Trotz Corona - Der Schulbetrieb läuft im Münstertal fast normal

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Die Klassenräume sind recht groß, die Schülerzahlen klein. So kann der Unterricht wie früher durchgeführt werden. Jeder Schüler teilt sich die Schulbank mit seinem Banknachbarn, ohne Maske. Hinten stehend: der Schulleiter und Lehrer Thomas Brülisauer (rechts) und der Lehrer der 6. Primarschulklasse Chasper Stuppan Die Klassenräume sind recht groß, die Schülerzahlen klein. So kann der Unterricht wie früher durchgeführt werden. Jeder Schüler teilt sich die Schulbank mit seinem Banknachbarn, ohne Maske. Hinten stehend: der Schulleiter und Lehrer Thomas Brülisauer (rechts) und der Lehrer der 6. Primarschulklasse Chasper Stuppan

Val Müstair - Am Montag, den 11. Mai wurde in der Schweiz der reguläre Schulbetrieb in den Pflichtschulen wieder aufgenommen. Die Gymnasien und Berufsfachschulen begannen am 8. Juni mit dem Unterricht in den Schulen. In Österreich kehrten die ersten Schüler am 4. Mai in ihre Schulen zurück. Zuerst nur die Maturanten und Abschlussklassen, ab 18. Mai die Volksschüler und die Schüler der neuen Mittelschulen und ab 3. Juni die restlichen Schüler. In Italien blieb die Schule vom 5. März bis Schulende für alle Schüler und Schülerinnen geschlossen

von Heinrich Zoderer

In einem Grenzgebiet erlebt man am besten die Unterschiede, man hört die Entscheidungen in den einzelnen Staaten und versteht nicht warum die verschiedenen Behörden zu ganz anderen Lösungen kommen, obwohl die Problematik mehr oder weniger dieselbe ist. Während in Österreich die Maturaprüfungen nur in schriftlicher Form erfolgen, gibt es in Italien nur mündliche Maturaprüfungen. Unverständlich ist auch, warum die Maturanten in Italien zu den Prüfungen in ihre Schulen kommen und in physischer Präsenz vor einer 7-köpfigen Prüfungskommission das rund einstündige Prüfungsgespräch ablegen, während die Mittelschüler über Videokonferenzen ihre vorbereitete Facharbeit in rund 10 Minuten den Klassenräten (10 bis 12 Personen) präsentieren mussten. Sehr interessant ist immer wie unsere Schweizer Nachbarn reagieren. Meistens haben die Schweizer bürgerfreundliche und nachvollziehbare Lösungen. Viele Entscheidungen werden nicht zentralistisch verordnet, sondern vor Ort umgesetzt. Von oben wird nur der Rahmen vorgegeben bzw. Richtlinien werden festgelegt. Die Umsetzung erfolgt pragmatisch und mit Hausverstand, angepasst an die örtlichen und regionalen Gegebenheiten.
Ich staunte nicht schlecht als ich am 17. Juni die Primarschule in Müstair besuchte, um mit dem Schulleiter und Lehrer für Informatik und Medienkunde, Geografie, Zeichnen und Werken, Thomas Brülisauer, ein ausführliches Gespräch über den Schulbetrieb in Coronazeiten zu führen. Alle Schüler befinden sich genauso wie vor der Schulschließung wieder in ihren Klassen, es gibt einen regulären Unterricht mit demselben Stundenplan wie vorher. Auch der Nachmittagsunterricht von Montag bis Freitag (ausgenommen Mittwoch) wird wie vor Corona durchgeführt. Als um 11:45 Uhr die Schulglocke läutete, verließen alle 62 Primarschüler das Schulhaus. Sehr viele stiegen in den Schulbus ein, der sie nach Hause zu ihren Eltern brachte. Die Schüler saßen nebeneinander im Schulbus, so wie vorher, ohne Masken. Am selben Tag war ich in der Früh in meiner Schule bei der Zeugnisverteilung. Mehrere Lehrpersonen waren anwesend und sahen nach über drei Monaten das erste Mal wieder ihre eigenen Schüler. Im Halbstundentakt wurden die Zeugnisse im Freien verteilt, Klasse für Klasse. Die Schüler kamen einzeln, alle mit Masken, im Abstand. Die Lehrerin, die die Zeugnisse verteilte, hatte Handschuhe an, auch alle Lehrpersonen trugen Masken. Andere Schulen haben die Zeugnisse gar nicht verteilt, sondern digital verschickt.

 

Schule Val Müstair: 3 Standorte, 106 Schülerinnen und Schüler, 23 Lehrpersonen

 

s7 schuleDas größte Problem der Schule im Münstertal ist in diesen Zeiten ihr größter Vorteil. Die sinkende Kinderzahl hat zur Folge, dass es kleine Klasse gibt und durch die drei Standorte sind die wenigen Schüler auf das ganze Tal verteilt. Der Kindergarten mit 11 Kindern befindet sich in Valchava, die drei Klassen der Oberstufe mit 33 Kindern in Sta. Maria und die 62 Grundschüler (in der Schweiz nennt man sie Primarschüler) von der ersten bis zur sechsten Klasse sind im Schulgebäude von Müstair untergebracht. In den relativ großen Klassenräumen sind nur 9 bis 11 Schüler. Da ist es leicht Abstand zu halten. Durch die Corona-Pandemie wurde natürlich auch die Schweiz nicht verschont. Am 13. März wurde vom Bundesrat bekannt gegeben, dass ab Montag, den 16. März alle Schulen in der Schweiz geschlossen werden. In Italien wurde die Mitteilung der Regierung über die Schulschließungen am 4. März am Abend bekannt. Am nächsten Tag waren alle Schulen geschlossen. In Müstair lud der Schulleiter Thomas Brülisauer wenige Tage nach der Schulschließung seine 23 Lehrpersonen noch zu einer Schulkonferenz ein, um die Situation zu besprechen und den Fernunterricht in groben Zügen zu planen. Die Schüler durften zu Beginn der Coronaferien gestaffelt ihr Schulmaterial von der Schule holen. Anfang April wurde dann mit dem Fernunterricht begonnen. In regelmäßigen Videokonferenzen besprachen die Lehrpersonen über Google Meet die Situation und trafen die notwendigen Entscheidungen. Im Schulsprengel Schlanders musste eine geplante Konferenz am 4. März abgesagt werden. Viele Schüler und Lehrpersonen hatten Hefte, Bücher und andere Unterlagen in der Schule und durften sie nicht holen. Thomas Brülisauer berichtete, dass die Lehrpersonen der Primarschule ihren Schülern Arbeitsblätter und andere Unterlagen zu Hause vorbeibrachten und die bearbeiteten Unterlagen einsammelten. Außerdem wurde mit den Schülern bzw. den Eltern über Telefon, WhatsApp oder E-Mail kommuniziert. Bei den Schülern der Oberstufe (14 – 16 Jahre) wurde alles digital abgewickelt. Die Schulen in Graubünden befinden sich momentan in einer dreijährigen Umsetzungsphase. Bis 2021 soll ein neuer Lehrplan (LP21) erprobt werden. Unter anderem wird das neue Fach Medien und Informatik eingeführt und damit hält auch die Digitalisierung verstärkt Einzug in den Schulalltag. Alle Schüler der Oberstufe erhalten von der Schule als Leihgabe ein Chromebook. Das ist ein schlanker, aber schneller und kostengünstiger Laptop mit dem Betriebssystem Chrome OS, das von Google entwickelt wurde. Die Schule in Sta. Maria ist auch mit W-Lan ausgestattet, so dass der Laptop im Unterricht problemlos eingebaut wurde und so der Umgang mit den neuen Medien bereits zum Alltag gehörte. Im Fernunterricht wurde mit Google Classroom gearbeitet, eine Internetplattform, die Google speziell für die Kommunikation zwischen Schülern und Lehrpersonen entwickelt hat.

 

56 Tage kein Unterricht in der Schweiz – 104 Tage waren es in Südtirol

 

Vom 16. März bis 8. Mai waren in der Schweiz die Schulen geschlossen. Das sind insgesamt 56 Tage, davon 36 Schultage. In Müstair war die Schule zwei Wochen länger geschlossen, weil in der Woche vor dem 16. März die regulären Winterferien und in der Woche nach dem 8. Mai die Frühlingsferien waren. Insgesamt hat das Schuljahr in Graubünden 38 Schulwochen bzw. 183 Schultage vom 19. August 2019 bis 26. Juni 2020. In Südtirol hat das letzte Schuljahr am 5. September begonnen und am 16. Juni geendet. Das waren 176 Schultage. Durch Corona sind seit dem 5. März insgesamt in Südtirol 67 Schultage ausgefallen. Große Schulveranstaltungen, Klassenreisen, Sprachaufenthalte und Elternveranstaltungen sind auch in der Schule in Val Müstair ausgefallen. Die beiden mehrtägigen Ausflüge der Abschlussklassen der Primarschule und der Oberstufe will man aber trotzdem durchführen. Es wird aber ein Ausflug innerhalb der Region. In allen Klassen und auch beim Schuleingang in Müstair gibt es Flüssigseife, Papierhandtücher und Desinfektionsmittel. Die Klassen- und Fachräume müssen regelmäßig gelüftet und desinfiziert werden. Die Schule stellt für Lehrpersonen Masken zur Verfügung, aber niemand muss sie tragen. In der Oberstufe wurde das Singen eingestellt und beim Sport wird darauf geachtet zu starken Kontakt zu meiden. So werden die allgemeinen Corona Hygienevorschriften und Richtlinien des Bundes und der Kantonalverwaltung eingehalten. Schulleiter Thomas Brülisauer berichtet auch, dass zu Beginn der Wiederaufnahme des Unterrichts in den Klassen ein Abstand von 2 Metern eingehalten werden musste. In Österreich wurden bei der Wiederaufnahme des Unterrichts die Klassen geteilt und ein Schichtunterricht eingeführt. Ein Teil der Klasse hat von Montag bis Mittwoch Unterricht, der andere Teil am Donnerstag und Freitag und in der darauffolgenden Woche umgekehrt. In Südtirol und wahrscheinlich in ganz Italien tüfteln die Verantwortlichen des Schulbetriebes nach neuen Schulformen für das kommende Schuljahr. In den Pflichtschulen soll nach Möglichkeit Präsenzunterricht gemacht werden, in den Oberschulen wird es eine Mischung aus Präsenz- und Fernunterricht. Es soll keinen Nachmittagsunterricht geben, keinen Mensadienst und keine Wahlpflicht- und Wahlfächer. Deshalb muss der Unterricht in allen Fächern reduziert werden. Da der Abstand von 1 Meter eingehalten werden muss, müssen auch die Schülerzahlen der einzelnen Klassen verkleinert werden. Deshalb werden neue Unterrichtsräume benötigt. Diskutiert wird über gleitende Einstiegs- und Ausstiegszeiten, um große Ansammlungen von Schülern zu vermeiden. Der Schülertransport wird zu einer großen Herausforderung. Während in der Schweiz das Unterrichtskonzept für das nächste Schuljahr steht, ist in Italien und auch bei uns in Südtirol noch vieles offen. Die Schweizer Lehrpersonen können gelassen dem Unterrichtsbeginn des nächsten Schuljahres am 17. August 2020 entgegensehen. Bei uns wird der Unterrichtsbeginn am 7. September möglicherweise noch einige Überraschungen bringen. Und für das nächste Schuljahr wird vor allem eines wichtig: Kreativität

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