Kultur: „Ich kann eigentlich fliegen“

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Maren Schuler und Hannah Spath mit Anna Faccin in Staben Maren Schuler und Hannah Spath mit Anna Faccin in Staben

Wie der Alltag von Anna Faccin als Schmetterlingskind abläuft, was ihr Flügel verleiht und worauf sie stolz ist.

Fotos und Text: Hannah Spath & Maren Schuler

Lässig liegen ihre Hände in ihrem Schoß, das Zwitschern einzelner Vögel erfüllt die Luft und die warmen Sonnenstrahlen, die sich um Annas Gesicht schmiegen, verleihen ihren hellbraun gesprenkelten Augen einen fröhlichen Glanz. Sie strahlt Selbstsicherheit und Offenheit aus, als sie mit geraden Schultern vor uns im Stabner „Postladele“ sitzt, ein Turbantuch in hellen, freundlichen Farben gekonnt um den Kopf gewickelt. Zur Begrüßung streckt sie mir höflich die zarte Hand entgegen, ihr Händedruck ist sehr sanft. Ihre Hand fühlt sich leicht wie eine Feder an. Durch das freundliche Lächeln wirkt Anna gelassen und aufmerksam, gelegentlich klettert ihr Kind auf ihrem Schoß herum, welches sie durch liebevolle und geduldige Ermahnungen ruhig hält.
Die gebürtige Toblacherin Anna Faccin, 34, ist ein Schmetterlingskind. Sie lebt wie ca. 30 weitere Südtiroler:innen seit ihrer Geburt mit Epidermolysis Bullosa (EB). Eine sehr seltene, unheilbare s27 tattooHauterkrankung, bei der aufgrund eines fehlenden Proteins in der Haut die Hautschichten nicht ausreichend miteinander verbunden sind. Dadurch ist die Haut sehr brüchig und schmerzanfällig und neigt zu Blasenbildung. Man nennt die Betroffenen Schmetterlingskinder, da ihre Haut so verletzlich ist wie die dünnen Flügel eines Schmetterlings. Kognitiv verursacht EB keinerlei Einschränkungen.
„Jo guat, wia geatn des mit der Erkronkung?“, leitet Anna unser Gespräch ein. Sie erzählt uns von ihrem Alltag mit EB. Als sie 1990 zur Welt kam, wusste niemand von ihrer Erkrankung und es war ein Schock für alle, da es damals kein Internet gab und man fast nichts über EB in Erfahrung brachte. Ihre Kindheit beschreibt die Toblacherin dennoch als liebevoll und glücklich. Auch wenn die Schulzeit nicht immer einfach war, stand Annas Mutter immer hinter ihr und ermutigte sie dazu, ihren Mitmenschen mit Offenheit und Geduld zu begegnen. Man kann ihr ansehen, dass es für sie von Bedeutung ist, ihre Geschichte mit uns zu teilen.
Sobald Anna von ihren eigenen Kindern erzählt, breitet sich ein warmes Lächeln über ihr Gesicht aus. Das Eis im Glas, das vor uns auf dem Tisch steht, ist inzwischen geschmolzen. Der leichte Duft nach Pistazie liegt in der Luft und die neugierigen Augen ihres Kindes richten sich auf die Süßigkeit. Leise klirrt der Metalllöffel an die Wände des Glases, als Anna ihr flüssiges Eis umrührt, um es nun zu schlürfen. Ihr Sohn beteiligt sich wissbegierig am Gespräch, der Kleine kann bereits ganz von selbst erklären, welche Erkrankung seine Mutter hat und was sie braucht. In den Augen seiner Mutter leuchtet Stolz und sie kann sich ein kurzes Schmunzeln kaum verkneifen.
Patienten mit EB müssen ihre Wunden tagtäglich selbst verbinden, dazu braucht es einen Spezialverband. Gemeinsam mit ihrer Familie lebt Anna in Staben. Dort ist ihr Alltag ähnlich wie jener von anderen Familien, es wird gespielt, geputzt, gekocht usw. Nur das tägliche Verbinden sei ein weiterer Punkt auf ihrer Tagesordnung, ansonsten seien sie eine Familie wie jede andere.
Doch ein Merkmal trägt sie an sich, das auf den ersten Blick vielleicht für Verwunderung sorgt. Sofort fallen die vielen Tattoos mit unterschiedlichsten Motiven, die Annas Oberarme schmücken, ins Auge. Auch wir waren anfangs erstaunt darüber. Wie ist das möglich? Tattoos trotz einer Hauterkrankung? Annas Haut sei sowieso „anders“ und deswegen habe sie sich dazu entschieden, Tattoos stechen zu lassen, wohl wissend, dass sie aufgrund der ständigen Wunden mit der Zeit verblassen und sich verändern würden.
Ein Tattoo mit besonders großer Bedeutung für sie ist der Stuhl mit Flügeln auf ihrem linken Oberarm. Die spanische Künstlerin Nina Roma, ebenfalls ein Schmetterlingskind, hat das Motiv entworfen. Es steht für die vielen Stühle in unserem Leben, die uns in bestimmten Situationen begleiten und uns „fliegen lassen“. Sei es der Stuhl am Küchentisch, der Stuhl im Krankenhaus, der Stuhl in der Uni, worauf man lernt, oder eben der Rollstuhl, der an persönliche Traumorte hinführt. Bei einem genaueren Blick kann man erkennen, wie sich bereits rötliche Wunden um den Stuhl gebildet haben. Zufrieden blickt Anna auf das kleine Kunstwerk auf ihrer Haut und zeigt es voller Stolz in die Kamera.
Der unbeschwerte Geruch nach Sommer und Eis hat sich auf der kleinen, mit Stein gepflasterten Terrasse breitgemacht, warme Sonnenstrahlen kitzeln auf unseren Nasen. Durch die einladende Atmosphäre und das angeregte Plaudern einiger Frauen am Nebentisch ist die Stimmung fröhlich und entspannt. Anna erzählt uns einiges über DEBRA. Der Verein DEBRA ist ein ehrenamtlicher Verein, der von Spendengeldern lebt und sich dafür einsetzt, eine bessere Lebensqualität für Menschen mit EB und deren Angehörige zu erreichen. Mit Frau Faccin als Präsidentin unterstützt DEBRA Familien, die beispielsweise einen Rollstuhl anschaffen müssen, einen speziellen Laptop, der das Tippen erleichtert, eine Perücke, damit man die Chance bekommt, sich in seiner Haut wohler zu fühlen, besonders weiche Kleidung und vieles mehr. In Südtirol besteht der Verein nun seit 20 Jahren und ist einer von vielen DEBRA Organisationen, die es weltweit gibt. Durch DEBRA Familientreffen wird der Austausch gefördert, man wird inspiriert von den Erlebnissen und Träumen anderer. Dadurch findet man oft neue Kraft, den Alltag mit EB zu meistern, das Allerbeste daraus zu machen und über seine Grenzen hinaus zu wachsen.
Als die Ärzte damals bei Annas Geburt nicht sicher waren, wie lange und ob sie überhaupt überleben kann, rieten sie ihren Eltern: „Leb‘ es jeden Tog, sou wia er kimp!“ Trotz all den Herausforderungen in Annas Leben hat sie nie aufgegeben und steht heute hier, um allen zu zeigen, wie sie sich ihr Leben erkämpft hat und damit anderen Schmetterlingskindern Hoffnung schenkt.

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