„Es geht nicht ohne Konsens“

geschrieben von Ausgabe 8-19

s10 9377Vinschgerwind: Herr Dorfmann, Sie sind wiederum der Kandidat der SVP für die Europawahlen. Die Südtiroler Volkspartei regiert in Bozen mit der europafeindlichen Lega und Sie wollen als Kandidat für das Europaparlament in einem Listenbündnis mit Forza Italia, also der Partei von Silvio Berlusconi und von Michaela Biancofiore, antreten. Können Sie uns das erklären?


Herbert Dorfmann: Die Koalition auf Landesebene war einfach eine Frage des italienischen Wählerwillens. Die deutsche Volksgruppe muss mit der italienischen Volksgruppe eine Regierung bilden. Mehr oder weniger die Hälfte der Italiener haben die Lega gewählt. Deshalb war dies die einzige Möglichkeit. Es wäre absurd gewesen, wenn man eine Koalition mit einer Partei gebildet hätte, die ein paar tausend Stimmen bekommen hat, wenn es auch rechnerisch möglich gewesen wäre. Für die Europawahl ist es uns wichtig, dass es eine europafreundliche Konstellation ist. Die SVP ist Mitglied der europäischen Volkspartei. Auch wenn wir diese Listenverbindung in der Vergangenheit noch nie gemacht haben und auch wenn es Südtiroler Vertreter gibt, die diesbezüglich problematisch sind. Die Frau Biancofiore hat mit diesem Listenbündnis nicht das Geringste zu tun.
Vinschgerwind:Blutet Ihnen da nicht das SVP-Herz?
Herbert Dorfmann: Alle meine Vorgänger und auch ich waren in den Reihen der europäischen Volkspartei in Brüssel. Ich könnte mir anderes nicht vorstellen. Die SVP ist eine christdemokratische Kraft, die aufgrund ihrer Identität als Sammelpartei auch eine sozialdemokratisch oder besser eine Arbeitnehmer-Ader hat.

Vinschgerwind: Ihre Konkurrenz im Lande heißt Renate Holzeisen, die mit dem Team Köllensperger auf der Liste Più Europa zu den Europawahlen antritt. Gibt es einen Wahlkampf „Bauer gegen Bürger“?
Herbert Dorfmann: Ich hoffe nicht. Das ist eine falsche Sichtweise und rührt möglicherweise daher, dass die Abgeordneten der SVP in Brüssel der Landwirtschaft nahegestanden sind, von Joachim Dalsass über Michl Ebner und ich auch. Es ist offensichtlich der Eindruck entstanden, dass es in Brüssel nur um Landwirtschaft ginge. Dem ist nicht so. Wenn ich meinen Tagesablauf anschaue, so macht die Landwirtschaft einen Teil meiner Tätigkeit aus...
Vinschgerwind: ...für Südtirol wohl der bedeutendste Teil...
Herbert Dorfmann: ...in Brüssel werden nicht alle Bereiche behandelt. Die Europäische Union hat im sozialen Bereich kaum Kompetenzen. Die Kompetenz in der Sozialpolitik liegt bei den Staaten und bei den Regionen. Es ist richtig, dass in Bozen über Pflegegeld und Sozialabsicherung entschieden wird und nicht in Brüssel.
Vinschgerwind: Trotzdem „Bauer gegen Bürger“?
Herbert Dorfmann: Das wird logisch von der Konkurrenz gespielt. Der Slogan wurde 2009 gespielt, auch 2014. Die Renate Holzeisen war ja schon Gegenkandidatin 2009. Mein Gott. Ein Wahlkampf besteht in der Auseinandersetzung hoffentlich der Argumente und da werden wir uns im Sinne einer guten Demokratie duellieren. Soweit ich die Renate Holzeisen kenne, werden wir das sehr angeregt tun.

Vinschgerwind: Sie vertreten Südtirol  seit 10 Jahren als Europaparlamentarier in Brüssel und in Strassburg. Was bleibt unterm Strich?
Herbert Dorfmann: Wenn man schaut, wieviel Geld von Brüssel nach Südtirol kommt, dann spielt die Landwirtschaft eine sehr große Rolle. Ich behaupte, mich da auszukennen und vor allem für die Südtiroler Berglandwirtschaft einiges erreicht zu haben.
Vinschgerwind: Sie waren in Brüssel Berichterstatter für die Berglandwirtschaft.
Herbert Dorfmann: Ich war Berichterstatter für die Zukunft einer gemeinsamen Agrarpolitik. Eine große Rolle hat auch der Verkehr gespielt. In den letzten sieben Jahren sind mehr als 500 Millionen Euro in den Bau des Brennerbasistunnel geflossen. Noch wichtiger sind Verkehrsregelungen. Etwa, dass externe Umweltkosten in die Maut miteinberechnet werden können - in Richtung Korridormaut.

Vinschgerwind: Europa wird in den letzten Monaten mit Brexit gleichgesetzt. Alle anderen Themen gehen unter. Den Leuten geht Europa auf die Nerven.
Herbert Dorfmann: Interessant ist, dass die Zustimmung für Europa seit der Brexit-Abstimmung nach oben geht. Die Mehrheit der Europäer sieht klar, dass es die europafeindlichen Populisten waren, die Europa als Krake usw. dargestellt haben. Und nun soll der Staat das Ergebnis des Brexit-Referendums umsetzen und man sieht, dass das für alle eine Lose-Lose Situation ist. Es gibt nur Verlierer.
Vinschgerwind: Sie sind nicht als Populist bekannt. Im Gegenteil. Scheuen Sie den Kontakt mit Ihren Wählern? Sie sind in der Peripherie, so auch im Vinschgau, kaum anzutreffen.
Herbert Dorfmann: Die Abgeordneten in Rom und so auch ich, wir sind halt nicht vor Ort wie der Landeshauptmann oder die Landesräte oder die Landtagsabgeordneten. Ich bin von Montag bis Donnerstag in Brüssel. Ich nehme diese „Sfida“ aber mit meinen römischen Kollegen gerne auf. Eine andere Tatsache ist, dass ich einen großen Wahlkreis habe. Mein Wahlkreis ist ganz Nord-Ost-Italien. Ich bin viel im Trentino und in Belluno unterwegs.

Vinschgerwind: Europa drängt in den Agrar-Vorordnungen auf mehr nachhaltiges Wirtschaften. Von daher müssten Sie dem Malser Weg – also einem Wirtschaften ohne chemisch synthetischen Pestiziden - einiges abgewinnen können. Können Sie das?
Herbert Dorfmann: In der laufenden Agrardebatte habe ich die Idee eingebracht, dass man Nachhaltigkeitsregionen erstellen könnte. Ich finde das aus Südtiroler Sicht spannend. Da geht es nicht nur um Landwirtschaft, sondern auch um Mobilität, um Energieerzeugung usw. Wir hätten durchaus solche Orte in Südtirol, in denen wir dem ländlichen Raum in Richtung Nachhaltigkeit eine Qualität zu geben. Was ich am Malser Weg grundfalsch finde, ist, dass er nicht ein konsensualer Weg ist. Ich glaube, dass ein solcher Weg langfristig nur erfolgreich sein kann, wenn es ein Projektweg ist, der gemeinsam gegangen wird. Wenn, wie es in Mals zwar am Ende mit einer Mehrheit bei einem Referendum geschehen ist, einer Berufsgruppe gesagt wird, wie sie zu wirtschaften hat und dies mit einer Gemeindeverordnung, was ist dann das Ergebnis? Das Ergebnis ist de facto eine verstrittene Gemeinde und das, was man erreichen wollte, ist nicht erreicht worden.
Vinschgerwind: Haben Sie einen Lösungsvorschlag?
Herbert Dorfmann: Jetzt für Mals nicht mehr. In Mals ist das Klima so vergiftet, dass der konsensuale Weg nicht mehr möglich ist. Wenn man schaut, wie sich Mals in Sachen Nachhaltigkeit von einer anderen Gemeinde unterscheidet, etwa von Schluderns, ich wüsste nicht wie. Und dies, obwohl der Bürgermeister von Mals in halb Europa Referate hält.

Vinschgerwind: Ein anderes Schlagwort: Europa der Regionen war in den vergangenen Jahren so ein Schlagwort. Die Europaregion Tirol/Südtirol/Trentino bewegt sich nicht. Ist die Euregio ein Papiertiger?
Herbert Dorfmann: Es gab eine Zeit, in der man intensiv an diesem Europa der Regionen gearbeitet hat. Für uns Südtioler war das eine tolle Vision. Die Europäische Union hat viele Initiativen in diese Richtung gestartet, mit grenzüberschreitender Zusammenarbeit bei Interreg-Projekten, mit Makroregionen wie es die Alpen sind. Schaut man sich die letzten fünf Jahre an, so muss man zur Kenntnis nehmen, dass der pure Nationalismus zurückgekommen ist und darunter leidet natürlich die Idee eines Europa der Regionen.
Vinschgerwind: Was würden Sie sich für die Euregio, also für Europaregion Tirol/Südtirol/Trentino, wünschen?
Herbert Dorfmann: In den letzten Jahren haben die Landeshauptleute der drei Provinzen die Sache sehr positiv gesehen. Geht man ins Detail sind einige Projekte auf dem Weg gebracht worden, die Zusammenarbeit in der Forschung, bei den Universitäten, im Sanitätsbereich, in der Ausbildung. Die Frage ist, was will man. Ich habe manchmal den Eindruck, dass diese Europaregion das alte Land Tirol wiederherstellen soll. Man interpretiert da mehr hinein, als es ist. Ich frage mich, ob es Ziel sein kann, dass Südtirol administrativ Teil von Nordtirol sein soll. Es ist wohl eher so, dass da drei autonome Provinzen schauen müssen, wie sie zusammenarbeiten können. Da gibt es zweifellos Luft nach oben. Zur Ehrenrettung der guten Zusammenarbeit in der Euregio muss man aber sagen, dass es weder am Brenner noch am Reschen auch in den vergangenen und etwas schwierigeren Jahren Grenzpolizisten gegeben hat.
Interview: Erwin Bernhart

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