Kultur: „Buabm, fongs jo nicht oun mit die Advokatn!“

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Heindl Hillebrand, Jg. 1931,  heute noch so glücklich wie auf Oberortl. Foto: Hanspeter Hillebrand Heindl Hillebrand, Jg. 1931, heute noch so glücklich wie auf Oberortl. Foto: Hanspeter Hillebrand

„Buabm, fongs jo nicht oun mit die Advokatn!“ An uns Minderjährige gerichtet, war dies das belehrende Schlusswort unseres beauftragten Naturnser Rechtsanwaltes Adolf Kristanell anlässlich des Prozesses zwischen den Gutsbesitzern auf Juval und unserer Familie Hillebrand. In der Anklage von 1950 lesen wir, dass wir, die Pächterfamilie, die Vertragskündigung seitens des Gutsbesitzers nicht angenommen und Letztgenannter als Abfertigung alles Vieh nachträglich gepfändet hat. Nachts haben wir heimlich unsere Heuballen ins Tal gebracht und mit dem Verkaufserlös die Gerichtskosten bezahlt.

Von Ulten zum Unterrainhof am Naturnser Sonnenberg und dann auf Oberortl angekommen, mit 2 Stiefkindern, 9 Kindern, später 10, (Alter 17 bis später Neugebore) beginnt hier alles im Jahr 1939 mit dem Abschluss eines Bodennutzungsvertrages (nicht Pachtvertrag) mit Schlossbesitzer W. R. Rowland. Weil unser Vertragspartner noch im selben Jahr aus uns unbekannten Gründen Juval verlässt, findet die Vertragsverlängerung später mit dem beauftragten Verwalter statt, alles zu günstigem Pachtzins. Von der Geschichte der prähistorischen Siedlung, der Kupfer- und Eisenzeit, dem Wert der mittelalterlichen Bausubstanz mit gotischer Stube wissen wir nichts.
Was wir hier vorfinden? Das Wohnhaus ist nicht in bestem Zustand, das Futterhaus samt Stallungen ist leer, die aufgelassene Hühnerfarm (600-700 Hühner) wird als Stall für Hennen und Ziegen genutzt. Anfangs gibt es nur Kerzenlicht und Petroleumlampen. In Luftlinie ist Juval keine zwei s28 Foto 4 Die alte WaalerhuetteKilometer vom Schnalstalkraftwerk - 1914 in Betrieb gesetzt - entfernt. Trotzdem dauerte es drei Jahrzehnte, bis dort oben der Strom installiert werden kann.
Nicht mehr in Betrieb ist die Zubringerseilbahn, welche Oberortl mit dem oberen Burghofraum verbindet. Eine Transportseilbahn führt von Oberortl ins Tal in die Gegend des heutigen Vinschger Bauernladens.
Von Staben aus führt ein steiler, einstündiger Fußweg zum Hof. An einen Fahrweg hat man zu dieser Zeit noch nicht gedacht. Juval war 1928 auf Grund eines Dekrets der Präfektur Bozen zusammen mit Tschars, Galsaun, Kastelbell, Marein, Spineid, Latschinig, Freiberg, Tomberg und Trumsberg der neuen Großgemeinde Kastelbell-Tschars zugeordnet worden.
Der Hof profitiert von einem jahrhundertealten Bewässerungssystem, dem Tscharser Schnalswaal. Mitbeteiligt ist man durch das Ableisten von Tagschichten zur Instandhaltung, deswegen bezugsberechtigt für das Ableiten von Wasser in die Hoftschött.
In der Zwischenzeit steht wieder Vieh im Stall, 12 Rinder, 2 Schweine, 20 Schafe, 20 Ziegen, im Sommer aufgetrieben auf verschiedene Almen. Etwas Viehhandel bringt Geld für die Bezahlung des Pachtschillings. Kritiken für unser Tun und Lassen gibt es nicht und zu essen haben wir.

Wir spüren nichts vom Krieg, oben im Schloss ist Bewegung. Eine Zeitlang ist die Rede von Leuten der Deutschen Wehrmacht mit Bekleidungslager und dann von italienischen Kriegsgefangenen. Anfangs heißt Schulbesuch den zweimaligen täglichen Marsch nach Staben, dann wird beim unteren Schlossbauer eine Klasse eingerichtet.

Im Winter schlafen wir Kinder in den Kammern auf dem Dachboden, neben uns allerlei Grempl und gefüllte Brotrahmen. Jährlich 2-3 mal wird Brot gebacken, jeweils 200 Paarlen.
Wanzen sind Blutsauger, deswegen schlafen wir im Sommer lieber auf dem Heu. Auf dem Großacker bauen wir an: Erdäpfel, Korn, Plentn und Weizen.

Die Brüder Heindl und Toni erzählen weiter: Olm isch eppas zu tian fir ins Kinder: afn Poppele schaugn, Pulla Pulla (die Hennen) und in Tschutter (ohne Muttertier aufgezogenes Lamm) fiatrn, strieglen, tränkn, Gros und Hai richtn, worpm, ausmistn, ströibm, Ströibkrahln, kübltraibm, Palln raitrn, Viech hüatn van Juni bis Ollerheilign. Miar derfn ober a bockn, Hai hupfn, Hüttlen bauan, Bachl kearn, af die Schlossknottn kragslan und ollz weard nit gsogg. Melchn tian die Muater und der Voter.

Jedr af sein Plotz, 14 Hungrige mit die aufgstecktn Löffel in Getafel. Wos biatet insre Bauernkuchl? Zaitn zan Formes a Muas. Ausn Gortn: Gelwurzn, Schoadlan, Eardäpfl, Gimmerling, roate Rounan, Krautruabm, Kobis und an grianen Solat.
s28 Foto 2 Oberortl im Somme 1989 FarbeAus der Pfonn, aus der Schüssl oune Taller: an olte Henn in der Supp, a Brennsupp, Milchsupp, Gerstsupp, Gruimpmsupp, Fritattn, Frieglen, Knödel, Gselchts, a Bratl, Würst, Eadräpflriebl, Bluatgreaschtl, gschmolzenen Plentn, Rahm- und Schmolznockn, Muas, Küblmilch, Kiachl, Kropfn, Goggelen.

Olleweil wiedr kimp a Gromp (kaufte Butter und Eier mit Wiederverkauf in der Stadt), die Muatr dorf s`Geld insteckn und derfir ban Kroumr aus Fersentol an Stoff kafn. Gwantr nahnt sie selber und schofwollene Sochn strickn ah. Der Lottr kriag olm eppas. Wenn der Maringgele Luis seine Kroum niederstellt, sein miar olle do. (Kraxe des Wanderhändlers aus Tschars mit Schubladen vielfältiger Kleinutensilien wie Taschenmesser, Rasierklingen, Ringelen, Kettelen, Nadel, Faden, Samen, Feuerzeug usw.)
Das Heu, von Sonne und Luftzug aus der darunterliegenden Felsenschlucht gereift, verströmt Kräuterduft und wird mit der Krax in den Stadel gebracht.
Es gibt hier Spalier-Calvill-Anlagen und Williams, die von den Gutbesitzern gespritzt werden, Spritzmittel sind allerdings in den Kriegsjahren kaum zu kriegen. Keineswegs stört die Abmachung, die Mähzeiten mit Spritzterminen abzustimmen. Zur Erntezeit werden die Äpfel von den Schlossknechten in Klaubsäcken über lange „Holzluanen“ vom Baum geholt und jeweils in drei ausgefütterte Körbe gelegt zum Abtransport auf „Schloafn“ (einachsiges Fuhrwerk mit zwei Baumstämmen daran zum Aufladen und Bremsen im steilen Gelände, das von Jungrindern gezogen wird). So zu Tal gebracht, wird das Obst an Hotels in Meran und Umgebung mit eigenem Fuhrwerk geliefert.

Das Selbstversorgerdasein bringt uns Lebensfreude Tag für Tag. Trotzdem müssen wir 1949 Oberortl verlassen, neue Bleibe ist das Bauernhäusl von Schloss Hochnaturns.

Karl Pircher, Naturns

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