In Prad herrscht so etwas wie Aufbruchstimmung: Tatsächlich haben 80 bis 90 Prozent der Prader Tourismusbetriebe vor zwei Wochen schriftlich ihren Austritt aus der Ferienregion Ortlergebiet eingereicht. Bei einer Vorstandssitzung wurden die Austrittsgesuche zur Kenntnis genommen. Und: Ein neuer Tourismusverein „Prad am Stilfserjoch“ ist im August notariell gegründet worden, die Vollversammlung hat den Ausschuss und dieser den Präsidenten bereits bestimmt. Präsident des neuen Vereines ist Alfred Karner, seines Zeichens Chef des Hotel Zentral und seit vorigem Jahr auch Besitzer des Garden Park Hotels. Seit April 2013 ist Karner auch HGV-Ortsobmann. Karner scheint mit seinen knapp 40 Jahren alles eher als ein Heißsporn. Besonnen trifft es wohl besser. Jedenfalls sind seine Ausführungen überzeugend und klar vorgetragen. Ihm zur Seite werden Fabian Rungg als Vizepräsident und Michael Nigg und Karin Wunderer als Ausschussmitglieder stehen.
Karner erklärt den Alleingang der Prader mit geänderten Rahmenbedinungen. Eine Polemik wolle er auf gar keinen Fall. Da ist zum einen die gesetzlich vorgesehene Ortstaxe, die ab 1. Jänner 2014 der Gast bezahlen wird müssen. Die Ortstaxe macht, so hat man es in Prad ausgerechnet, rund 140.000 Euro im Jahr aus. Mit Landesbeiträgen, Sponsorengeldern und anderen Einnahmen rechnen die Prader mit einem Budget von rund 230.000 Euro im kommenden Jahr 2014. Genug, um sich allein als Tourismusverein durchschlagen zu können. Davon ist man jedenfalls überzeugt.
Eine zweite Begründung für den Alleingang sei, sagt Karner, das Vinschgau Marketing. Vinschgau Marketing mit seinem Direktor Kurt Sagmeistger habe, neben der SMG, die Aufgabe, Gäste ins Tal zu bringen. Mit der Bewerbung von Zielgebieten nach außen. Den Pradern sei vor allem der Sommertourismus wichtig. Die Bewerbung für den Sommer wurde bisher etwas vernachlässigt, sagt Karner. Die Betreuung der Gäste vor Ort, das sei wiederum Aufgabe des örtlichen Tourismusvereines. Das könne man stemmen, sagt Karner, mit eigenen Veranstaltungen, mit eigenen Ideen. Und wenn es einen Tourismusverein vor Ort gebe, gelinge die Zusammenarbeit mit Kaufleuten und anderen Betrieben und auch mit der Dorfbevölkerung möglicherweise besser als bisher, weil sich diese damit leichter identifizieren können.
Mit diesen Argumenten, aber vor allem mit dem Argument, dass man die freiwillige Abgabe an den Tourismusverein auf Null reduzieren will, hat eine Gruppe um Karner die Prader Touristiker überzeugt, den eigenständigen Weg - ohne Sulden, ohne Trafoi und ohne Stilfs - zu gehen. Selbst der Prader BM Hubert Pinggera, ursprünglich ein Befürworter des Miteinander in der Ferienregion Ortlergebiet, musste sich aufgrund der überwältigenden Mehrheit argumentativ entwaffnen lassen. Die freiwilligen Beiträge an den Tourismusverein bzw. an die Ferienregion Ortlergebiet sind mit Sicherheit auch Auslöser für den Prader Alleingang. Denn die Ferienregion hat in ihren Kreisen bislang einen freiwilligen Beitrag von rund 25 Prozent des bisherigen angedacht. „Dies könnte sich aber noch ändern“, sagt Wallnöfer. Auch weil man nicht wisse, wie sich die Ortstaxe vor allem zeitlich organisieren lässt. In den Tourismusvereinen landauf landab wird seit Frühjahr über die Auswirkungen der Ortstaxe debattiert. Diese Ortstaxe (von 0,7 bis 1,3 Euro pro Übernachtung) soll von den einzelnen Betrieben an die jeweilige Gemeinde abgeführt werden. Von der Gemeindeverwaltung gelangt dann ein Teil davon zurück zu den Tourismusvereinen und ein Teil - 20 Prozent, wie es im Vinschgau ist, wird an Vinschgau Marketing überwiesen. Der zeitliche Ablauf dieser Prozedur ist bis dato nicht klar und auch deshalb Gegenstand von Diskussionen. Viele Vereine wollen sich finanziell durch die freiwilligen Beiträge absichern - auch um die Überweisungszeit überbrücken zu können. Sonst müssten wohl Kredite aufgenommen werden. In Prad gibt es diese Argumentation augenscheinlich nicht.
Es gibt auch Kritiker, die den Prader Alleingang in Frage stellen. „Mit Speck fängt man Mäuse“, sagen diese. Die Aussicht auf völlige Befreiung der freiwilligen Tourismusabgabe habe viele in Prad zum Schritt in die Eigenständigkeit bewogen. Dies gehe völlig gegen den Trend. Kurt Sagmeister sagt, dass es aus der Sicht des Gastes völlig unerheblich sei, ob es einen eigenen Prader Tourismusverein gebe. „Der Status quo wäre aus der Sicht des Gastes und aus meiner Sicht besser gewesen“, sagt Sagmeister. Wenn ein Miteinander allerdings nicht gehe, sei eine Trennung besser. Wie bei einer Ehe. Sagmeister bringt die Trennungsgeschichte auf den Punkt: „Der bisherige Koordinationsaufwand war wohl höher als der gemeinsame Nutzen.“ Vor allem Sulden möchte ambitioniert in neue Projekte investieren - einen Nationalpark-Höhenweg etwa, oder verstärkte Winterwerbung - und benötigt dafür Finanzmittel. Auch deshalb ist weiterhin der freiwillige Beitrag der Betriebe von enormer finanzieller Bedeutung. Trotz Ortstaxe. „Man wird den Wintersport, auch bei den Einheimischen, besser verankern müssen“, sagt Lukas Wallnöfer. Das sei auch Aufgabe von Vinschgau Marketing.
In der Zielrichtung unterscheiden sich die Prader vom Rest der Ferienregion Ortlergebiet. Die Prader wollen mehr in die Sommerwerbung investiert haben - Sulden will sich dem rückläufigen Wintertourismus mit verstärkter Werbung stellen. In Prad wird die Forderung nach mehr Sommerwerbung verständlich, wenn man sich die zwei gut gehenden Campingplätze - Kiefernhain und Sägemühle - in Erinnerung ruft.
Es sind die unterschiedlichen Vorstellungen im finanziellen Bereich, bei den Zielrichtungen, beim Selbstverständnis eines Tourismusvereines überhaupt, die die Prader aus der Ferienregion drängen lassen. In der Ferienregion ist man überrascht und überrumpelt worden. Im Jahr 2001 sind die Tourismusvereine der Gemeinden Stilfs und Prad fusioniert, Fusionsbeiträge haben gelockt, man hat sich zusammenraufen müssen und nach Verschleiß von mehreren Präsidenten ist man seit einigen Jahren sowohl finanziell insgesamt als auch mit zwei getrennten Bilanzen gut aufgestellt. Das sagen der ehemalige Ferienregionspräsident Heinrich Gapp und der jetzige Präsident Wallnöfer. Das bestätigt im Übrigen auch Alfred Karner. „Das, was die Prader in die Ferienregion eingezahlt haben, wurde auch wieder in Prad ausgegeben“, sagt Wallnöfer.
Was geschieht nun mit den bisherigen Gemeinsamkeiten? Mit dem gemeinsamen Internetauftritt? Mit dem Tourismusbüro in Prad? Mit Drucksorten, Hotelführer usw.? In diesen Punkten soll verhandelt werden. Karner: „Wir streben nicht eine vollkommene Trennung an. Wir möchten eine sachliche Ebene, um die technischen Details besprechen zu können. Der Trennungsprozess ist noch lange nicht abgeschlossen.“
Wallnöfer sieht das vorläufig anders: „Zuerst ist eine gründliche Reinigung vonnöten. Eine saubere Regelung für die Trennung muss stattfinden. Sonst hätt’ eine Trennung ja keinen Sinn. Ich glaube, mit dieser Einstellung alle Mitglieder in der Ferienregion Ortlergebiet vertreten zu können. Die Transparenz werden wir jedenfalls bis zum letzten Tag, den 31.12.2013, aufrechterhalten.“
Die Prader bleiben bis Jahresende Mitglieder mit allen Rechten und Pflichten. Erst mit 1.1.2014 sind sie dann frei und können mit dem eigenen Verein durchstarten.
Der Austritt der Prader aus der Ferienregion Ortlergebiet bringt noch etwas durcheinander: Das mittlerweile etwas austarierte Gefüge zwischen den Vinschger Tourismusvereinen. Alle sind mit entsprechenden Quoten an Vinschgau Marketing beteiligt. Die Ferienregion Ortlergebiet hält mit 23 Prozent die meisten Anteile. Auch weil sie mit rund 560.00 Nächtigungen pro Jahr die nächtigungsstärkste Region ist. Gehen die Prader mit ihren rund 180.000 Nächtigungen aus der Ferienregion Ortlergebiet heraus, bleiben noch 380.000 Nächtigungen in der Wintersportgemeinde Stilfs mit seinem Zugpferd Sulden.
Die Anteile an Vinschgau Marketing müssen demnach neu geregelt werden. Ein mögliches Szenario entwirft Karner: Es könnte sein, dass Prad 8 Prozent Anteile an Vinschgau Marketing erhält. Das sei noch Verhandlungsgegenstand und mache Kopfzerbrechen. Demzufolge würde die Ferienregion Ortlergebiet - dann nur noch aus dem Gemeindegebiet Stilfs bestehend - nur noch mit 15 Prozent beteiligt sein. „Durch den getrennten Weg verliert die Ferienregion Ortlergebiet an Schlagkraft“, sagt Lukas Wallnöfer. Wallnöfer meint primär den Auftritt nach außen, die Präsentation der Region mit dem Ortler, mit dem Stilfserjoch, mit dem Nationalpark, mit dem großen und traditionsreichen Skigebiet Sulden. Allerdings wird die Ferienregion Ortlergebiet, wenn es zu dieser Neuaufteilung der Quoten an Vinschgau Marketing kommen sollte, auch an Schlagkraft nach innen verlieren. Die Durchsetzungskraft für Wünsche, vor allem für die Ausrichtung von Werbemaßnahmen, im Vinschgau Marketing würde geschwächt.