Dienstag, 06 September 2016 12:00

Pflanzen statt Beton

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s10 Florin FlorinethVinschgerwind- Interview

Interview: Heinrich Zoderer

Vinschgerwind: Pflanzen statt Beton. Dies war der Titel der Antrittsvorlesung an der Uni Wien im Jahre 1994. Es ist auch der Titel Ihres Buches und es war das zentrale Thema der Abschiedsvorlesung am 14. Jänner 2016. Was ist schlecht am Beton und am Betonieren?


Florin Florineth: Beton ist ein hartes, kaltes und totes Material und kein nachwachsender Rohstoff im Unterschied zu den Pflanzen. In einem Betonbau gibt es keine gute Lebensqualität weil die Luft kaum zirkulieren kann. Beton ist kein nachhaltiger Baustoff, Sand und Zement müssen abgebaut werden.

Vinschgerwind: Geben Pflanzen genügend Stabilität und Sicherheit?
Florineth: Ja sicher, ingenieurbiologische Arbeiten, d.h. technische Arbeiten mit biologischen Mitteln haben natürlich auch Grenzen. Man kann keine Häuser bauen. Aber man kann verschiedene Sicherungsarbeiten machen z.B. Hang- und Ufersicherungen. Da gibt es sogar statische bzw. hydraulische Berechnungen. Es braucht natürlich eine entsprechende Pflege, aber das braucht jedes Material.

Vinschgerwind: Das Institut für Ingenieurbiologie und Landschaftsbau an der BOKU Wien ist das einzige Institut dieser Art in Europa. Was ist der neue Ansatz der Ingenieurbiologie?
Florineth: Ende der 50er Jahre, Anfang der 60er Jahre hat Prof. Hugo Meinhard Schiechtl aus Innsbruck bei der Wildbachverbauung diese Arbeitsweise gefördert. Der neue Ansatz ist, dass man das Arbeiten mit Pflanzen berechnen kann. Man weiß heute, wieviel Druck Pflanzen halten können. Man misst den Erddruck und kann dann sagen, ob eine Krainerwand oder Steinblöcke verwenden werden müssen. Anschließend kann man dann alles begrünen und die Baumaßnahmen sehr gut an die Landschaft anpassen.

Vinschgerwind: Naturkatastrophen nehmen zu. Sind dies nur die Folgen des Klimawandels und der geänderten Wetterverhältnisse oder hat auch der Mensch Fehler gemacht?
Florineth: Sicher spielt beides eine große Rolle. Extreme Niederschlagsereignisse und extreme Temperaturen nehmen zu. Ein starker Hagel und ein starkes Gewitter werden als Unwetter bezeichnet und Unwetter hat es immer gegeben. Aber die Katastrophen hat der Mensch produziert. Wenn im Einzugsgebiet eines Flusses immer näher zum Fluss gebaut wird und die Menschen sich dort ansiedeln, dann ist klar, dass bei einer Überschwemmung die Häuser, landwirtschaftliche Güter und Gärten überschwemmt werden. Auch früher gab es Überschwemmungen, nur wurden da Auen überschwemmt und das war ein natürlicher Prozess. Deshalb ist klar: die Natur erzeugt Unwetter, dass diese zu Katastrophen werden, hat sich der Mensch selber eingebrockt. Früher waren Flüsse bis zu 50 Meter breit, jetzt nur mehr 10 bis 15 Meter, d.h. die Flüsse wurden eingeschränkt, um landwirtschaftliche Flächen oder neue Wohnbauzonen und Gewerbezonen zu gewinnen. Flüsse wurden kanalisiert, das Bachbett wurde tiefer gelegt. Das Wasser fließt schneller als früher ab, entwässert schneller und Wasser, das schnell fließt, erzeugt im Unterlauf Überschwemmungen.
Vinschgerwind: Durch Vorträge und Projektarbeiten in vielen Ländern z.B. in Japan, Brasilien, im Himalaja, haben Sie viele Situationen in der ganzen Welt kennen gelernt. Wo schaut es sehr bedrohlich aus?
Florineth: Im Einzugsgebiet von großen Flüssen in Asien oder Südamerika entstehen riesige Probleme, weil dort große Städte gebaut werden, die dem Fluss den natürlichen Raum nehmen. Wenn da ein Hochwasser kommt, wird alles überschwemmt. Auch eine starke Besiedlung am Berg führt zu einer starken Bodenversiegelung und gefährdet die darunterliegenden Bewohner. Wald kann viel Wasser aufnehmen. Das Wasser fließt langsam von den Bäumen auf den Boden und ein Waldboden speichert viel Wasser. Waldrodungen und Profitgier führen zu großen Katastrophen. Bei uns hat man so langsam verstanden, dass Flüsse mehr Raum brauchen.
Vinschgerwind: Um besonders in den Städten mehr Grünflächen zu erhalten, hat euer Institut Projekte zur Dachbegrünung und zur Begrünung von Hausfassaden durchgeführt. Was muss dabei beachtet werden? Wäre das auch bei uns möglich?
Florineth: Flachdächer gibt es in Südtirol genug. Wenn man sich nur die vielen Obstgenossenschaften anschaut, da gäbe es hektarweise Flächen. Flachdächer eignen sich gut, Wasser aufzunehmen. Es bräuchte einen Bodenaufbau von 20 bis 40 cm. Die Dachbegrünung hat einen riesigen ökologischen Vorteil, weil ein Siedlungsgebiet immer eine Wärmeinsel bildet und man so mehr Luftfeuchtigkeit und mehr Verdunstung erzeugen kann. Außerdem kann ein solches Dach viel Wasser aufnehmen. Durch die Fassadenbegrünung bringt man die Strahlungswärme weg und es kommt zu einer starken Verdunstung. In Wien haben wir bei einem Gebäude 860 m² Fassadenbegrünung mit einem Wannensystem gemacht. Wir haben danach Temperaturmessungen durchgeführt. Begrünte Fassaden heizen sich im Sommer weniger auf. Wurden beim Nachbargebäude im Juli 2014 bis zu 52 Grad gemessen, so war die Temperatur bei begrünten Fassaden nur rund 30 Grad. Im Winter ist die Abwärme viel geringer. Wir haben festgestellt, dass man in den Wohnungen hinter den begrünten Fassaden im Sommer durchschnittlich 10° niedrigere Temperaturen hat und im Winter 5° höhere Temperaturen.

Vinschgerwind: In Mailand gibt es den „bosco verticale“, einen vertikalen Wald in zwei Wohntürmen mit 27 Stockwerken, 110 und 80 m hoch mit 800 Bäumen, 20.000 Sträuchern und vielen Gewürzen auf 9.000 m². Wie funktioniert das?
Florineth: Da wurden riesige Tröge aufgebaut und so die Möglichkeit geschaffen, Bäume zu setzen. Die wachsen über zwei Stockwerke und verbessern die Wohnqualität. Eine beauftragte Gärtnerei pflegt die Bäume, Sträucher und Gewürze. Wenn die Privaten die Fassade pflegen müssen, dann funktioniert das nicht. Es gibt ein automatisches Bewässerungssystem. Die Pflanzen werden abends auch beleuchtet, so dass es optisch schön aussieht. Es ist eine aufwändige Geschichte, aber ein tolles Zeichen einer neuen Bauweise. Und die Bewohner können im Hochhaus Kräuter vor ihren Fenstern ernten.  

Vinschgerwind: Sie haben fast 20 Jahre Begrünungsarbeiten bei der Wildbachverbauung gemacht, Sie waren Gründungsmitglied und Vorsitzender des Dachverbandes für Natur- und Umweltschutz und der Umweltschutzgruppe Vinschgau. Sie kennen das Land sehr gut und Sie sind immer wieder mit Ihren Studenten nach Südtirol gekommen, um die Begrünungsarbeiten zu begutachten und Sie kommen auch regelmäßig mit Ihrer Familie auf Urlaub in den Vinschgau. Was hat sich in Ihren Augen hier verändert, wie sieht es mit dem Landschaftsschutz aus?
Florineth: Was ich am meisten merke und was ich auch mit Sorge betrachte ist die große Bautätigkeit. Unter der Ära Magnago und Benedikter wurde sparsam mit dem Grund umgegangen, unter seinem Nachfolger Durnwalder haben die Bautätigkeiten und auch die Zersiedelung stark zugenommen. Jetzt wird mit den Gefahrenzonenplänen etwas dagegen gesteuert. Damit wird die Bevölkerung sensibilisiert. Das finde ich ganz positiv. Ich habe gelesen, dass der Alt-LH Durnwalder bereut, dass die Vinschgauer und Pusterer Straße nicht stärker ausgebaut wurde. Ich sage, Gott sei Dank ist das nicht geschehen, sonst wären das Durchzugstäler für den Transitverkehr.

 

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