Montag, 01 Februar 2016 09:26

Nationalpark Stilfserjoch - Die Überraschung „Hintermartell“ 2015 - Das Bartgeierjahr 2015 in den Alpen

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048B1SW Andrea ZannellaWolfgang Platter, am Tag des Hlg. Josef
Freinademetz, 28. Jänner 2016

Im abgelaufenen Jahr 2015 konnten in den Zentralalpen in deren graubündner, lombardischen und südtiroler Tälern insgesamt 15 territoriale Bartgeier-Paare erfasst und beobachtet werden. Im Jahr 2014 waren es 13, im Jahr 2013 11 Paare gewesen. Die Zahl der territorialen Paare steigt damit langsam, aber stetig.


Von den 2015 beobachteten 15 zentralalpinen Bartgeier-Paaren besetzen 6 Territorien im italienischen Teil des Alpenbogens und 9 halten sich im Schweizer Kanton Graubünden auf.
Aus einer methodischen Kombination von Gleichzeitigkeitszählungen und einem statistischen Modell, das an der Universität Bern (Schaub et. alt., 2009) entwickelt wurde, kann die heutige Population von Bartgeiern im gesamten Alpenbogen zwischen den französischen Seealpen und Kärnten mit ca. 227 Einzelvögeln abgeschätzt und angegeben werden. Der östlichste Brutplatz der Bartgeier in den Alpen liegt derzeit in Rauris im salzburgischen Teil des Nationalparks Hohe Tauern.

Die ersten Feilassungen
Zur Erinnerung: Die ersten Freilassungen von jungen, noch nicht ganz flüggen Bartgeiern aus Aufzuchten in Zoos und Zuchtstationen zur Wiederansiedlung des Bartgeiers in den Alpen waren im Jahre 1986 erfolgt. Durch menschliche Verfolgung war der Bartgeier mit dem Abschuss des letzten Vogels im Jahre 1930 in den Alpen ausgestorben. Zu Unrecht im Volksmund als „Lämmergeier“ verschrien, war der Bartgeier grundlos verfolgt worden. Er ist nämlich ein reiner Aasfresser. Als Endglied der Nahrungskette kann der Bartgeier mit seiner extrem sauren Magensäure die Kalksubstanz von Röhrenknochen von Fallwild oder tödlich verunfallten Weidetieren auflösen und sich das fett- und eiweißreiche Knochenmark als Nahrung und Energiequelle erschließen.

Erste Naturbrut 1997
028 01 Foto Matteo Illini11 Jahre nach der ersten Freilassung war es im Jahre 1997 in den französischen Seealpen zur ersten erfolgreichen Bartgeier-Brut eines Paares aus der Gründerpopulation gekommen. Im Jahre 1998 folgte die erste Bartgeier-Brut des Paares „Braulio“ im Nationalpark Stilfserjoch.
Seit 1998 sind von den Geierpaaren in den Zentralalpen bis einschließlich 2015 insgesamt 98 Bruten gezeitigt und dabei 65 Junggeier bis zum Ausfliegen aufgezogen worden. Im gesamten Alpenbogen sind im Zeitraum 1997-2015 insgesamt 148 Junggeier aus Naturbruten flügge geworden. Die Junggeier aus Bruten in den Zentralalpen machen damit 44% der seit 1997 geborenen und flügge gewordenen Bartgeier der Alpen aus. Damit haben sich bis jetzt die Berge der Lombardei und des Kantons Graubünden als geeigneter Lebensraum erwiesen und sie bilden ein wichtiges Zentrum der bisher erfolgreichen Wiederansiedlung des Bartgeiers in den Alpen. Ein zweiter Brutschwerpunkt liegt in den französischen Seealpen.

Überraschung 2015: „Hintermartell“
Groß war die Freude unter den am Wiederansiedlungsprojekt beteiligten Akteuren, aber auch unter den vielen Vogelfreunden und den Martellern selbst, als die Förster von der Parkstation Martell im Winter 2014/15 Paarbildung, Brutvorbereitungen und –verhalten von zwei Bartgeiern in ihrem Aufsichtsgebiet beobachten konnten. Schließlich konnten die Wildhüter auch den Horst ausfindig machen. Zum Schutz der Brut und der Aufzucht des Jungen haben wir unser Beobachtungen während des Brutgeschehens und der Nestlingszeit nicht der Öffentlichkeit bekanntgegeben.
Nochmals groß war dann die Freude, als der „Hintermartell“ benannte Junggeier am 20. Juli flügge wurde und aus dem Horst ausflog.
Bartgeier sind bekanntlich Winterbrüter. Die Eiablage 2015 des Weibchens aus dem Marteller Brutpaar war vor dem 14. Jänner erfolgt. Den 14. Jänner 2015 nehmen wir als Datum für den Brutbeginn an. Der Schlupf des Jungvogels kann aus den beobachteten Huderbewegungen der Altvögel auf den 10. März datiert werden. Die Brutdauer betrug somit 55 Tage. Die Nestlingszeit zwischen Schlupf und Ausfliegen des Marteller Junggeiers 2015 betrug 132 Tage. Sie war damit überdurchschnittlich lang; im Schnitt sind Junggeier mit 120 Lebenstagen flügge.

Ornithologischer Erfolg
416B1 fruttuoso gipetoDer Marteller Junggeier 2015 ist der erste Südtiroler Bartgeier aus einer Naturbrut seit ca. 100 Jahren, was uns freut und unsere Bemühungen im Rahmen des Wiederansiedlungsprojektes belohnt. Das Bartgeier-Weibchen des Marteller Brutpaares hatte im Jahre 2013 erstmals Nestbauverhalten gezeigt, war aber damals allein beobachtet worden. Erste Besuche eines Bartgeier-Männchens konnten im März 2014 beobachtet werden, also erst nach der für die winterliche Eiablage tauglichen Zeitspanne, so dass es 2014 nicht mehr zur Brut kam. 2015 schließlich hat das Paar bei seinem ersten Brutversuch sein Junges erfolgreich aufgezogen und zum Ausfliegen gebracht. Aus unserer Datenbank über die Bartgeier wissen wir, dass dies eine große Leistung der Bartgeier-Eltern ist, brauchen doch die meisten Paare 1-2 Brutversuche, bis sie erfolgreich sind. Unsere  Datenbank gibt für die erste erfolgreiche Aufzucht eines Jungen ein Durchschnittsalter der Bartgeier-Weibchen von 8,4 Jahren aus.
Aus allen oben aufgelisteten statistischen Daten wird klar, warum wir mit Hilfe unseres Aufsichtspersonals überneugierige Fotografen und Filmemacher, Freizeitsportler, Fels- und Eiskletterer, situationsverkennende Vogelfreunde und Alpinisten vom Brutgeschehen ferngehalten haben. Zu störungsanfällig und verletzlich ist eine Bartgeierbrut, zu klein der derzeitige alpenweite Bestand dieser Tiere.

Nochmals zur Erinnerung
Zwischen den Jahren 2000 und 2008 hatten wir in der künstlichen Horstnische im Marteller Schludertal während 5 Freilassungsaktionen insgesamt 11 nicht ganz flügge Junggeier aus Zuchtstationen ausgewildert.

Von Marteller Eltern?
Ob beide Eltern des Junggeiers „Hintermartell“ oder zumindest ein Elternteil aus den 11 freigesetzten Marteller Geiern stammen, wissen wir derzeit nicht, weil uns deren genetische Identitätskarte noch fehlt. Es gibt bei Bartgeiern zwar eine bestimmte Tendenz, zum Freilassungsort oder zum Geburtshorst zurückzukehren. Diese „Heimatverbundenheit“ wird in der Verhaltensforschung als Patrophilie bezeichnet. Nachdem Bartgeier aber erst im 5-7 Lebensjahr geschlechtsreif werden und bis dahin auf der Partnersuche weite Streifzüge durch große Teile des Alpenbogens zurücklegen, können die niedergelassenen Marteller Bartgeier auch gebietsfremde Vögel und Einwanderer sein. Am wichtigsten ist ja doch, dass sich die Bartgeier in Martell so wohl fühlen und die Voraussetzungen vorgefunden haben, dass sie zur Brut geschritten sind und den Jungvogel 2015 erfolgreich aufgezogen und zum Ausfliegen gebracht haben.

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