Dienstag, 22 September 2015 00:00

„Deis Unglück hot ma olm in Kopf“

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s17 6938Der Altbauer Sepp Kofler lebt seit seinem siebten Lebensjahr auf dem Tumpaschinhof im hinteren Matschertal. Der humorvolle Senior erzählt gerne, von den „Patzen“ in seiner Schulzeit, von schwerer Arbeit, von Sparsamkeit und von seinem größten Schicksalsschlag, dem Unfalltod seines Enkels.

von Magdalena Dietl Sapelza  

Im Mai 2003 sind Planierarbeiten nahe dem Tumpschinhof im Gange. Während Sepp mit der Schaufel hantiert, startet der 12-jährige Enkel Michael den Traktor.  Kurz darauf steigt er ab, um einen Stein zu entfernen.

Das schwere Gefährt schlittert. Der Junge gerät unter die Planierschaufel.  Sepp eilt herbei, doch er kann nicht mehr helfen. Sein Enkel ist tot. „Deis Unglück hot ma olm in Kopf“, sagt Sepp. Er macht sich große Vorwürfe. „I hatn nit olloan lossn terft.“ Michael wollte eines Tages Bauer auf dem Hof werden und war der ganze Stolz seines Großvaters.  „Ma konns nit ändern, ma muaß schaugn, dass es weitergeat“, meint er.
Sepp verbrachte seine ersten Lebensjahre auf dem Schlosshof bei Matsch, den seine Eltern vom Grafen Trapp gepachtet hatten. Er war der älteste von neun Kindern. Wenn der Graf zu Besuch kam, versteckten sie sich, denn der hohe Gast sollte die ärmlichen Kleidern nicht sehen. Jede Lire wurde gespart, um einen eigenen Hof kaufen zu können. Nach Vermittlung des legendären Pfarrers Anton Reisigl ersteigerte der Vater 1936 den Tumpaschinhof um 15.000 Lire. Das Gebäude befand sich in einem erbärmlichen Zustand. Das Dach war undicht und die Stallmauern mussten gestützt werden. Der Vater begann mit den notwendigen Renovierungsarbeiten. Sepp half überall mit,  im Stall, auf den Feldern, als Hirte. Für den Weg zur Schule benötigte er eine dreiviertel Stunde. Oft kam er zu spät. „Norr hot`s fa dr Walschlehrerin 10 Potzn af di gfrorenen Händ gebm“, klagt er. Vom aufgezwungenen Italienisch-Unterricht blieb nicht viel hängen. Die Kinder wehrten sich dagegen. 1939 optierten Sepps Eltern für Deutschland.  „Selm isch a Propaganda gweesn, unt olle hoobm gmoant, in Deutschlond fliagn oam di brotntn Vögel in Mund inni“, erinnert er sich. Italienische Beamte schätzten den Hof für den Verkauf. Doch Sepps Familie wartete ab. Der Krieg stoppte schließlich die Auswanderung. Kurz darauf musste der Vater einrücken und Sepp übernahm zusammen mit der Mutter und den Geschwistern die Geschicke auf dem Hof. Im April 1945 wurde auch er zur SED-Wache gerufen.  Eine Woche lang bewachte er das Kraftwerk St. Anton bei Bozen, und eine Woche lang war er bei Schloss Annaberg stationiert. Danach war der Krieg zu Ende und er kehrte heim. „Di Noat isch groß gweesn, obr miar afn Hof hobm zumindest z`essn kopp“, erzählt er. Jedes Teil eines geschlachteten Tieres wurde damals verwendet. „Ocht Tog long hotts olm lai mea Broatpfarflsupp geebm“, lacht er.
Als Ältester übernahm Sepp den Hof. Seine drei jüngeren Brüder wanderten in die Schweiz beziehungsweise nach Lichtenstein aus. Die vier Schwestern heirateten und zogen weg. Sepp fand sein Glück mit der neun Jahre jüngeren Maria Heinisch. Mit dem klapprigen Traktor brachte er sie nach der Hochzeitsfeier in Matsch zum Hof.   Sie schenkte ihm fünf Kinder. „Oa Bua isch seit dr Geburt inser Sorgenkind“, bekennt er. Die Familie lebte sparsam. Nach und nach sanierte Sepp den Hof und richtete Ferienwohnungen ein. Sein Bruder baute in unmittelbarer Nähe zum Hof ein Haus, das Sepp später auch übernahm und an Gäste vermietete. Heuer steht dieses erstmals leer. „Di Bürokratie gib oam in Rest“, betont er
Sepp war 51 Jahre lang aktives Mitglied der Musikkapelle Matsch. Er liebte die Geselligkeit. Mit dem Traktor fuhr er zu den Proben genauso wie zu den Märkten im Tal. „Pan Gollimorkt hot ma di Genossenschafts-Stier ausghandelt“, sagt er. „Denn friaer isch ma in gonzn Wintr mit di Kia zun Stier unterwegs gweesn.“
1991 übergab Sepp den Hof an Sohn Alfred. Dieser ließ sich mit der Familiengründung Zeit und Sepp befürchtete schon, dass es auf dem Hof kein Kinderlachen mehr geben würde. Doch es kam glücklicherweise anders.  Mit den drei Enkelsöhnen ist es lebendig geworden.  Sepp hilft mit sogut er  kann. „Eppas muas ma tian“, meint er.  Bei der Feldarbeit ist er nur noch selten zu sehen.
Oft sitzt er auf der Bank vor dem Haus und schaut auf die planierte Wiese. Dann denkt er an Michael und an den tragischen Unfall. Er fragt nach dem Warum und bekommt keine Antwort. Er versucht sich zu trösten: „Wenn`s Unglück will, derstellt ma`s nit aus, obr olz muas weitr gean.“  

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