Dienstag, 19 März 2013 00:00

Versprühte Tatsachen

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Am 8. März fand die Veranstaltung der Umweltschutzgruppe Vinschgau (USGV) zum Thema des „zunehmenden Obstanbaues aus Sicht der Bevölkerung“ in Mals statt. Geleitet wurde diese von der Vorsitzenden Eva Prantl. Helmuth Pörnbacher, wissenschaftlicher Leiter der Apollis (Institut für Sozialforschung und Demoskopie Bozen) stellte das Ergebnis der Umfrage, die man zu diesem Thema in Mals durchführte, vor. Zum Vorschein kam, dass die Malser Bevölkerung zum biologischen Anbau tendiert, bzw. den Anbau neuer Kulturen als Nachteil empfindet, aufgrund des damit verbundenen Pestizideinsatzes. Auch das veränderte Landschaftsbild, sowie das Verdrängen der traditionellen Landwirtschaft wird als negativ beurteilt. 63,6% der 250 befragten Personen sind vollkommen bzw. eher schon für eine Bioregion Mals. Interessant ist dabei der Aspekt, dass die meisten dieser Personen selbst in Bezug zur Landwirtschaft stehen.

von Sylvia Ilmer Wieser

Zeitung Vinschgerwind Bezirk Vinschgau

Recht ruhig, aber keineswegs eintönig, verlief die anschließende Diskussion. Fragen wie: „Wer trägt Schuld, wenn jemand einen finanziellen Schaden durch Pestizidrückstände erleidet?“ oder: „Warum muss niemand für diese Schäden aufkommen?“,

fliegen durch den Raum, meist gerichtet an Karl Dietl, Obmann der VIP oder Andreas Tappeiner, welche ebenfalls bei der Veranstaltung anwesend waren. Auch Karl Primisser aus Prad ergriff das Wort und forderte endlich eine klare Gesetzgebung zum Schutz des biologischen Anbaues: „Mit Verordnungen ist es nicht getan.“ Tappeiner warf ein, dass die sachliche Ebene zu oft verlassen würde und dass allgemein eine subjektive Einschätzung der Tatsachen verbreitet werde: „Es bleibt die Entscheidung des Grundbesitzers selbst, was er aus seinem Besitz macht, dies muss auch in Zukunft so bleiben.“ Aegidius Wellenzohn erklärte, man müsse sich energischer an die Gemeinden wenden, dort beharrlicher sein, wobei ein Malser Gemeindevertreter darauf hinwies, dass die Gemeinden keinerlei Kompetenzen im Bereich der Abstandsregelungen haben, diese bestimmt das Land. Peter Gasser, langjähriger Vorsitzender der USGV, wies auf das Beispiel Malosco hin und meinte: „Die Gemeinden mögen sich so langsam schon rühren.“ Nicht Aggressivität, eher ein Hauch von Verzweiflung war im Laufe der Diskussion zu spüren. Keiner will streiten, keiner will der Böse sein. Verlangt wird eine Problemlösung durch Erlassung von fairen Gesetzen. Fair ist natürlich ein weitläufiger Begriff, fair gegenüber der Wirtschaft oder fair zur Umwelt? Darüber scheiden sich die Geister. Und in diesem Fall heißt das Lösungswort wohl, einen Geist zu brechen, den einen oder den anderen, den konventionellen oder den biologischen. Denn ein Miteinander bzw. Nebeneinander wird schwierig.
Laut Andreas Tappeiner setzt sich der Bauernbund mit dem Thema Pestizidrückstände schon seit längerem auseinander. Auf die Frage, ob das Thema Rückstände „aufgebauscht“ wird, antwortet Tappeiner, dass das Wort an sich schon einen negativen Charakter habe und gleich kombiniert werde, mit dem Wort gesundheitsschädigend. Bis zur Ernte seien die Rückstände jedoch sehr gering und die Substanzen so weit abgebaut, dass diese keinen schädigenden Einfluss mehr auf die Gesundheit hätten. Tappeiner: „Es wird sich noch einiges tun in dieser Hinsicht, auch eine nochmalige Reduzierung des Gesamteinsatzes von Pestiziden.“ Er betont auch, dass die VIP mit Obmann Karl Dietl um klare Regelungen sehr bemüht sei: „Wobei es eben nicht von heute auf morgen geht.“  Tappeiner spricht von einem Miteinander, wenn sich alle an die Regeln halten und versuchen auf sachlicher Ebene zu kommunizieren. Eine Problematik stelle sich mehr ein, wenn Getreidefelder oder Kräutergärten mitten in behandelten Obstbaugebieten liegen, da die Erntezeit dieser nicht mit der Erntezeit der Äpfel übereinstimmt. Er findet es nicht unbedingt sinnvoll, Bioanlagen mittendrin zu errichten: „Auch die BZG hat sich für den biologischen Kräuteranbau des Rehabilitationszentrums Latsch Felder am Eingang von Martell gesucht.“ Er betont aber auch, dass er es nicht unbedingt für richtig halte, wenn neue Obstanlagen in eine andere Kulturlandschaft eingebaut werden, wie es derzeit im oberen Vinschgau der Fall ist. Die AGRIOS, Arbeitsgruppe für integrierten Obstbau, hat für diese bereits Verordnungen erstellt, dass sie mit einer Heckenumrandung versehen werden sollen. Auch das Spritzen von außen nach innen wurde als allgemeine Richtlinie geltend gemacht, manch einer bestreitet jedoch dessen Einhaltung.  Josef Wielander, Direktor der VIP, spricht dann von „schwarzen Schafen“, denen man das Handwerk legen müsse: „Leider werfen diese ein schlechtes Licht auf den gesamten Obstanbau.“  Wielander betont aber auch: „Es besteht keineswegs eine Gefahr für die Gesundheit durch Pestizide, wenn jeder vernünftig damit umgeht und sich an die Regeln hält.“ Er zieht einen Vergleich mit dem Straßenverkehr, wenn sich jeder an die Verkehrsregeln hält, kann auch nichts passieren. Außerdem betont er, dass es wirklich nur wenige Außenseiter seien: „Wie es eben fast überall vorkommt.“ Wielander sieht das Problem auch in der Aufteilung der Grundstücke allgemein, in viele kleine Parzellen, wo es als sinnvoller erscheint, den Apfel als IP Ware, also aus integrierter Produktion, einzuliefern. Als Bauernbundfunktionär, sagt Andreas Tappeiner, gerät er gern in die Kritik, weil es heißt: „Ihr sagt nichts, ihr tut nichts.“ Er finde aber, dass er eben niemanden etwas aufzwingen möchte, wie es die USGV aus seiner Sicht tut, indem sie zu biologischem Anbau drängt, schon fast nötigt, sollte Mals z.B. zu einer Bioregion erklärt werden.
Aegidius Wellenzohn, gebürtiger Kortscher, hat bereits 1988 mit dem Anbau von biologischem Obst und Getreide in Glurns begonnen. Einer der ersten sozusagen, ein Pionier. Wellenzohn bezeichnet sich selbst als einen „speziellen Fall“, da er auch sämtliche Pflegemittel vermeidet. Geboren wurde die Idee aus seiner geis-tigen Grundhaltung heraus, die besagt, kein Leben zu zerstören. Er schildert die Artenvielfalt, sowie den nährstoffreichen Boden in seinen Anlagen und wie das Leben aus den mit Pestiziden behandelten Anlagen, verschwunden bzw. ausgerottet wurde. „Auch die Luft, die wir einatmen, ist im oberen Vinschgau noch eine andere als jene in Kortsch z.B.“, sagt Wellenzohn. Dies beschrieb die amerikanische Biologin Rachel Carson in ihrem Buch „The silent Spring“ (deutscher Titel: Der stumme Frühling), bereits vor 50 Jahren, dass Pestizide zwar ihren ursprünglichen Zweck erfüllen, aber dabei Mensch, Tier und Natur gefährden, wenn nicht gar zerstören. Tatsächlich landen nicht einmal fünf Prozent aller verabreichten Pestizide auf den Schädlingen die sie bekämpfen sollen. Der Großteil - 95 bis 98 Prozent - gelangt über das Grundwasser oder die Nahrungskette irgendwann wieder zu uns. Im Schmelzwasser antarktischer Gletscher fand man Spuren von Pestiziden. Dass Krankheiten des Nervensystems, wie z.B. Parkinson, nachweislich durch Pestizide hervorgerufen werden können, wurde wissenschaftlich belegt. Neueste Studien ergaben, dass der Hauptverursacher des rätselhaften Bienensterbens, das auch im Vinschgau mittlerweile zum Thema wurde, auf den Einsatz von Pestiziden zurückzuführen ist.
Was für die einen eine umwelttechnische Katastrophe bedeutet, ist für die anderen der Erhalt des Wohlstandes und des Wettbewerbes. Der Kampf um das Recht auf sein Eigentum hat begonnen.


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