Dienstag, 17 September 2013 12:00

Das Ding an sich - Stillleben im Schloss Kastelbell

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Ad-Maris-Gloriam-1979Auf der Einladung zur heurigen Herbstausstellung wird das Bild eines deformierten Apfels gezeigt. Er wird zum Symbol unserer Welt, die kurz vor der Katastrophe steht. Verkündet diese Verformung Weltuntergang? Das Bild von Gotthard Bonell ist zweifellos ein Vanitasbild unserer Zeit. Untergang und Hoffnung zugleich. Schönheit des Unheimlichen?
Mit den „Stillleben“ nähert sich diese Ausstellung einem auch philosophisch relevanten Kunstthema.


Es geht um Stillleben, wofür in den romanischen Sprachen den Begriff natura morta üblich ist. „Das lässt anklingen, wie anders wir dem Tod begegnen als der Südländer, der, wenn er ein paar leblose Sachen für ein Bild arrangiert, das Ding beim Namen nennt, während wir noch dem ältesten Knochen stilles Leben bescheinigen“, schreibt Reiner Schiestl in einem Aufsatz über die Kraft der Farbe.
Stillleben hat es zwar schon immer und überall gegeben, aber als regelrechtes Konzept gibt es sie erst in der Neuzeit und zwar zunehmend in Verbindung mit der Entwicklung der abstrakten Kunst. Zu den frühesten Beispielen zählt die Münchner Tafel von Jacopo de Barbari aus dem Jahr 1504, auf der ein totes RainerRebhuhn zusammen mit einem eisernen Handschuh dargestellt wird. Dieses Herauslösen eines Details wird immer häufiger und findet sich als Anregung unter anderem bei niederländischen Malern. Im 17. Jahrhundert wird dann das Stillleben zur selbstverständlichen Bildgattung.
Zwei Jahrhunderte später werden die Impressionisten wiederum alles neu ordnen und durchdenken. Manets „Spargel“ wurde als epochales Bild gefeiert, weil in ihm der Gegenstand nichts, die Kunst alles bedeutete.
Das Stilleben ebnete den Weg, die Kunst von stofflichen Bindungen zu befreien. Wie beim Künstler Eddy von Ferrari. Er verbot bei Kursen des Südtiroler Künstlerbundes seinen Malschülern, sich auf Gegenstände zu konzentrieren: Sie durften nur Farben oder Formen „heraussehen“. Das normale Erkennen wurde also verdrängt, alles musste neu beleuchtet, durchdacht, mikroskopisch erforscht oder farblich aufgelöst werden, wie es die physikalische Optik lehrt. Gesucht wird nach Grundfarben, nach Geometrie, nach dem „Ding an sich“.
Dieser Begriff stammt aus der Erkenntniskritik des Philosophen Immanuel Kant und meint den Unterschied zwischen dem Kern der Wirklichkeit und ihrer äußeren Erscheinung. Das „Ding an sich“ können wir nur erahnen, niemals ganz erkennen. Das gilt für Gott ebenso wie für die Seele, für die Freiheit, für die Unsterblichkeit … und die Schönheit. Aber wie darf Kant mit einer Grenze argumentieren, von der es kein sicheres Wissen gibt? An der Kritik dieser Grenzziehung und ihrer Überwindung entzündet sich die nachfolgende Philosophie.
schererIn ähnlicher Weise eröffnen Grenzgänger die Kunstrevolution der „Moderne“. Cézanne, Van Gogh, Picasso, Braque und viele andere erschaffen neue Szenerien, krönen das Verkrüppelte oder entdecken die Kraft der Stille. Für das 20. Jahrhundert ist hier ein großer Italiener, Giorgio Morandi (1890/1964) zu nennen, dessen Stilleben weltberühmt sind. Diese künstlerischen Meditationen, in denen Farben und Umrisse wie bei erlöschendem Licht verschwinden, wurden lange nicht verstanden und nur belächelt. Er wurde anfangs auch als „Flaschenmaler“ verspottet.
25 Künstler aus Süd-und Nordtirol zeigen Arbeiten aus sechs Jahrzehnten. Darunter befindet sich auch Robert Scherer. Dem hier gezeigten Stillleben entnehmen wir eine ganze Reihe von „kubistischen“ Spielregeln und den ganz neuen Umgang mit Gegenständen des Alltages. Buntes Leben auf der Tischfläche wie auf der Bühne arrangiert. Die Darsteller sind Äpfel, Vasen, Blumen. Alles verliert die vertrauten Umrisse, wird geometrischen Gesetzen untergeordnet. Raum und Zeit sind nur Anschauungsformen des Betrachters, keine objektiven Größen. Neue Gesetze, demokratische Gleichheit auch für Formen und Farben … was würde Kant dazu sagen?
Aus den Niederlanden kennt die Kunstgeschichte die frühesten Vanitas- und Mahlzeitstillleben und aus Italien die frühesten bekannten Früchtestillleben. Ein solches Vanitas-Stillleben – allerdings mit einem Widderkopf statt des üblichen Totenschädels – enthält ein Triptychon von Reiner Schiestl. Er will damit nicht den Triumph des Todes darstellen, wie dies üblich war in vielen älteren Arbeiten, sondern die Idee vom Werden und Vergehen. Es erinnert an Betrachtungsbilder der protestantischen Niederländer. Es fehlen die üblichen religiösen Symbole. Die Dreiteilung rückt das Bild aber trotzdem in die Nähe des Altars und lässt es als mittelalterlich sakral erscheinen.
schloss kastelbell-19-13-XXX„Ad Maris Gloriam“ heißt das Bild von Karin Welponer aus dem Jahr 1979, gemalt in Mischtechnik auf Holz. Es zeigt sieben Muscheln, die vorerst in ihrer dämonischen Schönheit gewürdigt sein wollen. Die Darstellung verlangt aber schon bald nach „mehr“. Die Gehäuse sind eigentlich leer, einsam, verloren und beginnen zu klagen. Es ist ein Vanitasbild. Statt des knochigen Schädels leere Muscheln. Einst bewegten sich darin hirnartige Schnecken, das Wasser genießend und „still das Meer lobend“ – so der Sinn des Titels. In ihnen rauscht noch immer das Epos der Wellen wie aus unheimlichen, „elektrischen Ohren“. Botschaften aus der Welt der Physik, das Muschelhorn unterliegt in seinem Aufbau mathematischen Gesetzen; es handelt sich um sogenannte Fraktale, um Selbstähnlichkeit … sehr geheimnisvoll das alles.
Hans Wielander

Schon sind wir neugierig, welches Thema als nächstes im Schloss Kastelbell behandelt wird. Vielleicht weibliche und männliche „Akte“ – wer traut sich das schon bei uns?

Eröffnet wird die Ausstellung am Sonntag, 22. September 2013. Öffnungszeiten und weitere Informationen zur Ausstellung auf Seite 19 hier im Vinschger Wind.


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