Mittwoch, 27 Juni 2012 00:00

Literatur an der Grenze

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Mals/Müstair

s22_1001s22_1002Vinschgerwind: Herr Perting, haben Sie das Publikum überfordert?
Hans Perting: Das glaube ich nicht. Alle Autorinnen und Autoren, die eingeladen waren, haben ihre Lesungen und Performances so gestaltet, dass diese nicht für ein Sachpublikum, sondern für ein breites Publikum gedacht waren. Aber es waren natürlich auch gewagte Experimente dabei, etwa die Literatur-Performance von Lissy Pernthaler.

War nicht die gesamte Veranstaltung ein Experiment?

Hans Perting: Ein geplantes Experiment, ja. Und jede Veranstaltung dieser Art entwickelt immer eine Eigendynamik, sodass man bei aller Planung nie genau sagen kann, wo man landen wird.
 

Wenn Sie das Publikum charakterisieren würden...
Hans Perting: Das ist schwierig. Ein Kern von rund 50 Leuten war bei fast allen Veranstaltungen dabei. Zwei Drittel Frauen, ein Drittel Männer, und dann sind noch zu jeder Veranstaltung weitere oft nur sachbezogen interessierte Leute gekommen. Bei der Hochgebirgswanderung waren es allerdings nur 10 Leute, weil ich diese literarische Wanderung ins Hochgebirge als extrem anspruchsvoll ausgeschrieben hatte, und zwar aufgrund der Ausgesetztheit gewisser Passagen und aufgrund der heurigen Schneeverhältnisse. Diese 10 Teilnehmer waren dann aber total begeistert, sowohl von der Wanderung als auch vom Ex-Wilderer Horst Eberhöfer, der ja ein besonderer Typ sui generis ist.

Frau Tschenett, als Vorsitzende des Bildungsausschusses haben Sie das Organisatorische übernommen. War es schwierig, die Ideen von Hans Perting und das Auftreten der Autorinnen und Autoren organisatorisch zu begleiten?
Sibille Tschenett: Hans Perting und ich sind mittlerweile ein eingespieltes Team, das sich gegenseitig gut ergänzt. Wenn der Inhalt vorgegeben ist und die Begeisterung überschwappt, dann kann man auf viele freiwillige Helfer zählen. Das freut mich besonders. Und das hat alles geklappt. Das ganze Dorf hat mitgeholfen.

Hans Perting hat die Gabe der Begeisterungsfähigkeit...
Hans Perting: Ich stecke die Leute mit meinem Überschwang oft an, ob das gut oder schlecht ist, sei dahingestellt.  Den blauen Streifen mit der Aufschrift „Literatur an der Grenze“ haben die Geschäftsleute gern in ihre Schaufenster gestellt. Ich habe dann überdies berufsbezogene Inputs für besondere Sprüche gegeben, und dann hat sich eine tolle Eigendynamik entwickelt, sodass z.T. ganze Kunstwerke von Schaufenstern entstanden sind. Aber das ganze Dorf ist letztlich hinter der Veranstaltung gestanden. Die Menschen im Dorf haben sozusagen die eigenen Grenzen übersprungen und mitgemacht.
Sibille Tschenett: Die Literaturabende fanden zudem in einem sehr familiären Rahmen statt, in einem von Steiner Karlheinz perfekt arrangierten Kulturhaus, mit hochwertiger Musik, mit viel Kulinarischem.
Hans Perting: Und so sind die Teilnehmer am Ende der Veranstaltung nicht sofort heimgegangen, sondern sie sind sitzen geblieben, haben gemütlich mit den Autorinnen und Autoren geplaudert, haben untereinander diskutiert, etwas gegessen, etwas getrunken, z.T. bis weit nach Mitternacht.
Sibille Tschenett: Wären es ausschließlich Lesungen oder Vorträge gewesen, wären, so glaube ich, weniger Leute gekommen. Mit Musik, gemütlichem Sitzen und gutem Essen wurde die Hemmschwelle der Literatur gegenüber gesenkt.

Wie waren die Erfahrungen mit der Schweiz und im Münstertal?
Hans Perting: Ich habe die tägliche Begrüßung immer dreisprachig gehalten und dafür auch einige Sätze auf Rätoromanisch gelernt, eine Sprache, die ja bis ca. 1600 zum Großteil im oberen Vintschgau gesprochen worden ist. Und noch immer sind die meisten unserer Flurnamen rätoromanisch. Ewiger Dank und Lob ohne Ende gebührt dem evangelischen Pfarrer von St. Maria, Hans-Peter Schreich, der nicht nur zwei Veranstaltungen selber bestritten hat, sondern mir in allen „rätoromanischen Dingen“ wichtiger Berater war.
Ein bisschen enttäuscht war ich aber von der Teilnahme der rätoromanischen Nachbarn aus dem Münstertal. So sind z.B. vom Vinschgau etwa 20 Leute ins Münstertal zum Vortrag über die rätoromanische Geschichte und Literatur von Pfarrer Hans-Peter Schreich nach Valchava gefahren, aber es ist kein einziger Rätoromane aus dem Münstertal zu diesem Vortrag gekommen. Da war ich schon etwas baff. Zu den Vorträgen und Veranstaltungen im tirolerischen Vinschgau sind allgemein nur wenige Bewohner des rätoromanischen Münstertales gekommen, fast kamen mehr Rätoromanen aus Zernez und Scuol. Also etwas „an Grenze“, etwas an „Distanz“ zwischen deutschsprachigen und rätoromanischen Vintschgern habe ich da schon noch empfunden.

Die Literaturtage Mals 2014. Was wird da kommen?
Hans Perting: Viele Leute sagten am Ende der heurigen Literaturtage, dass sie sich schon auf 2014 freuen! Das ist natürlich eine Rückmeldung, die große Freude macht. Gedanken und Ideen in merito habe ich schon viele. Für 2014 sind die Überlegungen, auch die Fraktionen der Großgemeinde Mals, die ja von der österreichischen bis zur Schweizer Grenze reicht, mehr miteinzubeziehen. Warum, zum Beispiel, nicht Lyrik aufm Tartscher Bühel, Bergliteratur in Matsch und erotische Literatur in Planeil? (lacht). Ideen sind viele vorhanden, die Aus- und Brütung hat bereits begonnen.
Und wir als Veranstalter sollten uns auch überlegen, Begriffe wie „Literatur an der Grenze“ dauer-schützen zu lassen. Es wurde uns auch geraten, die dreisprachigen Literaturtage in Mals ähnlich wie die Toblacher Gespräche als einen Fixpunkt in Südtirol zu installieren.
Sibille Tschenett: Ich finde das eine gute Idee. Das wäre eine Klammer, innerhalb derer vieles Platz hätte.

Interview: Erwin Bernhart

Zeitung Vinschgerwind Bezirk Vinschgau


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