Nationalpark Stilfserjoch: Bartgeier und Steinadler - 32. Gleichzeitigkeitszählung im Oktober 2020

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Juveniler Steinadler  Foto: Roberto Vezzani Juveniler Steinadler Foto: Roberto Vezzani

Wolfgang Platter, am Tag der Hlg. Barbara, 4. Dezember 2020

 

Engagement, Wissen, Können, Begeisterungsfähigkeit und Organisationstalent des Ornithologen Dr. Enrico Bassi ist es zu verdanken, dass auch in Covid-19-Zeiten im Herbst 2020 eine Gleichzeitigkeitszählung von Bartgeiern und Steinadlern stattgefunden hat. Am 3. und 10. Oktober haben 141 passionierte Vogelfreunde und -kenner, Freiwillige, Förster und Aufseher im Nationalpark 113B2Stilfserjoch und in den angrenzenden Gebieten alle Beobachtungen und Sichtungen der beiden Vogelarten in mehreren Stunden erhoben und penibel aufgezeichnet. Am 3. Oktober war das Wetter schlecht und die Sicht eingeschränkt. Am 10. Oktober herrschte gutes Wetter und die Bedingungen für Sichtbeobachtungen waren gut.
Die herbstlichen Gleichzeitigkeitszählungen reihen sich ein in eine nunmehr schon jahrelange Datenreihe, welche mit der Zählung von Bartgeiern und Steinadler von Enrico Bassi im Nationalpark Stilfserjoch im Jahr 2004 begonnen hat. Seit dem Jahr 2008 beteiligt sich auch das Internationale Netzwerk zum Monitoring des Bartgeiers IBM an den Gleichzeitigkeitszählungen. Diese Zählungen werden nunmehr termingleich in den Alpenländern Österreich, Italien und Schweiz durchgeführt. Neuerdings beteiligen sich auch Ornithologen in Deutschland und in Spanien. Inzwischen hat das Zählprojekt 19 Partner unter den Schutzgebieten und Artenschutzorganisationen und die erhobenen Beobachtungen erlauben eine Einschätzung des Bestandes von Bartgeiern und Steinadlern im Alpenbogen und darüber hinaus. Sinn und Zweck einer Gleichzeitigkeitszählung mit möglichst vielen qualifizierten und verlässlichen Beobachtern an ein und demselben Tag bei genau zugewiesenen Beobachtungspunkten und Protokollierung aller Sichtungen ist eine Momentaufnahme aller Individuen in diesem Fall von Bartgeiern und Steinadlern in einem sehr großen Gebiet. Durch ein möglichst dichtes Netz von Beobachtern kann eine quantifizierende Einschätzung von Vorkommen, Altersstruktur und Dichte der beiden Vogelarten auf lokal begrenzter Ebene und durch den Abgleich aller Daten der anderen Projektpartner im internationalen Netzwerk IBM auch auf alpenweiter Ebene vorgenommen werden. Bestehende und bekannte Brutpaare können in ihrem Territorium bestätigt, aber auch neue, sich bildende Paare, nicht territoriale Einzelindividuen von Jungvögeln, noch nicht geschlechtsreife subadulte oder auch solitäre erwachsene Einzelvögel können neu erfasst werden. Diese im Englischen als „floaters“ bezeichneten nicht territorialen Einzelvögel bringen Dynamik, Unruhe, Störung und Aggression in die Reviere und das Brutgeschehen territorialer und revierverteidigender Brutpaare sowohl bei den Steinadlern als auch bei den Bartgeiern.

Der Zähltag 3. Oktober in der Lombardei
Der 3. Oktober war der mit dem internationalen Netzwerk abgestimmte Zähltag für die Herbstzählung 2020. Bei schlechtem Wetter waren die Sichtverhältnisse ab 10.30 bis 13.00 Uhr sehr eingeschränkt und damit der Erhebungszeitraum bis 15.30 Uhr nur kurz. Die insgesamt 106 Beobachter waren auf 52 Beobachtungspunkte verteilt und konnten eine Fläche von 911 km² (bei 1.300 km² Gesamtfläche des Nationalparks Stilfserjoch) abdecken. Es gelangen insgesamt 181 Beobachtungen, davon 98 von Steinadlern und 83 von Bartgeiern. Beim Steinadler konnten von den erwarteten, weil bereits bekannten 37 Vögeln 24 tatsächlich beobachtet werden. Die Dichte der Steinadler als Summe der Brutpaare, unverpaarten Einzelvögeln und Jungen betrug 5 Individuen je 100 km². Für den Bartgeier ergab sich folgende Situation: Erwartete Individuen 16, gesichtete 10, Dichte je 100 km²: 2,8.

Besenderung von Nestlingen
Besonders interessant waren dabei auch die Sichtungen von jungen Bartgeiern und Steinadlern, welche 2020 als Nestlinge aus Naturbruten mit einem GPS-Satellitensender ausgestattet worden waren. Der junge Bartgeier „Penti 2020“, in Erinnerung an den verstorbenen Förster Christian Pentori, ist der erste Bartgeier aus einer Naturbrut, der im italienischen Teil des Alpenbogens 2020 mit einem GPS-Sender ausgestattet worden ist. Daneben wurden 2020 auch vier Jungadler im Nest besendert. Alle fünf besenderten Jungvögel konnten bei der Herbstzählung 2020 noch innerhalb der Grenzen ihres Geburtsterritoriums beobachtet werden. Ihre Sichtungen am Tag der Gleichzeitigkeitszählung reihen sich gut in die mittels GPS erhobenen Satellitendaten der Vormonate ein und ermöglichten eine individuelle Zuordnung der Bewegungsradien der einzelnen Jungtiere.
Die Besenderung von jungen Bartgeiern und Steinadlern als noch nicht flügge Nestlinge aus Naturbruten wurde durch Abseilen von Kletterern in den Geburtshorst der Jungvögel bewerkstelligt. Sie ist Teil einer wissenschaftlichen Zusammenarbeit mit der schweizerischen Vogelschutzwarte Sempach und dem Max-Planck-Institut für Tierverhalten. Die mittels GPS erhobenen Daten ergeben ein genaues Bild zur Raumnutzung, zu Ortswechseln, zur Größe des Territoriums und anderer Parameter. Die Daten verbessern unsere Kenntnis über die jeweils monitorierte Art und rechtfertigen den kurzzeitigen Stress für die Vögel während der Besenderungsaktion.

Der Zähltag 10. Oktober in Südtirol und im Trentino
Am 10. Oktober d.J. wurde bei strahlendem Herbstwetter und somit guten Sichtverhältnissen im Zeitfenster von 09.00 bis 14.30 Uhr die Gleichzeitigkeitszählung von Bartgeiern und Steinadlern im Sütiroler, Trentiner und Brescianer Gebiet des Nationalparks Stilfserjoch und in angrenzenden Gebieten durchgeführt. Dabei konnten durch die Mitarbeit von 83 Beobachtern aus Freiwilligen, Jägern und Berufsförstern 21 Beobachtungspunkte besetzt und eine Beobachtungsfläche von 782 km² abgedeckt werden.
In Südtirol haben sich bei der Herbstzählung 2020 neben Förstern erstmals auch Jäger als Mitglieder des Südtiroler Jagdverbandes beteiligt, so dass über das Gebiet des Nationalparks hinaus im Vinschgau, Passeier, Pustertal, Ahrntal und Wipptal ca. 40 Beobachter im Feld waren. Koordinatoren waren dabei Klaus Bliem und Martin Stadler. Neben den bekannten und erwarteten Individuen konnte im Trentiner Parkgebiet erstmals ein adulter Bartgeier während der Herbstzählung erfasst werden. Von Interesse in Südtirol war die Beobachtung von 3 adulten Bartgeiern, davon zwei im Vinschgau und einer im Passeiertal. Für Passeier wird in den letzten Jahren der fallweise Besuch eines adulten Bartgeiers gemeldet. Außerdem wurden bei der Herbstzählung 202o zwei immature und ein Junggeier gesichtet. Der Jungvogel dürfte das Junge des Bartgeierpaares Schnals gewesen sein.
Insgesamt ergibt sich für die Zählung am 10. Oktober aus den besetzten Beobachtungspunkten BZ, TN und BS folgendes Bild: Steinadler: erwartete adulte Individuen 20, davon gesichtet 17. Bartgeier: erwartete adulte Individuen 4, tatsächlich gesichtet 5, zusätzlich 2 „floaters“. Dichte: 1,14 je 100 km².

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