Spezial-Bauen: „Ich mag alles, was nicht aufdringlich ist“

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Kordula Hell stammt aus Schlanders, hat in Innsbruck Architektur studiert und ist seit über 20 Jahren freischaffende Architektin Kordula Hell stammt aus Schlanders, hat in Innsbruck Architektur studiert und ist seit über 20 Jahren freischaffende Architektin

Architektur-Interview mit Kordula Hell

Es ist lieb gewordene und gern gepflegte Tradition im Vinschgerwind im Sonderthema „Bauen“ Vinschger Architekten zu einem Gespräch einzuladen. Diese Interview-Reihe wird in dieser Ausgabe mit der Schlanderser Architektin Kordula Hell fortgesetzt.

Interview & Foto: Angelika Ploner

Vinschgerwind: Architektur ist für Sie...
Kordula Hell: ...das ist eine schwierige Frage, wo man Stunden und Tage darüber sinnieren und diskutieren könnte. Das Wort Architektur kommt aus dem Lateinischen und Griechischen und bedeutet so viel wie Baukunst und bereits da könnte man anfangen zu philosophieren: Wann wird Bauen eigentlich Kunst? Und was versteht man unter Kunst? Ist das jetzt die Dekoration, eine schöne, auffällige Fassade? Oder ist es Kunst, wenn man ein Gebäude so plant, dass es sich in die Umgebung einfügt? Ist es die Konstruktion? Die Materialwahl? Ein gut durchdachter Grundriss? Ist Kunst, wenn ein Gebäude modisch ist oder wenn es zeitlos ist?

Vinschgerwind: Anders gefragt: Ist Architektur individuell?
Kordula Hell: Architektur ist individuell und ein weiter Begriff. Architektur ist etwas, dem wir täglich begegnen, mit dem wir immer zu tun haben. Es ist uns ganz nahe, wie Kleidung zum Beispiel, wenn es den eigenen Wohnraum betrifft. Architektur ist etwas, das die öffentlichen Räume prägt und damit Einfluss auf unser Leben, unser Empfinden hat, mehr als uns vielleicht bewusst ist.

Vinschgerwind: Architektur ist demnach auch Alltag.
Kordula Hell: Architektur ist auch Alltag und natürlich auch Ausdruck von der Gesellschaft, der Kultur und von der Zeit, in der wir leben.

Vinschgerwind: Welche Voraussetzungen braucht es für den Beruf des Architekten? Ihre Meinung.
Kordula Hell: Es braucht in erster Linie natürlich Kreativität und eine gute Raumvorstellung, ein gutes Gefühl für Materialien und Oberflächen. Man braucht aber auch Einfühlungsvermögen, psychologische Fähigkeiten...

Vinschgerwind: ... die sind sicher oft ganz wichtig...
Kordula Hell (lacht): ...ja, wir müssen natürlich Wünsche von unseren Kunden herausfiltern und oft haben die Bauherren untereinander ganz unterschiedliche Vorstellungen, wo man eine Gratwanderung machen muss. Aber wovon man sich ganz schnell verabschieden muss, ist die verklärte Vorstellung, dass ein Architekt dasitzt und den ganzen Tag über kreativ ist und schön zeichnet und tolle Ideen hat und plant.

Vinschgerwind: Was braucht man noch?
Kordula Hell: Man braucht technisches und mathematisches Verständnis, man muss sich für Bauphysik interessieren, für Konstruktion... und was momentan mehr und mehr zunimmt, man muss sich mit Gesetzen und Bürokratie herumschlagen. Das neue Raumordnungsgesetz hat uns derzeit im Griff, auch die digitale Einreichung.

Vinschgerwind: Das neue Raumordnungsgesetz ist jetzt seit gut einem Jahr in Kraft und muss laufend nachgebessert werden.
Kordula Hell: Ja, es gibt viele Punkte, die noch nicht geklärt sind und es ändert sich dauernd etwas.

Vinschgerwind: Das klingt mühsam?
Kordula Hell: Manchmal ist es mühsam und die schönen Seiten des Architektenberufs bleiben teilweise auf der Strecke.

Vinschgerwind: Wie schwierig ist es in einem Männermetier Fuß zu fassen? Wie behauptet man sich zwischen männlichen Kollegen und Handwerkern?
Kordula Hell: Ich hatte nie große Probleme. Ich glaube schon, dass Frauen am Bau und in der Architektur ernst genommen werden. Mir ist am Anfang meiner Laufbahn und das ist jetzt über 20 Jahre her, einmal passiert, dass ich auf den Bau gegangen bin, um mit einem Handwerker meinen Detailplan zu besprechen und er hat immer in der dritten Person mit mir gesprochen. Was will er mit dem Plan da epper sagen? Was meint er da? Wie will er das haben? So als ob ich die Mittelsfrau wäre, der Stift sozusagen.
Ansonsten muss ich sagen, hab ich nie schlechte Erfahrungen gemacht. Der Umgangston der Handwerker auf der Baustelle ist mit Architektinnen auch recht fein, da reissen sie sich sehr zusammen.
Bereits damals, als ich in Innsbruck angefangen habe Architektur zu studieren, waren die Hälfte der Studenten Frauen. Mittlerweile sind in Italien der Frauen- und Männeranteil in der Architektur sehr ausgewogen. In Österreich schaut‘s damit schlechter aus.

Vinschgerwind: Hat sich in den vergangenen 20 Jahren etwas verändert im Umgang mit Architektinnen?
Kordula Hell: Ich werde heute weniger oft gefragt, ob ich Innenarchitektin bin, also für Möbel, Stoffe, Vorhänge, Dekorieren zuständig. Anfangs wurde ich oft noch groß angeschaut, wenn ich erklärt habe, dass ich in erster Linie für das Gebäude selbst zuständig bin.

Vinschgerwind: Worin unterscheiden sich Architektinnen von Architekten? Oder anders gefragt: Unterscheidet sich ein Bau aus der Feder einer Architektin von jenem eines Architekten?
Kordula Hell: Wenn ich ein Klischee bedienen möchte, würde ich sagen: Frauen planen praktischer. Fenster ist da mein Stichwort. s56 Haus AFrauen bauen ein Haus so, dass man die Fenster putzen kann und Männer gehen da eher auf Optik und Fassade. Spaß beiseite. Man kann einen Bau sicher nicht an Mann oder Frau festmachen. Also, dass Frauen grundsätzlich eine andere Formensprache haben, glaube ich nicht. Jeder hat seine Fähigkeiten und Begabungen. Es gibt Männer mit zwei linken Händen und technisch begabte Frauen. Wenn man einen Unterschied sehen möchte, dann vielleicht den, dass Männer eher sichtbar sind, mehr Außenwirkung haben, die sensationelle, große Architektur machen. Das ist aber weniger wegen unterschiedlicher Fähigkeiten, sondern hat meiner Meinung nach sehr viel mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu tun, diesem Jonglierakt, mit dem Architektinnen konfrontiert sind und Architekten weniger.

Vinschgerwind: Wie sieht Ihr persönliches Traumhaus aus? Wie wohnen Sie selbst?
Kordula Hell: Ich hab mir als mein Sohn auf die Welt gekommen ist, in meinem Elternhaus in kürzester Zeit eine Wohnung umgebaut und an unsere Bedürfnisse angepasst.

Die ist seitdem ein ewiges Projekt, ständig in Planung, zumindest im Kopf. Nichtsdestotrotz ist es auch heute schon sehr gemütlich und wir fühlen uns wohl.

Vinschgerwind: Und wie sieht Ihr Traumhaus aus?
Kordula Hell: Mein Traumhaus wäre ein wenig offener mit einer guten Verbindung zwischen Innen- und Außenraum, mit fließenden Übergängen, viel Licht, offenen Räumen und was mir ganz wichtig ist, dass jeder seinen Bereich hat, wo er sich zurückziehen kann.

Vinschgerwind: Woran erkennt man einen Bau von Kordula Hell? Gibt es eine besondere architektonische Handschrift?
Kordula Hell (lacht): Da muss ich etwas ausholen. Ich halte es mit Vitruv, einem Architekturtheoretiker, der im 1. Jhd. vor Christus gelebt hat und der hat niedergeschrieben: Architektur beruht auf drei Prinzipien: Firmitas, Utilitas und Venustas. Firmitas bedeutet Festigkeit, also geht es um die Stabililtät, um die Konstruktion, um Materialien, die den Anforderungen entsprechen müssen. Utilitas bedeutet, ein Gebäude muss zweckmäßig sein, es muss nützlich sein, es muss funktionieren. Man soll auch den Zweck ablesen können. Und Venustas betrifft die Ästhetik. Ein Gebäude soll auch schön sein, es müssen der Maßstab und die Proportionen stimmen. Und genau diese Prinzipien versuche ich immer umzusetzen. Meine Gebäude sind, glaube ich, zurückhaltend, schlicht und eher unauffällig. Ich mag gerne gerade Linien, klare Kanten und was mir ganz wichtig ist, sind funktionelle Grundrisse. Ich gehe bei der Planung immer von innen nach außen, versuche den Platz so gut wie möglich auszunutzen und keine Flächen zu verschwenden. Was ich auf jeden Fall nicht mache, ist Hochglanz- und Prospektarchitektur.

Vinschgerwind: An welchem Projekt arbeiten Sie gerade?
Kordula Hell: Ich habe derzeit einige Projekte am Laufen, hauptsächlich sind das private Wohnungsbauten: Neubauten, Umbauten, Erweiterungen

Vinschgerwind: Was ist momentan Thema beim Bauen und in der Architektur? Energieeinsparung?
Kordula Hell: Energiesparendes Bauen ist auf jeden Fall ein Thema beim Bauen. Ressourcensparendes Bauen, Bodenverbrauch einschränken, Bauen im Bestand. Was momentan allen unter den Nägeln brennt, ist einfach der Rohstoffmangel, die extrem gestiegenen Preise, die Materialien, die nicht herzubekommen sind, die ewig langen Lieferzeiten.

Vinschgerwind: Der Rohstoffmangel kam fast über Nacht..
Kordula Hell: Ja, das ist momentan wirklich schlimm. Wir bekommen teilweise die Materialien nicht her, nur das, was noch lagernd ist.
Fenster, Küchengeräte haben extrem lange Lieferzeiten. Man ist derzeit fast nicht imstande eine Preiskalkulation zu machen. Momentan gehen die Preise noch nach oben und die Entwicklung ist nicht abschätzbar. Die Firmen müssen natürlich auch nachkalkulieren und können das nicht kompensieren. Das ist eine ziemlich kritische Situation.

s56 Haus PVinschgerwind: Auch für Bauherren, die natürlich mit einem bestimmten Budget kalkuliert haben.
Kordula Hell: Ja, ich weiß von einigen, die überlegen, ob sie jetzt bauen können oder noch abwarten sollen. Abseits davon ist natürlich der 110 Prozent Bonus ein Thema, der mit einem großen Aufwand verbunden ist, das neue Raumordnungsgesetz und die elektronische Bauakte, die uns momentan quält.

Vinschgerwind: Das heißt es muss alles digital eingereicht werden?
Kordula Hell: Ja, die Bauakten reicht man seit einiger Zeit über ein Portal ein. Da klickt man sich durch unzählige mehr oder weniger sinnvolle Onlineformulare und lädt alle Pläne in einer bestimmten Form, digital unterschrieben, hinauf. Wenn irgendwann die Kinderkrankheiten behoben sind, dann funktioniert das auch. Momentan kämpfen wir.

Vinschgerwind: Welchen Tipp haben Sie für angehende Bauherren bei der Wahl des Architekten?
Kordula Hell: Auf keinen Fall nur wahllos Angebote einholen und dabei nur auf den Preis schauen. Die Bauherren sollen auch schauen, wie der Architekt baut, ob ihnen der Stil zusagt. Sie könnten auch mit ehemaligen Bauherren reden, ob sie zufrieden waren mit der Arbeit, ob sie sich wohlfühlen im Gebäude, ob der Kostenrahmen eingehalten werden konnte... Wichtig ist auch, dass eine gute Beratung zum Beispiel wegen der Eigentumsverhältnisse oder wegen möglicher Steuervergünstigungen und Förderungen gemacht wird. Viele Probleme können so bereits im Vorfeld geklärt und geregelt oder ganz vermieden werden. Die Chemie zwischen Bauherren und Architekt muss auf alle Fälle stimmen, denn es ist eine lange Zeit, die man zusammen verbringt. Eine Vertrauensbasis muss entstehen können. Planen ist ein Entwicklungsprozess, bei dem die Ideen der Bauherren und die Ideen des Planers verschmelzen. Die Bauherren sollten Vertrauen in die Fähigkeiten, die Vorstellungskraft und das Urteilsvermögen ihres Architekten haben.

Vinschgerwind: Wie gehen Sie an ein Projekt heran?
Kordula Hell: Am Anfang stelle ich sehr viele Fragen und versuche herauszufinden, was die Wünsche und wie die Vorstellungen von Wohnen sind. Wie ist der Platzbedarf? Wie ist der Tagesablauf, wie sind die Gewohnheiten? Damit lege ich eine Art Wunschliste an. Dann verschaffe ich mir natürlich vor Ort einen Überblick: Wie ist der Bauplatz? Wie ist der Sonneneinfall? Woher pfeift der Wind und wo ist die Wetterseite, das ist grad im Vinschgau wichtig. Wie ist der Ausblick und wo sind die Einblicke der Nachbarn? Natürlich darf man auch Eigentumsverhältnisse, Grenzen usw. nicht außer Acht lassen. Ich bin mit der Planung meist relativ lange beschäftigt, aber ich habe danach in der Bauphase kaum mehr Änderungen am Plan. Ein Projekt muss sich entwickeln. Diese Zeit sollte man sich nehmen. Mir ist lieber, Änderungen passieren zuerst auf dem Papier, als danach auf dem Bau.

Vinschgerwind: Auf welches Ihrer Projekte sind Sie besonders stolz?
Kordula Hell: Da gibt es einige. Auf jedes, wo mir die Kunden auch nach Jahren noch sagen, dass sie nichts anders haben möchten und noch eine große Freude mit ihrem Bau haben.

Vinschgerwind: Welche Materialien bevorzugen Sie?
Kordula Hell: Ich mag gerne verputzte Mauern, rauhe Putze, Holz, naturbelassene Materialien, Stein, Stahl. Eigentlich alles, was nicht aufdringlich ist.

Vinschgerwind: Ein Blick in den Vinschgau: Welchen Bau finden Sie besonders gelungen?
Kordula Hell: Das fällt mir die Entscheidung schwer, weil es im Vinschgau sehr viele sehr gelungene Bauten gibt. Aber ein Bau, der mich recht früh ziemlich beeindruckt hat, ist das Rathaus in Mals von Architekt Walter Dietl.

Vinschgerwind: Was würden Sie gerne einmal planen? Ein Traum.
Kordula Hell: Ich bin sehr zufrieden mit meinen Projekten. Es ist jener Bereich, wo ich mich gerne bewege. Es wäre schön, wenn ich mein Traumhaus einmal bauen könnte, auf der grünen Wiese, ohne gesetzliche Einschränkungen …. vor allem ohne digitale Einreichung. Aber das Problem ist, dass dieses wohl nie fertig werden würde, weil man bei sich selbst wohl nie zum Punkt kommt zu sagen: So und jetzt passt es.

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