Müllplatz mit Computerhirn
Von Matthias Reichle
Donnerstag, 24.08.2023, 17:51
Er soll laut Entwicklern der modernste Recyclinghof Europas sein. Die Ischgler Anlage läuft autonom und ist frühmorgens bis spätabends geöffnet. Eine KI soll künftig auch Müll-Ferkel ausforschen.
Ischgl – Es ist spät in der Nacht, aber in der Garage stapelt sich der Müll? Jetzt noch zum Recyclinghof? Kein Problem! Ein kurzer Blick in eine eigene App – die die Auslastung anzeigt – bestätigt, dort ist gerade nicht viel los, keine langen Schlangen vor den Containern. Also ab ins Auto und hin.
Dass die Recyclinghof-Mitarbeiter schon lange Feierabend gemacht haben, ist egal – eine Kamera erkennt das Pkw-Kennzeichen und öffnet den Schranken automatisch. Dann kann in aller Ruhe recycelt werden. In der App wird sofort angezeigt, wie viel und welche Wertstoffe abgegeben wurden und welche Kosten anfallen.
Zukunftsmusik? Keineswegs. In Ischgl wurde ein komplett autonomer Recyclinghof realisiert – der „modernste Europas“, wie die Entwickler behaupten. Zahlreiche pfiffige Ideen wurden dabei umgesetzt – von der vollautomatischen Dosierschranke, die ein Chaos vor den Containern verhindert, bis hin zur Hightech-Leitstelle.
Entwickelt hat das alles ein kleines Start-up aus Landeck namens Wiegon. Für den Bürger seien viele Recyclinghöfe aktuell „unpraktisch“. „Ich muss entweder um 16 Uhr schnell von der Arbeit weg, um meinen Müll bis 18 Uhr zu entsorgen, oder es gibt am Samstagvormittag einen riesigen Stau vor den Containern“, sagt der Geschäftsführer der Wiegon GmbH, Armin Wolf. Daraus entstand die Idee. Ischgl nennt er seine „Spielwiese“, dort wurde alles umgesetzt, was derzeit möglich ist.
Dort ist ganz schön viel los, vor allem in der Hochsaison: 650 t Restmüll, 750 t Bioabfall, 276 t Sperrmüll, 160 t Verpackungskunststoffe, 105 t Altpapier, 620 t Altglas, 299 t Kartonagen fallen jedes Jahr an.
Grundsätzlich würde es die neue Technik zulassen, dass die Ischgler fast 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche ihren Müll abladen, vorerst ist der Hof von Montag bis Samstag von 6 Uhr morgens bis 22 Uhr abends offen. „Das ist ausreichend“, sagt Bürgermeister Werner Kurz. Es gibt weiterhin zwei Recyclinghof-Mitarbeiter, die sind aber im Sommer nur an drei, in Winter an vier Tagen vor Ort.
Sollte es in der vollautomatisierten Anlage doch einmal einen menschlichen Ansprechpartner benötigen, reicht ein Druck auf einen Knopf und bei Recyclinghofmitarbeiter Andreas Siegele klingelt das Handy. 1,2 Mio. Euro hat die Gemeinde in die Erweiterung ihres Recyclinghofs investiert. 15 Prozent der Kosten machte die Digitalisierung aus, so Kurz.
Die Technologie ist seit vergangenem Oktober in einer Testphase mit aktuell 120 Berechtigten im Einsatz. Aber die Gruppe wächst stetig.
Das Hirn und Besondere der Anlage ist die Leitstelle, wo auch die 32 Kameras zusammenlaufen, die die Nutzer auf Schritt und Tritt beim Entsorgen überwachen. „Wir haben festgestellt, dass die Bürger sehr auf die Sauberkeit und Qualität achten. Man muss nicht mit der Peitsche am Container stehen“, sagt Wolf.
Im kommenden Jahr soll eine Künstliche Intelligenz implementiert werden, die Fehlwürfe in die Container erkennt und den Recyclinghofmitarbeitern meldet. Wenn jemand Glas in den Papiercontainer wirft, müsste er das nächste Mal mit einer Verwarnung rechnen. Das Beweisvideo lässt kein Leugnen mehr zu. Die KI könnte den Nutzer auch direkt aus dem Lautsprecher ermahnen – das geht den Entwicklern aber dann doch zu weit.
Man will das System nun auf ganz Tirol ausrollen. Auch kleine Recyclinghöfe könnten künftig über eine gemeinsame Leitstelle zusammengeschlossen und ferngewartet werden.
Der Landecker Recycling-Vordenker und Mitgesellschafter von Wiegon, Bernhard Weiskopf, geht noch weiter. Sein Traum ist, dass jeder, egal in welcher Gemeinde er gerade ist und wie spät es ist, seinen Müll entsorgen kann. Das sei aber noch Zukunftsmusik.