Dienstag, 05 Juli 2016 09:26

Nationalpark Stilfserjoch - Motorradfahren auf der Stilfserjochstraße - Auch ein Freiheitsgefühl in der Natur

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DSC 6569Wolfgang Platter, am Tag der Hlg. Petrus und Paulus, 29. Juni 2016

Als  im fernen Jahr 1825 die Passstraße über das Stilfserjoch nach nur dreijähriger Bauzeit für den Verkehr geöffnet wurde, fuhr zunächst tägliche die von Pferden gezogene Postkutsche von Spondinig über das damals „Ferdinandshöhe“ benannte Joch nach Bormio und gleichentags wieder zurück. Es gab noch keine Autos oder motorbetriebenen Fahrzeuge.


Im Jahre 2015 wurden an der automatischen Zählstelle im Gomagoi 57.899 Motorräder und 116.994 Autos in Richtung Stilfserjoch erfasst. Aktuelle Daten können on line auf den Internet-Seiten des Südtiroler Landesinstitutes ASTAT im Themenfeld Verkehr abgerufen werden. Noch ein Zahlenbeispiel: Am Hochunserfrauentag, 15. August 2015 sind 314 Motorräder und 927 Personenwagen auf der Vinschgauer Rampe zum Stilfserjoch gefahren.

Motorradfahren im Nationalpark
Die Stilfserjoch-Passstraße mit ihren  teilweise Himmelsleiter gleichen Kehren, deren 48 die Straße von Projektant und Bauleiter Carlo Donegani auf der Vinschgauer Seite und deren 40 auf der Veltlintaler Rampe aufweist, gehört unter den Motorradfahrern zu den Höhepunkten einer Mehrpässe-Tour in den Zentralalpen. Dabei genießen die Motorradfahrer nicht nur die Fahrphysik, sondern verbinden das anspruchsvolle Kurvenfahren mit einem Natur- und Landschaftserlebnis.
Im Atlas des Schweizerischen Nationalparks, der zum 100-jährigen Bestehen desselben im Jahre 2014 veröffentlicht worden ist, beschreiben Flurin Fili und Andrea Jauss unter dem Titel „Motorradfahren im Schweizer Nationalpark – Auch ein Freiheitsgefühl in der Natur“ einige Ergebnisse von Messungen der Lärmemissionen, welche 2012 am Ofenpass durchgeführt worden waren, und von Befragungen unter Motorradfahrern und anderen Nationalparkbesuchern.

Die Aufwertung der Stilfserjochstraße
Unter den Nachbarn im Münstertal, Vinschgau und Oberen Veltlintal gibt es eine Arbeitsgruppe, welche derzeit über den Ansatz zur Bemautung der Stilfserjochstraße hinaus an Vorschlägen zur touristischen Nutzung der Stilfserjoch-Straße arbeitet und diese Vorschläge den jeweiligen Landesregierungen unterbreiten wird. Es gibt auch den Ansatz, die Stilfserjoch-Passstraße bei der UNESCO als Weltkulturerbe vorzuschlagen.
Die Landesregierung unter Landeshauptmann Dr. Luis Durnwalder hat seinerzeit das Konzept einer interdisziplinären Arbeitsgruppe, welche von Dr. Ing. Siegfried Pohl und Univ. Prof. Arch. Kjetil Thorsen (Oslo/Innsbruck) geleitet wurde und in der ich mitarbeiten durfte, gutgeheißen und genehmigt, welches die bauliche Sanierung der Stilfserjoch-Straße auf der Vinschgauer Rampe unter Beibehaltung des Trassenverlaufes und der Kurvenradien vorsieht und die DSC 7226Straße als Erlebnis- und Panoramastraße erhalten und bewerben will. Mit der Realisierung des Kreisverkehrs in Spondinig, der Dachsanierung an der Festung in Gomagoi, der Realisierung des Parkplatzes in Gomagoi und des Panoramabalkons im Oberen Trafoital sind erste bauliche Maßnahmen dieses Konzeptes umgesetzt werden. Eine Triebfeder zur Aufwertung der Straße als technisches Meisterwerk mit historischer Dimension ist immer wieder Architekt Dr. Arnold Gapp aus Sulden. Im Konzept Pohl/Thorsen kommt der Festung Gomagoi eine besondere Rolle zu gleichsam als Einfahrtstor, Dokumentationsstelle und Treffpunkt für die Fahrt über die bergseitige Erlebnisstraße. Für die Motorradfahrer könnte dieser Ort eine Art „Basiscamp“ darstellen für den Beginn eines gemeinsamen Abenteuers oder anders ausgedrückt für den Übertritt vom Individualismus in das Gruppenerlebnis so wie bei einer Seilschaft von Tourengehern.

Der Stellenwert im Strategiepapier
Im Strategiepapier für die zukünftige Positionierung des Nationalparks Stilfserjoch nach dem Übergang der Kompetenzen vom Staat an die Länder, das Landesrat Dr. Richard Theiner für den Südtiroler Parkanteil angeregt und intensiv mitverfolgt hat, wird der Stilfserjoch-Straße ein bedeutendes Potential und eine Magnetwirkung zuerkannt. Die Straße soll demnach durch die Vinschgau Tourismus Marketing verstärkt beworben und in verschiedene Angebote eingebaut werden.

Was andere haben, haben wir auch
Der Nationalpark Hohe Tauern streicht unter seinen Alleinstellungsmerkmalen auch die Großglockner-Hochalpenstraße als Panorama- und Erlebnisstraße und den Großglockner als höchsten Berg Österreichs hervor. Gleichwertiges haben wir Vinschgauer im Nationalpark Stilfserjoch mit der Passstraße zum Joch und mit dem Ortler als den höchsten Berg der Ostalpen zu bieten. Also sollte es uns in der gemeinsamen und verstärkten Bemühung zwischen Politik, Tourismuswirtschaft, Ökologie, Technik, Kunst und Geschichtsforschung auch gelingen, Bedeutendes und Attraktives zu schaffen und das große Potential der Straße vertretbar, respektvoll und nachhaltig zu nutzen.

Noch einmal Motorräder
Die bereits eingangs zitierten Flurin Fili und Andrea Jauss haben in ihrem Beitrag zum Motorradfahren im Atlas des Schweizer Nationalpark zu dessen 100. Geburtstag im Jahr 2014 kritische Reflexionen und Interessantes publiziert. Ein paar Auszüge aus ihrem Beitrag möchte ich als Gedankensplitter für die interessierten Leserinnen und Leser zitieren.
Zum Lärm: „Im tiefen Geschwindigkeitsbereich (70-100km/h) sind die durchschnittlichen Lärmemissionen von Motorrädern und Personenwagen nahezu identisch. Bei höheren Geschwindigkeiten steigen die Motorrademissionen stärker an und weisen bei 140 km/h eine Differenz zu den PKW von rund 3 Dezibel auf. Zusätzlich ist der Tieftonanteil bei Motorrademissionen größer. Diese Frequenzen werden schwächer gedämpft und somit weiter getragen, der Lärm ist folglich großräumiger hörbar.“
Zum Motorradfahren im Schutzgebiet Schweizer Nationalpark: „Die Befragung am Ofenpass ergab, dass sich Motorradreisende bewusst waren, dass sie ein Naturschutzgebiet durchfuhren und dass sich andere an ihrem Lärm und Fahrverhalten stören könnten. Die Mehrheit sah die Wahl ihres Verkehrsmittels nicht im Widerspruch zum Naturschutz. Dennoch äußerten einige Bedenken: ein persönlicher Konflikt zwischen individueller Bewegungsfreiheit und der eigenen Naturverbundenheit wurde sichtbar.“
Es gibt verschiedene Arten von Freiheitsgefühl: „Die Motorradreisenden genießen das Unterwegssein und das damit verbundene Freiheitsgefühl. Dabei entsprechen sie mit ihrem Verhalten, welches in vielem sehr anspruchslos ist, jenem Aspekt der Wildnis, zu welchem das Nomadentum und die Ungebundenheit gehören. Während ihrer Ausflüge können Motorradfahrer gesellschaftlichen Zwängen entfliehen. Dabei treffen sie im Schweizer Nationalpark auf Besucher, welche ebenfalls Wildnis, aber in Form von sich selbst überlassener Natur erleben wollen. Diese streifen die gesellschaftlichen Zwänge nicht ab, im Gegenteil, sie nehmen sogar sehr strenge Verhaltensregeln auf sich, die sie erst noch als angemessen erachten. Zwei Gesellschaftsschichten suchen folglich auf engem Raum das Gleiche, aber auf eine unterschiedliche Art und Weise.
So wie sich die Motorräder entwickelt haben, hat sich auch die Motivation zum Motorradreisen in den letzten Jahren verändert. Der technische Fortschritt und Lärmvorschriften ermöglichen hoffentlich in –Zukunft die Entschärfung des Konfliktes.“

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