Giro d’Italia: Überraschungs-START im Vinschgau

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Direttore Giro d‘Italia: Mauro Vegni; Mitte: Foto mit dem Champion Hugo Trenkwalder und Florian Peer; rechts:  Aufstellung kurz vor dem Start - im Vordergrund mit rosa Helm Tadej Pogacar Direttore Giro d‘Italia: Mauro Vegni; Mitte: Foto mit dem Champion Hugo Trenkwalder und Florian Peer; rechts: Aufstellung kurz vor dem Start - im Vordergrund mit rosa Helm Tadej Pogacar

von Stephan Gander

Ursprünglich war die16. Etappe des Giro d‘Italia ganz anders geplant: sie hätte von Livigno über das Stilfserjoch (2760 m) als höchsten Punkt des Giro („Cima Coppi“) führen sollen, dann weiter durch den Vinschgau über Bozen nach Gröden zum Monte Pana (1624m). Doch es kam anders: 10 Tage vor dem Start kommt die Information vom Straßendienst: es liegt zu viel Schnee auf den Hängen oberhalb der Stilfserjoch-Straße, die Straßen-Räumung ist zu gefährlich, die Straße bleibt wegen Lawinengefahr geschlossen. Als Alternative wird der Umbrail-Pass (2501 m) gewählt, d.h. kurz rein in die Schweiz und dann weiter in den Vinschgau. Aber auch daraus wird nichts … am Starttag, den 21. Mai 2024 gibt es in Livigno Schneeregen und auf dem Umbrail-Pass Neuschnee bei Minus-Temperaturen. Livigno wünscht, den Start trotzdem durchzuführen: schließlich hatte man für den Ziel und Start-Ort Livigno über 300.000 € bezahlt, es wäre eine gigantische Werbung für den Ort, aber die Radprofis drohen mit Streik: „unter diesen widrigen Bedingungen starten wir hier nicht“.
Jetzt müssen die Organisatoren zaubern: der Etappen-Start wird kurzerhand auf die andere Seite des Berges gesetzt. Zuerst wollte man in Prad starten … dann beim Bahnhof Spondinig … und schließlich entschied sich der „Direttore Giro d’Italia“ Mauro Vegni und sein Team für die ESSO Tanktelle in Eyrs: „dort können sich die Fahrer wenigstens unter dem Dach der Tankstelle schützen“. Die Etappe wird somit von 202 km auf 118 km verkürzt, bei diesem Sauwetter, eine willkommene Entscheidung, aber bei einer Gesamtstrecke von 3.400 km durch ganz Italien, spielt das keine Rolle.
Sofort nach der Entscheidung, bewegt sich der gesamte Giro–Tross von Livigno nach Eyrs. Um 13.00 Uhr ist die Vinschger-Strasse bereits geschlossen und die ESSO-Tanktelle in Eyrs noch auto- und menschenleer, aber innerhalb einer Stunde wird Eyrs für kurze Zeit zum „Giro-Hotspot“. Die Vorboten sind unzählige Polizei-Autos und Motorräder, sie regeln zusammen mit der Ortspolizei den Verkehr. Dann kommen die Medien-Fahrzeuge mit Journalisten und Kameraleuten aus aller Welt, die den „Giro“ für 45 Tage durch halb Italien begleiten. Am Ende die Begleitfahrzeuge mit den Rad-Sportlern: dieses Jahr nehmen 22 Rad-Teams mit 176 Rad-Profis aus 29 Ländern teil. Helli Telser von der Tankstelle: „Wir wurden zwar nicht gefragt, aber freuen uns trotzdem auf diese Überraschung!“
Die größten Stars aus der Welt des Rad-Sports, säumen gleich die Vinschger-Strasse. Namen wie der Giro Top-Favorit Tadej Pogacar (Nr. 191) aus Slowenien, der Brite Geraint Thomas, der Franzose Jean Alaphilippe oder der Columbianer Daniel Martinez, der Australianer Ben Ben O‘Connor, aber auch Jungprofi Georg Steinhauser aus dem Allgäu (D) und Felix Großschartner aus Österreich steigen gleich aus ihren bunten Team-Fahrzeugen und bringen Farbe in den grauen verregneten Tag. Natürlich gehen auch viele italienische Top-Fahrer wie Filippo Ganna, Antonio Tiberti, Damiano Caruso, Davide Ballerini und Mirco Maestri ins Rennen.
Die Nachricht vom „Giro-Start“ in Eyrs verbreitet sich wie ein Lauffeuer, trotz Straßen-Sperre lassen es sich viele nicht nehmen den „Überraschungs-Start“ im Vinschgau hautnah mitzuerleben. Wirklich hautnah, denn in Eyrs gibt es keine Absperrungen, es ist möglich die Rad-Elite der Welt, die sonst unerreichbar ist, hautnah zu erleben. Fotos, Filme und Selfies werden gemacht, auch Glückwünsche für die Rad-Profis und kleine Gespräche. Tadij Pogacar sagt: „Er wäre sehr gerne auf den Stelvio gefahren und tröstet sich – hoffentlich funktioniert‘s nächstes Jahr!“
Für 14.30 Uhr ist der Start angesagt. Die Spannung steigt, die Rad-Profis bringen sich in Stellung. 5 Minuten bis zum Start, jetzt ist auch ein Hubschrauber in der Luft – er begleitet den Giro und liefert schöne Luftaufnahmen von Radrennen und Landschaft: täglich verfolgen Millionen Menschen in 185 Ländern im TV, Radio, Internet und Streaming-Diensten den Giro. Es ist ein ungewöhnlicher Start: es gibt keine Start-Linie, keinen Start-Schuss, es ist ein „fliegender Start“: das Auto des „Direttore Giro d’Italia“ bringt sich in Stellung, eine schwarz-weiß karierte Fahne winkt aus dem Schiebedach des Wagens … START … 176 Fahrer bringen sich auf der regennassen Vinschger-Straße in Bewegung.
Anfangs bleibt die Rad-Gruppe zusammen, so hat sie Schutz vom kalten Vinschger-Wind. Bei Staben gehen 4 Fahrer auf Angriff und lösen sich von der Gruppe: es sind Jean Alphilippe (F) und 3 Italiener: Andrea Piccolo, Mirco Maestri und Davide Ballerini, der übrigens als einziger mit kurzer (!) Hose an den Start gegangen ist. In Bozen geht die Vierergruppe gemeinsam durchs Ziel. Auf dem Weg nach Völs löst sich Jean Alphilippe (F) von der Gruppe und versucht den Alleingang in Richtung Panider Sattel (1437 m). In Gröden ist Giulio Pellizzari auf Siegeskurs, aber kurz vor dem Ziel setzt der Favorit Tadej Pogacar (SLO) zum Angriff an. Er radelt den Monte Pana hinauf, als würde er auf der Ebene fahren und so gewinnt Tadej Pogacar seine 5. Giro Etappe: er behält das rosa Trikot und baut seinen Vorsprung aus.
Herzlichen Glückwunsch Tadej ... nächstes Jahr sehen wir uns auf dem Stelvio/Stilfserjoch!

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