Nationalpark Stilfserjoch - Das Bartgeierjahr 2018

geschrieben von Ausgabe 5-19

113B2Wolfgang Platter, am Tag des Hlg. Matthias, Apostel,
24. Februar 2019

Im Rahmen der Ringvorlesung „Das Verhältnis von Mensch und Tier“ durfte ich am 19. Februar d.J. an der Universität Bozen das Projekt „Die Wiederansiedlung des Bartgeiers in den Alpen“ vorstellen.

Prof. Matthias Gauly von der Universität Bozen und Prof. Martin Lintner von der Philosophisch Theologischen Hochschule Brixen haben den siebenteiligen Vorlesungszyklus zwischen Oktober 2018 und Februar 2019 organisiert. Die für alle Interessierten offene Lehrveranstaltung ist gut angenommen worden. Den Leserinnen und Lesern dieser Zeitung darf ich in der heutigen Nummer die Informationen zum Bartgeierjahr 2018 auf den aktuellen Stand bringen und einen Gesamtüberblick über das Wiederansiedlungsprojekt seit dessen Start im Jahr 1986 geben.

30 Jahre nach Projektbeginn
Der Bartgeier, fälschlich als Lämmergeier verschrien, ist in den Alpen 1930 ausgestorben. 1986 hat das Wiederansiedlungsprojekt begonnen. Die Gründertiere für die Wiederansiedlung stammten aus zoologischen Gärten. 1997, elf Jahre nach den ersten Freilassungen ist die erste Naturbrut erfolgt. Seit Beginn des Wiederansiedlungsprojektes sind insgesamt 223 nicht ganz flügge Jungvögel aus Volieren-Zuchten in künstlichen Horstnischen an verschiedenen Freilassungsorten in den Alpen freigelassen worden und 233 Junggeier aus Naturbruten ausgeflogen. Die Gesamtübersicht über die Jahre 19986-2018 zeigt die graphische Darstellung. Die roten Säulen sind die Freilassungen, die blauen die Naturbruten.

Die Freilassungen 2018
Im vergangenen Jahr sind an 4 verschiedenen Freilassungsorten insgesamt 9 Junggeier aus Zoozuchten in die Freiheit entlassen worden: 2 im Nationalpark Hohe Tauern, 2 in Melchsee Frutt im Schweizer Kanton St. Gallen, 3 im französischen Baronnies und 2 im spanischen Maestrazgo. Dabei war Maestrazgo das erste Mal unter den Freilassungsorten. Der Brückenbau zwischen den noch existierenden spanischen Bartgeierpopulationen in den Pyrenäen und in Andalusien ist die Begründung für die Wahl dieses Freilassungsortes.  Der Freilassungsort im Nationalpark Hohe Tauern liegt am östlichen Alpenrand. So wie der Schweizer Freilassungsort wurde er bewusst gewählt, um die genetische Variabilität der inzwischen territorialen Freilandgeier durch freigelassene Geier aus Kunstbruten zu erhöhen. Der französische Freilassungsort am äußeren Rand der Westalpen soll den Zusammenschluss der Metapopulation in den Alpen mit jener in den Pyrenäen erleichtern.

Die Naturbruten 2018
Im vergangenen Jahr 2018 hat das Internationale Bartgeier Monitoring (IBM) insgesamt 57 Bartgeierterritorien erfasst und die Paare darin beobachtet. In den Alpen sind 29 junge Bartgeier aus Naturbruten flügge geworden. Dabei haben 52 Bartgeier-Paare eine Brut begonnen. Mit knapp 56% war der Aufzuchterfolg damit niedriger als in den vergangenen Jahren. Die Alpen DSC 17750003erwiesen sich auch im vergangenen Jahr als gutes Bartgeier-Gebiet: 83% der 29 ausgeflogenen Junggeier sind in den Alpen flügge geworden, 13 Geierjunge davon in den Zentralalpen. Damit bestätigen sich die Zentralalpen als eine Kernzone für die Wiederansiedlung  des Bartgeiers und die Stabilisierung seiner Population. Die guten Dichten erklären sich aus dem guten Nahrungsangebot und der Eignung der Täler in den Zentralalpen als Lebens- und Brutgebiet: Aus den hohen Dichten der Huftierarten unter den Wildtieren (Rotwild, Gämse und Steinwild) sowie den hohen Zahlen an gesömmerten Almtieren (Schafe und Ziegen) entstehen auch beträchtliche Zahlen an Fallwild und verunfallten Almtieren und damit eine gute Nahrungsbasis für die Bartgeier als Knochenverwerter und Endglieder der Nahrungskette. Und die gute Mittagsthermik mit warmen Aufwinden an den steilen Felswänden in den Schluchttälern begünstigt den Segel- und Gleitflieger Bartgeier.  
In vier alpinen Territorien ist es 2018 zu neuen erfolgreichen Bruten gekommen: Schnals, Ova Spin (CH), Malaval und Pralognan (F). 11 Paare haben ihr Junges während der Brutphase verloren, 4 Paare hingegen in den ersten Tagen nach dessen Schlupf.

Die Bartgeier im Dreiländereck
Zwanzig Jahre nach der ersten Naturbrut 1998 des Paares Bormio im Brauliotal leben in den Zentralalpen 21 Bartgeierpaare, welche geschlechtsreif und potentiell fortpflanzungsfähig sind. Von diesen Paaren haben 12 Paare ihr Territorium im Kanton Graubünden und 9 im Nationalpark Stilfserjoch und im Vinschgau. Die Graubündner Geierpaare waren 2018 sehr erfolgreich: 8 von ihnen haben den Jungvogel bis zum Ausfliegen gebracht, 4 Bruten sind missglückt.    
Die 9 Bartgeierpaare, welche ihre Territorien innerhalb der Grenzen des Nationalparks Stilfserjoch haben, zogen im vorigen Jahr 4 Junge bis zum Ausfliegen auf. 2018 wieder erfolgreich waren die Paare Bormio (Weibchen Stift und Männchen Tell), Valfurva (Weibchen Felix 2001 und Männchen Heinz 2007) und Livigno (Weibchen Moische 1991 und Männchen Cic 1993). Das Territorien Livigno ist seit 1999 besetzt, jenes in der Valfurva seit 2002. Beide gehören zu den erfolgreichsten und produktivsten Brutrevieren, sind doch in den vergangenen Jahren je 16 Jungvögel flügge geworden. Das Weibchen Stift, geboren 2002, stammt aus einer Freilassung im Marteller Schludertal: Der damalige Senator Hans Rubner hatte es als Präsident der sponsernden Südtiroler Sparkasse mit diesem Namen benannt.  
Auffallend ist schon seit Jahren die zeitlich frühe Eiablage des Paares Bormio, welche 2018 mit dem 26. November noch früher als sonst erfolgt ist. Diese frühe Eiablage stellt alpenweit einen Rekord dar. Im Mittelwert erfolgt die Eiablage um den 3. Jänner.
Auch das Weibchen Jo 1992 des Paares Ortler Trafoi hat mit dem 25. Dezember 2017 früh abgelegt. Das Männchen dieses Paares ist genetisch noch nicht identifiziert. Das Paar hat sich 2016 gebildet und auch schon erfolgreich gebrütet. Leider ist die Brut 2018 misslungen.

Die Bartgeier im Vinschgau
Im Vinschgau haben sich inzwischen 4 Bartgeier-Paare angesiedelt, zwei innerhalb der Grenzen des Nationalparks Stilfserjoch und zwei außerhalb. Dabei haben 2018 die Paare Martell und Schnals ihr Junges erfolgreich bis zum Ausfliegen aufgebracht, die Bruten im Trafoital und im Obervinschgau sind 2018 nicht erfolgreich gewesen. Das Marteller Paar hat seit der ersten Brut Fig4 Rel vs wild 20181206im Jahr 2015 in vier Jahren viermal erfolgreich gebrütet und gehört damit zu den produktivsten Paaren.
Zum wiederholten Mal misslungen ist die Brut des Obervinschgauer Paares, welches im letzten Jahr um den 30. Dezember 2017 Eier abgelegt hatte. Der Horst ist nicht einsehbar, aber aus dem Verhalten der Vögel wird angenommen, dass es auch diesmal zu keinem Schlupf gekommen ist. Das Männchen des Paares ist genetisch identifiziert. Es handelt sich um Blick, freigelassen im Jahr 2007.
Gute Nachrichten sind vom Schnalser Paar zu vermelden, weil es 2018 seinen ersten Jungvogel erfolgreich aufgezogen hat. Das Paar hat sich 2017 aus einem subadulten Männchen und einem adulten Weibchen neu gebildet, nachdem im Sommer 2014 einer der beiden Partner des vorausgehenden Schnalser Paares verschwunden war.
Die Bartgeier-Dichte ist im Vinschgau inzwischen gut und die Wahrscheinlichkeit, dass man die Bartgeier im Gleitflug beobachten kann, dementsprechend hoch.

Philopatrie
Als Philopatrie bezeichnet man die Heimatverbundenheit zum Freilassungsort. Von 29 genetisch identifizierten Bartgeiern zeigten 22 (gleich 76%) ein philopatrisches Verhalten, indem sie sich als geschlechtsreife Vögel innerhalb 50 km von ihrem Freilassungs- oder Geburtsort ansiedelten. Die restlichen 7 Vögel (24%) der genetisch identifizierten sind entweder Auswanderer oder Einwanderer. Die Philopatrie könnte aus evolutionärer Sicht vorteilhaft sein, weil sie langfristig eine genetische Anpassung an die Lebensraumbedingungen des Geburtsortes garantiert.

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