Dienstag, 30 September 2014 00:00

Gärtner im Dorf

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s6 5951Wie geht es dem Handel im Vinschgau? Welche Sorgen und Nöte beschäftigen die Handelstreibenden, die Geschäfte, die Familienbetriebe? Welche Schritte setzt man im Handels- und Dienstleisterbereich, um Bewusstseinsbildung für das Einkaufen vor Ort? Wie wichtig ist der Tourismus für den Handel? Und wie geht man mit der Schizophrenie um, dass die Leute in Umfragen Geschäfte vor Ort wollen, tatsächlich aber irgendwo anders einkaufen?

von Erwin Bernhart

Dietmar Spechtenhauser, der Präsident des hds im Bezirk Vinschgau,  bedient sich eines Bildes: Durch die Handelstreibenden seien die Dörfer zu pflegen wie Gärten. „Wir sind die Gärnter der Ortschaften.“ Vor Ort gelte es zu punkten.

Durch das Einbringen in die Gesellschaft, in die Vereine, durch soziales Engagement, durch Freundlichkeit, durch Service. Es gehe einfach um etwas Ethik im täglichen Tun, sei es bei uns Kaufleuten, als auch auf der Seite der Kunden. „Wir befinden uns schon in einer sehr eigenartigen Situation in Europa und auch im Vinschgau“, sagt Spechtenhauser. Tatsächlich ist es so, dass die Leute in Umfragen mit überwältigender Mehrheit Ortsgeschäfte befürworten. Eingekauft wird allerdings auswärts. „Nachdem wir ja wissen, dass der Kunde souverän ist, dreht sich natürlich alles um die Frage, wie gut wir imstande sind, den Vinschgerinnen und Vinschgern klar zu machen, dass wir uns ehrlich um die Orte bemühen, dass wir natürlich vom Kauf der angebotenen Produkte leben wollen, dass wir aber versuchen, fair in der Preisgestaltung und fair im Umgang mit unseren Angestellten zu sein und gemeinsam mit unseren Kunden die Zukunft gestalten möchten. Wir wollen auch morgen noch intakte Orte und nicht nur reine Schlafstätten haben - und wir glauben, das will im Grunde ja niemand im Tale“, sagt Spechtenhauser.

Noch geht es dem Handel im Vinschgau „den Umständen entsprechend“, je nachdem, in welcher Ortschaft sich ein Einzelgeschäft befindet. Periphere Ortschaften können sich glücklich schätzen, noch ein funktionierendes Geschäft in der Nähe zu haben. Aber es sei ähnlich, sagt Spechtenhauser, wie mit der Berglandwirtschaft und der Landwirtschaft im Tale.

Den Gemeinden ist es wichtig, dass eine funktionierende Nahversorgung vorhanden ist, sagt der Bezirks-Direktor des hds Walter Holzeisen. Dementsprechend hat die Landesregierung kürzlich entsprechende Förderungen für den peripheren Einzelhandel verabschiedet. Dabei hat eine Studie, der „Nahversorgungsradar“, die das Pustertal und auch den Vinschgau detailliert untersucht hat, Pate für den Beschluss gestanden.  Die Gesuche sind derzeit bereits unterwegs.
Die Förderung soll helfen, den abgelegenen und um das Überleben kämpfenden Dorfläden bei den Strukturkosten unter die Arme zu greifen, sagt Walter Holzeisen. Zudem soll die Förderung für jene bereitgestellt werden, die eine Nahversorgung - ein klassisches Gemischtwarengeschäft - neu aufbauen wollen. In Katharinaberg gebe es eine solche Bestrebung, die der dortige BM Karl Josef Rainer seit seinem Amtsantritt stark herbeigesehnt hat. Vielleicht verhilft dieser Förderanreiz auch Vetzan oder anderen kleinen Ortschaften des Tales zu einer Wiedereröffnung eines kleinen Gemischtwarengeschäftes.

49 Fraktionen im Vinschgau wurden im „Nahversorgungsradar“ minutiös beleuchtet, Marktpotenziale erhoben, auch Marktpotenziale des täglichen Bedarfs. In 17 Fraktionen gibt es kein Geschäft. Die Fraktionen sind zu klein dafür oder sie haben kaum Tourismus. Genau der Tourismus ist ein wichtiger Partner für den Handel vor Ort. Die Zusammenarbeit mit dem Tourismus sei sehr gut, sagt Spechtenhauser. „Man sieht gerade in den Tourismuszentren, dass dort der Kuchen größer ist“, sagt Walter Holzeisen. Durch Gäste kommt mehr Frequenz in die Dörfer und deshalb auch mehr Umsatz. Die Nahversorgung und auch zusätzliche Geschäfte werde so leichter aufrecht erhalten. Mit Vinschgau Marketing ist man noch beim Abchecken, in welcher Form eine fruchtbringende Zusammenarbeit zustande kommen könnte. Der Radgenusstag war so ein Versuch. Den wird es, weil die Touristiker keinen Sinn mehr darin sahen, nicht mehr geben. Andere Formen werden angedacht. „Gäste wollen ja auch nicht, dass Dörfer leer sind“, sagt Spechtenhauser.

Im Grenzgebiet wird der Handel auch durch das Einpendeln, etwa von Schweizer Gästen, belebt. „Da gibt es eine Wechselwirkung“, sagt Holzeisen, „nicht nur unsere  Leute fahren in die Schweiz oder nach Nordtirol, sondern von dort kommen auch Leute zum Einkaufen zu uns.“  Einen schmerzlichen Rückgang vor allem beim Speckverkauf hat eine schweizerische Verfügung gebracht: Seit 1. Juli 2014 ist die Bestimmung in Kraft, dass nur noch 1 Kilogramm Speck und Fleisch über die Schweizer Grenze gebracht werden kann. Bisher waren es bis zu 3,5 Kilogramm Speck und bis zu 1 Kilogramm Fleisch. Massive Einbußen seien dadurch im Obervinschgau zu verzeichnen. „Der Speck als Südtiroler und auch als Vinschger Produkt hat Kunden angelockt. Jetzt ist das weniger der Fall“, sagt Spechtenhauser.
Seit vier Jahren ist Spechtenhauser Bezirkspräsident der Kaufleute. Bei jeder Gelegenheit rüttelt Spechtenhauser „seine“ Kaufleute auf, auf die Orte zu schauen, sich zu engagieren. Mit neuen Ortsausschüssen ortet Spechtenhauser durchaus Aufbruchstimmung, in Schlanders etwa. Oder auch in Latsch, wo auch mit dem neuen BM Helmut Fischer wieder Diskussionsmöglichkeiten und Meinungsaustausch zugelassen wird. Oder auch im aufstrebenden Prad.
In Mals hingegen fehlt - auch aufgrund der Lagerbildung in Sachen Fußgängerzone - ein funktionierender Kaufleute-Orts-ausschuss. Somit ist kein Informationsfluss da. Dass in  Mals Bestrebungen für ein Einkaufszentrum in Bahnhofsnähe vorhanden sind, ist in der Schlanderser hds-Zentrale nicht bekannt.

Auf der Hut ist man dennoch. Denn Einkaufszentren soll es, geht es nach den Wünschen des Präsidenten und wohl auch des Bezirksausschusses, nicht geben. Man weiß allerdings, dass der Latscher Herilu-Betreiber Heinz Fuchs in Eyrs etwas im Schilde führe. Denn ein größerer Grundankauf sei dort über die Bühne gegangen. „Da kommt sicher keine Kinderspielwiese.“ Man wolle wachsam sein, sagt Spechtenhauser.
Spechtenhauser bleibt seinem Credo treu und will im Bezirksausschuss dahingehend sensibilisieren, dass die alteingesessenen Kaufleute in den Ortskernen bleiben sollen. Und nicht den Rufen und den Angeboten in ein mögliches Einkaufszentrum Folge leisten sollen. Eine Filiale in einem Einkaufszentrum bedeutet eine Schwächung des Geschäftes im Ortszentrum, ist sich Spechtenhauser sicher, und man begebe sich dadurch in eine Abhängigkeit. Die Ortszentren sind unser Kapital und die dürfen nicht geschwächt werden. Sonst gebe man, um beim eingangs erwähnten Bild zu bleiben, ein Stück Garten auf.

Holzeisen weist auf den größeren Zusammenhang hin: Es stehe ein neues Raumordnungsgesetz an. Landesrat Richard Theiner hat den Termin, bis dahin ein neues Gesetz verabschiedet werden soll, bereits genannt: 2017. Diese Terminbekanntgabe wird sicherlich die Gemeinden und auch den Handel für die nächsten drei Jahre unter Druck setzen. Zudem ist ein neues Handelsgesetz in Ausarbeitung. Die Liberalisierungswelle vom damaligen Premier Mario Monti - den Handel auch im Gewerbegebiet zuzulassen - ist noch nicht ganz verebbt, so folgt eine ähnliche Liberalisierung von Matteo Renzi. Spechtenhauser und Holzeisen hoffen, dass diese Liberalisierung mit dem neuen Landes-Handelsgesetz zumindest zum Großteil abgewendet werden kann. Der Druck wächst.
Wie geht man im hds mit Filialen um? Die M-Preis-Kette etwa? Die Ketten, wie M-Preis, Aspiag, oder EuroSpin sind alle Mitglieder des hds, sagt Holzeisen. Die Ketten sehen schon die Vorteile beim Verband. Allerdings beteiligen sie sich nicht am lokalen Geschehen, am Dorfleben. „Der hds bleibt bei seiner Linie, bei seinen Grundwerten“, sagt Spechtenhauser, „und das sind vor allem die Familienbetriebe in den Ortszentren, auf die es zu schauen gilt.“ Von den „Großen“ lassen wir uns nicht von diesem Weg abbringen.

Das Naturell Spechtenhausers ist Zuversicht. „Vielleicht kann uns die Konkurrenz helfen, enger zusammenzustehen“, sagt er. Unter Konkurrenz meint Spechtenhauser die Einkaufszentren und das Internet. Vielleicht kann man gerade aufgrund dieser Konkurrenz etwas gemeinsam bewegen.
Bewusstseinsbildung, sprich die Leute zu bewegen vor Ort einzukaufen, ergebe sich aus dem täglichen Tun, aus dem täglichen Bemühen der Kaufleute vor Ort. Für das Frühjahr plane man eine gemeinsame Aktion im Bezirk. Der Bezirksausschuss sei, ergänzt Holzeisen, offen für neue Ideen. Bewusstsein sei bei den Kunden zu bilden und auch bei den Kaufleuten intern. Zu Weihnachten wird man wieder das Weihnachtslicht vor den Geschäften aufstellen und zu Spenden für einen guten Zweck aufrufen. Das „Weihnachtsgeld“ wird es heuer nicht mehr geben. Soziales Engagement und das Einbringen in die Dörfer von Seiten der Kaufleute sind Spechtenhauser wichtig.

Der Garten, von dem Spechtenhauser gesprochen hat, sei zu pflegen und zu hegen.

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