Kultur: Mein Bruder Luis

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Luis Wielander Geschäftsmann i. R. * 23. Oktober 1929   † 1. Juni 2023 Schlanders Luis Wielander Geschäftsmann i. R. * 23. Oktober 1929 † 1. Juni 2023 Schlanders

Die Option, die 1939 von Hitler und Mussolini geplante und beschlossene Umsiedlung der Südtiroler, bestimmte das politische Denkens meines Bruders Luis. Da unsere Eltern für Deutschland optiert hatten und bald auswandern sollten, wurde unser Geschäft im Zentrum von Schlanders langsam aufgelassen und musste nach dem Kriegsende 1945 als Handlung für Gemischtwaren wieder neu aufgebaut werden.
In den letzten Kriegsjahren arbeiteten meine Eltern im „Consorzio agrario“ (früher im Gebäude der Sparkasse). Erst nach der Faschistenherrschaft wurde die Leitung Einheimischen anvertraut; die meist bäuerlichen Kunden sollten endlich in ihrer Sprache reden und antworten können, eine Forderung der langsam wirksam werdenden Autonomie.
Nach Turbulenzen in der Verwaltung des halbstaatlichen Consorzio machten sich meine Eltern selbständig. Der Bruder Luis, der im Consorzio mitgearbeitet hatte, eröffnete am östlichen Ortsende von Schlanders in einem familieneigenen Neubau ein Fachgeschäft mit Artikeln für den Obstbau. In der Hausecke zwischen Hauptstraße und Dr. Karl Tinzl Straße gelegen, trafen sich dort die Kunden und machten mit unserem Vater und dem Luis ein „Ratscherle“.
Es wurde politisiert und an die Rolle Tinzls in Rom erinnert. Als ihm 1923 der Graf Ciano das Memorandum, in dem die Rechte der Südtroler angemahnt wurden, aus der Hand schlug. Darin wurden Forderungen gestellt ... eine Frechheit für einen Faschisten, der vom großen Rom träumte! Dem Tinzl wurde also das Schreibmaschinblatt entrissen, worauf er eine Kopie heraus zog, die ihm aber wiederum entrissen wurde. Auf einer dritten Kopie konnte er endlich den Text zu Ende lesen, worauf die Abgeordneten nur mehr lachten.
Der Betrieb war erfolgreich und so errichtete der Luis zuzsammen mit seinem Freund „Schorsch“ Oberegelslsbacher in Kortsch eine Zweigstelle, beim Gasthaus „Viktl“. Die Kortscher konnten jetzt die nötigen Pflanzenschutzmittel in Kirchennähe ohne lange Umwege bequem einkaufen.
In unserer Großfamilie mit 7 Kindern befand sich der 1929 geboren Luis altersmäßig genau in der Mitte. Die „Mitte“ kennzeichnete auch seinen Beratungsstil zwischen den oft konträren Meinungen; das richtige Maß im Bereich Düngung und Pflanzenschutz musste umständlich besprochen werden. Der Luis war 8 Jahre älter als ich, war also in vielen Dingen Vorbild für mich.
Ich bin hier im ehemaligen Büro unseres Vaters, im alten Obstmagazin, wo auch viel Schach gespielt wurde mit einem geistlichen „Herrn“, der hier seine freien Stunden im Gespräch mit unserem Vater Leo über die Gefangenschaft in Russland verbrachte. Allmählich gelangten sie zur Südtirolpolitik, die endlos analysiert wurde.
Als politisches Spiel galt auch der Konflickt zwischen Optanten und Dableibern. Die dadurch entstandenen Streitereien und ernsten Konflikte konnten erst durch einen Schiedsspruch Magnagos befriedet werden: „Lai nit rougln!“ (nur nicht aufrollen!) mahnte der Landeshauptmann Magnago. Er war zwar auch Optant, hatte aber als Kriegsinvalide und Offizier der Deutschen Wehrmacht viel Autorität. So konnte er 1957 bei der großen Kundgebung in Siegmundskron die erbitterten Südtiroler überzeugen, auf Gewalt zu verzichten und ermöglichte dadurch die europäische Lösung und ein langsames Wachsen der Autonomie.
Spiele begleiteten meinen Bruder Luis durchs ganze Leben und so wurde diese Abteilung seines Ladens besonders umfangreich.
Sozial wichtiger und nachhaltig war die Gründung des Minigolfes im Zentrum von Schlanders. Für diese Neugründung pachtete er nahe dem Kulturhaus eine Obstwiese.
Schon bald wurde leidenschaftlich „Calcetto“, also Tischfußball gespielt; auch Tischtennis wurde von den immer zahlreicher werdenden Touristen eifrigst genutzt. Hier gab es ein kleines Blockhaus für den Eisschrank, eine Toilette und - auch ganz wichtig - einen großen Sandhaufen, wo die Kinder Schlösser, Tunnel und sich verzweigende Wasserkanäle, also „Waale“ bauen konnten.
Der Luis heirate 1961 die Rosl Oberhofer vom Marteller Berghof Prämstla. Im Minigolf wurde neben den Kindern meines Bruders auch mein Sohn Ulrich liebevoll aufgenommen. Der Minigolf wurde nach 1970 in die neu errichtete Sportzone im Osten von Schlanders verlegt.
Er fand aber eine schöne Fortsetzung im jetzigen Plawennpark. Mitten im Dorfzentrum vor dem Rathaus gelegen, ganz nahe dem Geburtshaus meines Bruders Luis... dort wimmelt es jetzt wieder vor lauter Kindern, die sich an allerhand Fantasie- und Turngeräten erfreuen und austoben können.
Eine Zeitlang hat sich mein Bruder auch politisch betätigt und war Obmann der Südtiroler Volkspartei hier in Schlanders. Da seiner dringenden Forderung nach Selbstbestimmung im Parteiprogramm nicht Folge geleistet wurde, hat er sich aus der Politik zurückgezogen; seitdem beschäftigte er sich mit Freizeit und Kinderwelt.
Für den alten Minigolf musste behördlich auch ein Name gefunden werden. So erfand der Luis spielerisch dasWort WALKRIMON, gebildet aus den Anfangsbuchstaben seiner Töchter WALtraud, KRIstine und MONika.
Der Bub, der Max, kommt erst später.
Zur Gestaltung der Freizeit gehört selbstverständlich auch die Tierliebe. Der Luis wurde jahrelange von einem braunen, wolligen Pudel begleitet, den der Bruder Peppi aus München mitgebracht hatte. Angeblich würde dieser Hund nur ganz einfache Kost brauchen. Aber der Tommi war da anderer Meinung und verweigerte die Nahrungsaufnahme. Bis er sein Leibgericht, Reis mit Leber, beim Vater durchgesetzt hatte.
Für Tommis Pelzpflege musste man eigens zu einem Hundefriseur nach Meran fahren. Der Ulrich, der zusammen mit Rosls und Luisens Kinder im Minigolfgarten aufgewachsen ist, wunderte sich. Belustigt und fast vorwurfsvoll äußerte er sich über diesen bei uns ungewohnten Luxus.
Der Luis lebte in einer Zeit vieler Gründungen, besonders im Bereich Handwerk, Tourismus und Sport. Schifahren und Berggehen waren selstverständlich, Fußball stand ganz oben. Zahllos waren die Arbeitsstunden für die Verwaltung der Vereine, woran sich der ebenfalls ehrenamtlich arbeitende Willi Strobl erinnert, der im Zentrum von Schlanders eine Buch- und Papierhandlung führte.
Eine schöne Bibliothek, neue Schulen, neue Betriebe ... immer wieder Neuanfänge. Neben der Landwirtschaft mit der riesigen Obstgenossenschaft wurde das Krankenhaus zum wichtigsten Arbeitsgeber.
Woher aber kamen die politischen Themen? Anreger im Hintergrund war oft der Göflaner Politiker Hans Dietl. Der Praktiker wusste vieles über Schwerpunkte und Probleme der Region und in Rom, informierte mit Statistiken und Daten. Was leisten die Schulen? Während die Italiener 1500 Maturanten zählten, gab es im gleichen Schuljahr nur 150 deutschsprachige Absolventen. Für alle öffentlichen Stellen brauchte es Schulabschlüsse, die unserer Jugend fehlten - die faschistische Schulpolitik hatte gründliche Arbeit geleistet!
Der Luis brauchte nur sein eigenes Leben zu durchforsten. Da der Mussolini uns die deutsche Sprache verbieten wollte, mussten die Südtiroler ihr Deutsch im lothringischen Rouffach erlernen. Dort wurden etwa 600 Südtiroler ausgebildet; Ähnliches gab es auch für Südtiroler Mädchen.
P1030698Mit der deutschen Sprache wurde ihnen auch nationalsozialistisches Gedankengut vermittelt. Das bewirkte zwischen den katholisch-konservativen und den „deutsch“ orientierten Südtirolern eine schmerzliche Distanz. Wir konnten miteinander gar nicht mehr reden, erinnerte sich der Luis bezüglich seines Jugendfreundes Hermann Parth, der später in der Hierarchie der katholischen Kirche Karriere machte.
Alle Bereiche waren irgendwie belastet, was bei einer Innsbrucker Zusammenkunft von „Südtirolpatrioten“ leidvoll aufgezählt und beklagt wurde. Dorthin habe ich als Parteimitglied den Luis begleitet. Dort hätten wir uns direkt den Rebellen anschließen und uns mit ihnen verbünden können.
Wir wollten Missstände aufweisen und Unrecht bekämpfen, aber keinesfalls Märtyrer werden. Bald darauf folgte 1961 die Feuernacht und einige Tage später sahen wir unsere Gesinnungsgenossen in den Zeitungen als Gefangene in Handschellen.

Hans Wielander

 

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