Dienstag, 02 Oktober 2012 00:00

Die Rückkehr der Schafe

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DSC_64705641Es ist früh am Morgen, doch am Festplatz in Grub herrscht bereits reges Treiben. Mitglieder des Schafzuchtvereines Obervinschgau stellen Tische und Bänke in und um das Festzelt und beginnen bereits mit der Vorbereitung der Speisen. Zwanzig Lämmer wurden für die heurige „Schoad“ geschlachtet. Die „Schaoufschoad“ ist für Langtaufers immer noch das Volksfest schlechthin – die Schule bleibt geschlossen und die Arbeiter nehmen sich frei. Zwischen Festplatz und Gangl  stellen die Bäuerinnen ihr Standl mit Wollartikel auf, daneben wird das Käsestandl der Ochsenberger Ziegenalm aufgefüllt.


Ich möchte heuer den jahrhundertealten Langtauferer Schafabtrieb mit meiner Kamera begleiten und schicke mich an, über Kappl ins Melagertal zum Übernachtungsplatz der Herde aufzusteigen. Hier wurden im Laufe der Woche die Schafe vom Inneren und Äußeren Schafberg gesammelt. Die Schafsuche im Kaunertal und in den Nauderer Bergen, wohin sich immer wieder kleinere Grüppchen verirren, ist abgeschlossen.
DSC_64745645DSC_64835654Mit aufgehender Sonne bevölkert sich unten der Festplatz. Die Schafhalter aus Graun, St.Valentin und dem Vinschgau stellen ihre Viehtransporter ladebereit neben den Schafgangl. Die Einteilung der Schafhalter stammt noch aus jener Zeit, als das Langkreuz Bezirks- und Sprachgrenze war und der Vinschgau verwaltungsmäßig dort endete. Sogar der Name „Langtaufers“ („Taufers ob dem Langkreuz“, was dann kurzweg  in Langtaufers sich umbildete) hat mit diesem Langkreuz zu tun.
Kaum verlasse ich Kappl erscheint schon der Schaftrieb, angeführt von Kurt und der ältesten „Schellöib“,  aus dem Melager Tal. Tausenddreihundert Schafe werden von zwanzig Treibern vor der Kulisse der Kaunertaler Berge über die Zäune der Bergwiesen von Innerlangtaufers in Richtung Grub getrieben. Immer wieder wird eine Weidepause eingelegt. Mal springt ein Schaf in die Höhe und landet unverhofft auf einem anderen, mal rennt eines plötzlich aus der Herde in die entgegengesetzte Richtung davon, sofort gefolgt von Artgenossen. Die Schafhirten rennen und rufen und setzen die Herde immer wieder in Gang. Eine Schellöib (weibliches Leittier) hat gelämmert. Günther hält der Mutter das nasse Kleine hin, damit sie es beriecht und annimmt.
Ich positioniere mich mit meiner Kamera am Kappler Bach. Hier hat uns dieser damals noch unverbaute, reißende Wildbach vor 53 Jahren, ich war damals Treiber, unbarmherzig zwei Lämmer in die Tiefe gerissen. Nun ist die Abflussrinne mit zahlreichen Dosiersperren versehen, sodass die Schafe freiwillig das Hindernis überqueren.
DSC_64865657DSC_64665637Vom Festplatz steigt Rauch auf. Ich glaube, Schöpsernes zu riechen. Von dort ertönt mit Widerhall überlaut das Lied „Eine Herde weißer Schafe ist mein Königreich…..“ Die Grauner Goaslschnöller lassen einen Zweitakter erschallen. Fünf Mädchen im Alter von fünf bis zehn Jahren sind mir gefolgt. Ich frage die Zehnjährige, welches die drei höchsten Tage im Jahre sind: „Weihnachten, Ostern und ‚Schaoufschod’.“
Der Schaftrieb erreicht nun den trichterförmig auslaufenden Viehtrei von Grub. Die Lämmchen versuchen bei jedem kleinsten Halt zu säugen. Hunderte Einheimische und Gäste beobachten vom Parkplatz aus das Geschehen am Hang. Wie der Sand in einer Sanduhr verschwinden die Schafe in Dreierreihen im schmalen Trei und gelangen schließlich im großen Gangl, den die Förster vor Jahren für die Schoad am orografisch linken Ufer des Karlinbaches errichtet haben. Dieser ist mit weiteren kleinen Pferchen mit Toren verbunden, in denen die geschiedenen Schafe der einzelnen Bauern gesammelt werden.
Den Abschluss bilden die Mutterschafe mit ihren Lämmern, die Treiber  mit Lämmern im Rucksack, die in der Nacht zur Welt gekommen sind und der Schäfer Gabriel mit seinem Hund, begleitet von Kameraleuten, Reportern, Fotografen und Zaungästen.
DSC_63895560050Die tausendreihundert Schafe sind im Gangl. Die Schoad geht los. Die Bauern beginnen aus dem wogenden Meer an wollenen Rücken ihre eigenen Schafe herauszufischen und sie in die kleinen Pferche oder sofort in die Schaftransporter zu zerren. Das Schaf wird von hinten überrascht, an der Wolle gepackt und zwischen den Beinen eingeklemmt, sodass man an der Marke am Ohr herausfinden kann, welchem Bauern es gehört. Das Aussortieren und Verladen dauert einige Stunden. Zuletzt bleiben nur noch die Touler Schafe übrig. Sie werden auf die Weide zurückgetrieben und bleiben dort bis es zuschneit.
Derweil wird auf dem Festplatz nebenan gefeiert, gefeilscht und natürlich über die Vorzüge des Tiroler Bergschafes gefachsimpelt.
„Die Oberländer züchten und verwerten zu neunundneunzig Prozent das Tiroler Bergschaf“  ließ mich Eduard wissen. „Es gilt als groß bis mittelgroß. Es ist reinweiß und darf  keine Pigmente oder Birkaugen aufweisen. Charakteristisch sind die langen, breiten und hängenden Ohren sowie der schmale, stark geramste und hornlose Kopf. Für die Zucht ist das bedeutendste Merkmal, dass das Tiroler Bergschaf sehr fruchtbar ist und zwei Mal pro Jahr Nachwuchs bekommen kann. Im Schnitt bekommt ein Tiroler Bergschaf 1,8 bis 2,5 Lämmer pro Jahr. Das Schaf  wird bei einer Widerristhöhe von maximal 90 cm bis zu 90 kg, der Widder von 100 cm bis zu 130 kg schwer. Die Ergiebigkeit der Wolle beträgt bei Schafen 2,5 bis 4,0 kg und bei Widdern 3,0 bis 5,0 kg pro Jahr“. Schafe sind äußerst vielseitige Nutztiere. Sie liefern Fleisch, Milch, Wolle, Fett und Leder. Heute spielen die blökenden Rasenmäher vor allem als Landschaftspfleger eine wichtige Rolle.
DSC_64495620DSC_64085579Seit Jahrtausenden ist das Schaf eines der wichtigsten und weitest verbreiteten Nutztiere in der Berglandwirtschaft. Seine Genügsamkeit, die Trittsicherheit im alpinen Gelände, die gute Futterverwertung und die Widerstandsfähigkeit wegen ungünstiger Wetterbedingungen machen es gerade für die alpine Region Südtirols unverzichtbar. Viele karge und unwirtliche Regionen im Alpenraum können ohne Schafhaltung unmöglich bewirtschaftet werden. Der Beitrag der Schafzucht zur Erhaltung der Berggebiete als lebendiger Wirtschafts- und Erholungsraum und als Aushängeschild für den Südtiroler Tourismus kann daher nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Andreas Waldner

Zeitung Vinschgerwind Bezirk Vinschgau


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