Ladung gut getarnt bis nach Bozen. Zu helfen wussten sie sich schon, die jungen Vinschger.

Eine Zeit ohne flächendeckendes Telefon, Internet und Handy
…und doch hat es meist geklappt. Die Informationen waren nicht schwer zu bekommen, man half sich gegenseitig und ein Wort, ein Handschlag, das galt für Walter Schöpf und seine Kollegen als Vereinbarung. Man schrieb sich noch keine SMS oder Mails, rief sich nicht an oder hinterließ sich eine Facebooknotiz. Nein, sie kannten andere Kommunikationsmöglichkeiten. Walter Schöpf erinnert sich an die Bäuerin vom Tenders-Hof. Sie hatte für die Schmuggler einen Warndienst installiert, indem sie eine Laterne in das
oberste Fenster ihres Hofes hängte. Das war die Warnung für die Schmuggler, dass Grenzpatrouillen auf Streife waren und sie besser einen Umweg machen sollten. Damals gab es alleine in Graun eine ganze Finanzkaserne, wie viele genau stationiert waren, weiß er nicht, doch 30 waren es bestimmt. Auf den benachbarten Grenzen wurde ebenso stark kontrolliert, die Österreicher trafen ihn sogar mit einem Streifschuss am linken Unterarm. „Selm bin i grennt, durchn Wold sein sie mer noch, ober kriag hom sie mir nit.“

Eine Kuh brachte einen Monatslohn…
In den Jahren nach dem 2. Weltkrieg, war der Handel mit Vieh aus Österreich ein lukratives Geschäft, Vieh konnte nur in den warmen Monaten geschmuggelt werden, erinnert sich Walter Schöpf, denn den Marsch durch Schnee und Eis hätten die Tiere nicht geschafft, zudem hätten die Spuren sie auch verraten. Vieh war im Vinschgau schwer zu kriegen und die Nachfrage war groß. Zweiter Pluspunkt war der günstige Wechselkurs, ein Schilling kostete damals 2,5 Lire. Walter Schöpf brachte mich zunächst ins Rechnen, wer damals fleißig und viel gearbeitet hatte, bekam einen Monatslohn um die 40.000 Lire, eine geschmuggelte Kuh brachte auf dem Markt schon mal das Doppelte, das war dann schon ein rentabler Verdienst. Er erinnert sich mit einem Lächeln an eine Episode, als er eine Nacht in der Finanzkaserne verbringen musste, er wurde des Schmuggelns bezichtigt. An die  geschmuggelte Kuh erinnert er sich noch genau. Sie trug die eingebrannten Initialen ihrer Vorbesitzerin „T.F.“, das T stand für Theresia. Die Finanzwache rief den Tierarzt von Mals, einen  Italiener, an er sollte die Herkunft des Tieres feststellen. Ihm steckte Walter Schöpf 10.000Lire zu und erschwindelte sich so ein „È una vacca italiana“. Das Geschäft hat sich dennoch gelohnt.

Geschmuggelt wurde alles was gebraucht wurde…
Die Nachfrage regulierte das Angebot. Waren wiederum mehrere Soldaten in der Grenzregion stationiert, stieg die Nachfrage an billigeren Zigaretten und Schnupftabak. Seine Familie besaß Wiesen auf der österreichischen Seite, die bestellt werden mussten. Auch das nutzte er zu seinen Gunsten. Einmal sollte er für einen Bekannten ein Gewehr besorgen. Er startete mit „Segnes und Rechen“, die er mit einem großen Tuch zusammenband und über die Schulter warf. Doch er ging nicht zum Heu mähen. Er beschaffte sich das Gewehr, band es zwischen seine Arbeitsgeräte und marschierte wieder unkontrolliert über die Grenze zurück. „Woasch sell hom sie gmuant i bin afn Feld orbatn gwesen“, meint er mit einem Augenzwinkern. Die Zeiten waren hart und man half zusammen, so erzählt er, wie er auf seinen Märschen oftmals alleine startete und dann in Begleitung auf der anderen Seite ankam. Meist waren es heimkehrende Soldaten, denen er unbemerkt über die grüne Grenze verhalf. So begleitete er auf seinen Touren auch Schicksale und half beim Start in ein neues Leben.

INFO
In den Wäldern und steinigen Geländen in den Grenzgebieten des oberen Vinschgaus findet man heute noch viele Zeichen dieser riskanten und kargen Zeit.
Auf geführten Wanderungen lassen sich Schmugglerpfade im oberen Vinschgau wiederentdecken.
Infos dazu bei den Tourismusbüros, z.B:
• Route auf den Piz Chavalatch, eine viel genutzte Route vom Vinschgau ins Münstertal
• geführte Wanderungen durch die Uinaschlucht
• Gaudirennen, wie das Schmuggelerrennen auf die Sesvennahütte, lassen Erinnerungen an damals wieder aufleben.  
Literatur dazu: „Schüttelbrot und Wasserwosser“ erschienen im
Rotpunktverlag
www.schnalstal.com;   www.vinschgau.net


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