Dienstag, 18 Februar 2014 09:06

König der Lüfte - Das Steinadler-Monitoring im Nationalpark Stilfserjoch 1998-2013

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208B4Wolfgang Platter, am Tag des Hlg. Valentin von Terni, 14. Februar 2014

Der Steinadler ist der Taggreifvogel, der als großer Beutegreifer im Alpenbogen nie ausgestorben ist. Steinadler sind Grifftöter: Sie schlagen und töten ihre Beute mit den kräftigen Zehenkrallen, die sich wie Dolche in das Beutetier bohren. Verpaarte Steinadler sind ausgesprochen territorial. Das Territorium eines Brutpaares, das aktiv gegen eindringende Artgenossen, aber auch artfremde Konkurrenten verteidigt wird, ist  zwischen 40 und 100 km² groß. Steinadler sind langlebig und können ein Alter von bis zu 25 Jahren erreichen.

Das Monitoring im Nationalpark Stilfserjoch
Der Steinadler bildet das Emblem des Nationalparks Stilfserjoch. Auch aus diesem und mehreren weiteren Gründen haben sich unsere Ornithologen in den Jahren zwischen 1998 und 2013 besonders des Steinadlers angenommen. Die intensive Phase des Monitorings hat dabei in den drei Länderanteilen des Nationalparks verschiedene Zeiträume betroffen (Südtirol: 1998-2001, Lombardei 2004-2010, Trentino 2007-2010).
Elemente des Monitorings
Die Beobachtungen im Freiland und die Untersuchungen im Labor lassen sich in vier Arbeitsfeldern  zusammenfassen:
•    die Kontrolle der Brutpaare,
•    die Gleichzeitigkeitszählungen des    Bestandes,
•    das genetische Monitoring,
•    die Aufschlüsselung der Speisekarte.

Der Steinadlerbestand
Der derzeitige Bestand der Steinadler in Europa wird auf 8.400 – 11.000 Brutpaare geschätzt. Für Italien wird ein Bestand von 486 – 547 Adlerpaaren angegeben, für die Lombardei werden hingegen 100 Paare geschätzt. Am Beginn unseres Monitorings waren im Jahre 2004 im trentiner und im lombardischen Parkanteil 7 Brutpaare und 27 Nester bekannt. Am Ende des Jahres 2013 sind uns für den gesamten Nationalpark Stilfserjoch und die angrenzenden Täler 32 Brutpaare und 160 Horste bekannt. Diese Zahlenangaben stammen wie alle weiteren in meinem heutigen Beitrag von unserem Ornithologen Enrico Bassi, der sich in den letzten Jahren intensiv um Bartgeier und Steinadler gekümmert hat. Aus den Beobachtungen von 23 Brutpaaren ergibt sich für den Nationalpark eine Steinadler-Dichte von 15,7 Paaren je 1.000 km². Zu den territorialen Brutpaaren der Adler kommen noch die unverpaarten, noch nicht territorialen und herumvagabundierenden Jungadler hinzu.
Zur Produktivität der Steinadler können wir aus den Erhebungen der letzten Jahre sagen, dass von den 134 in den Jahren beobachteten Brutpaaren 86 zur Eiablage geschritten sind und 52 einen Jungvogel zum Ausfliegen gebracht haben. Der Aufzuchterfolg lag damit bei 0,39. Anders ausgedrückt: Nur jedes dritte Adlerpaar bringt im selben Brutjahr einen Jungvogel bis zum Ausfliegen.

Die Adlerhorste
Übrigens: Steinadler bauen nicht nur ein einziges Nest. Statistisch besitzt jedes Steinadlerpaar 5-7 Horste, welche abwechselnd in den Jahren zum Brüten oder als Schlafplatz verwendet werden. Die Horste im Nationalpark liegen im Mittel auf einer Meereshöhe von 2.200 Metern, also etwa auf der Höhenlinie der Waldgrenze. Die Lage des Horstes in dieser Höhenlage hat einen ganz praktischen und funktionalen Grund: Das Hauptbeutetier der Steinadler ist das Murmeltier, ein Bewohner der alpinen Rasen oberhalb der Waldgrenze. Es ist weniger anstrengend für den Adler, die geschlagene Beute abwärts in den Horst zu transportieren als sie im Flug aufwärts zu schleppen.
Unter den 160 erfassten Horsten befinden sich 157 Felshorste und drei Baumnester. Der im Laufe der Jahre mehrfach benützte Horst wird vor der Eiablage immer wieder neu mit grünen Zweigen und Ästen von harzigen Nadelhölzern wie Lärche und Latsche bestückt. Das Harz hat keimtötende Wirkung. Die Eiablage erfolgt beim Steinadler zwischen 15. März und 15. April. Beim Bartgeier erfolgt sie im hochwinterlichen Jänner, spätestens anfangs Februar. Wie der Bartgeier legt auch der Steinadler zwei Eier. Nur in besonders nahrungsreichen Jahren ziehen manche Steinadler-Paare beide Jungen auf. Das später geschlüpfte und daher schwächere Junge verhungert oder wird vom größeren Geschwister gehackt und es verendet. In der Verhaltensforschung wird dieser Brudermord nach dem biblischen Mord von Kain an Abel als „Kainismus“ bezeichnet. Beim Steinadler ist der Kainismus fakultativ, beim Bartgeier hingegen obligatorisch. Dies bedeutet, das beim Bartgeier immer nur ein Junges aufgezogen wird, auch wenn beide Eier befruchtet sind und ein gutes Nahrungsjahr zu verzeichnen ist.

Die Gleichzeitigkeitszählungen
Seit dem Jahre 2004 haben unsere Ornithologen mit bis zu 400 Hobby-und Profihelfern in einer Frühjahrs- und einer Herbstzählung insgesamt 19 sogenannte Gleichzeitigkeitszählungen in großen Flächenanteilen des Nationalparks durchgeführt. Dabei wird jedem Zähler ein Planquadrat zugewiesen. Von 09.00 bis 14.30 Uhr werden alle mit Fernglas und Spektiv beobachteten Greife und Geier mit genauer Angaben der Uhrzeit erfasst und kartografisch eingetragen. Mit der Gleichzeitigkeitszählung können nicht nur Brutpaare und Einzeltiere erfasst, sondern auch die Größe ihres Territoriums definiert werden. Bartgeier und Steinadler zeigen ein unterschiedliches Territorialverhalten: Der Bartgeier verteidigt sein Territorium nur ca. 1 km² um den Horst herum, durchstreift aber auf der Suche nach Fallwild und deren Knochen das Territorium von 7-8 Steinadlerpaaren. Verpaarte Steinadler verteidigen hingegen ihr eigenes Territorium in seiner ganzen Ausdehnung bis an dessen  Außenränder mit Attacken gegen Artgenossen und Artfremde.

Das genetische Monitoring
Beim genetischen Monitoring von Vögeln wird aus Federfunden, Gewebe von Muskeln oder Knochen oder aus dem Blut die Desoxyribonukleinsäure (DNS) extrahiert und der darin enthaltene Chromosomensatz als Träger der Erbsubstanz bestimmt. Bei der Gewinnung der DNS unterscheidet man nach der Herkunft der Proben nicht invasive und invasive Methoden. Nicht invasiv ist beispielsweise die Gewinnung der DNS aus den Kielen von ausgefallenen Federn, die unter oder im Horst gesammelt werden. Eine invasive Methode ist die Blutabnahme aus lebenden Vögeln oder die Gewebsbiopsie aus Totfunden.
Von den Steinadlern, welche innerhalb des Nationalparks leben, wurden in den letzten 10 Jahren insgesamt 301 Federn gefunden und gesammelt. Außerdem wurden kleine Muskelgewebsproben aus Tottierfunden entnommen. In seinem genetischen Labor in Bologna hat Dr. Alberto Santini in den Jahren 2010 -2013 im Auftrag des Nationalparks insgesamt 269 Proben von Flügelfedern, Flaumfedern oder Geweben von Steinadlern genetisch untersucht. Die genetische Untersuchung ermöglicht Aussagen etwa zur Zusammensetzung der Brutpaare, zum Geschlecht der Vögel, zu einem Partnerwechsel im Paar, zu den Verwandtschaftsverhältnissen oder zur genetischen Variabilität der Adlerpopulation.
Die genetischen Untersuchungen von Dr. Santini haben aus den 269 verwertbaren Proben 49 verschiedene Genotypen von Steinadlern im Nationalpark Stilfserjoch und in den angrenzenden Tälern ergeben. Die genetische Vielfalt der zentralalpinen Steinadlerpopulation ist damit nicht sehr breit. Von den Bartgeiern wissen wir, dass die genetische Variabilität heute noch geringer und kritisch schmal ist: 50% der im Freiland geschlüpften Junggeier stammen von nur 10 Eltern der Gründerpopulation.

Der Speiseplan von Bartgeiern und Steinadlern
Im Zuge des Monitorings dieser zwei großen Vogelarten hat Enrico Bassi in den letzten Jahren mit Hilfe schwindelfreier Kletterer, Förster und anderer Mitarbeiter durch Abseilen in die Felsenhorste auch Nahrungsreste eingesammelt. Das Abseilen erfolgte dabei immer in den Herbstmonaten September und park grafikOktober, in der die Jungen das Nest bereits verlassen haben und die Eltern den Horst nicht befliegen. Die Zeitwahl für die Probenentnahme  ist klar begründet: Das Brutgeschäft darf in gar keinem Fall gestört und der Aufzuchterfolg nicht gefährdet werden. Das Einsammeln der Nahrungsreste diente der Bestimmung des Speisezettels von Bartgeier und Steinadler. Vom Steinadler konnten 176 Proben aus 16 Horsten, vom Bartgeier 94 Proben aus 6 Nestern gewonnen werden. Die Untersuchungen haben ergeben, dass die Speisepläne des Lebendbeutegreifers Steinadler und des reinen Aas- und Knochenfressers Bartgeier in der Tat unterschiedlich zusammengesetzt sind.

 


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