Dienstag, 24 Juli 2018 09:26

Das Feigenblatt

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DSC 3574Generationen von Vinschgauern und Besuchern des Tales sind an der lebensgroßen Figurengruppe vor dem Eingang zum unterirdischen Kraftwerk der Montecatini Elektrizitätszentrale vorbei gefahren. Einige haben angehalten, um sich dieses Kunstwerk genauer anzusehen, einige hat der besonders schöne Rundblick gereizt. Von hier aus überschaut man den breiten Talkessel des Tales mit dem Ortler als Abschluss. Und einige haben hier Halt gemacht, um die Frage zu entscheiden, ob der Rossebändiger tatsächlich nackt ist ... ganz nackt ... oder vielleicht nur mit einem Feigenblatt bedeckt?


Mehrere Personen befragt, kamen die verschiedensten Antworten: Für die einen war diese klassische Mensch-und Tiergruppe eine Kopie ähnlicher Arbeiten aus der römisch-griechischen Kulturwelt. Der Gott Apollo als Lichtgott und Lenker der Sonnenrösser, das passt gut für die hier im Innern des Berges zusammen geführten Wasserstrahlen, die in mächtigen Generatoren elektrischen Strom aus dem flüssigen Gold zaubern. Dieses Schludernser Werk war nur eines einer ganzen Reihe von Zwischenstationen, wobei hier das Wasser des Reschensees, des Matscher Saldurbaches und anderer Gewässer zusammen geführt werden und zwar meist in unterirdischen Bergstollen. Dann, nach vollständiger Ausnutzung der Energie des Gefälles, verlässt das Wasser müde und ruhig fließend das Innere des Berges und sammelt sich nochmals in einem Stausee in der Schludernder Au. Dieses Volumen wird bei Niedrigwasser in die Marteller Hauptleitung eingespeist und wird später, immer in Stollen verlaufend, in Kastelbell mit letzter Kraft elektrischen Strom erzeugen. Dort befand sich auch für lange Zeit die Verwaltung der Anlage, die sich jetzt in der Bozner ALPERIA Zentrale befindet.
Dieses Weiße Gold war für Italiens Industrie von größter Wichtigkeit, hatte aber für das Land, also für den Vinschgau, vorerst nur nachteilige Folgen. Bauland, Wiesen und Äcker, ganze Almen verschwanden im gestauten Wasser. Arbeitsplätze entstanden kaum, das ganze war nur ein Fremdkörper; entsprechend feindlich war auch die Haltung der Vinschgauer diesen Eingriffen gegenüber.
Also zurück zu den Rossebändigern. Von Familien wird erzählt, dass eine besorgte Mutter, wenn im Auto zwischen Schluderns und Tartsch auf der Talseite die Figurengruppe auftauchte, den Kindern befohlen wurde, ihre Aufmerksamkeit hin zum Eingang der Zentrale zu lenken. Also weg von der nackten, heidnischen Gottheit. Weg von der „walschen“ Nackedei. Sündig bei jedem Wetter. Auch der Schneefall hat dabei kaum etwas geändert; der weiße Pelz hat die Blöße nur noch betont.
Und die Frage nach dem Feigenblatt? Jedenfalls ist das Geschlecht des Mannes mit einem Blatt bedeckt. Feigenblatt oder Weinrebblatt? Dazu müsste man näher hingehen, um das zu entscheiden. Ein Künstler, der davon etwas versteht, meinte dazu: Das Blatt ist erst eine spätere Zugabe, ursprünglich war die Männlichkeit ohne Einschränkung sichtbar. Das wird dann auch von älteren Malsern und anderen Personen aus der Umgebung bestätigt. Die erzieherische Wirkung dieses Kunstwerkes ist also zwiespältig. Nicht die gottgewollte paradiesische Nacktheit wird wirksam, sondern die schmerzlichen Folgen des Sündenfalls. Und so schauen die Vinschgauer eigentlich nie genauer hin.
Das hat auch andere Gründe - auch politische. In den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts, also in den unruhigen Zeiten, als das Mussolini Denkmal in Waidbruck in die Luft flog, da wurden auch der Rossebändiger von Schluderns durch militärische Wachen gesichert. Auf dem Podium und unter der jetzt verwahrlosten Gartenanlage, auf der das Standbild steht, befinden sich Räume für die Bewachung und Betreuung.  
Dieses Kunstwerk wurde niemals politisch gesehen, der nackte Mann ist erst jüngeren Datums und entstand erst nach der faschistischen Zeit und zwar nach der Einweihung der Zentrale im Jahre 1953. Und jetzt, nachdem die Elektrizitätswerke in Landesbesitz über gegangen sind, mit großer Beteiligung auch der Gemeinden ... jetzt sind diese Werke nicht mehr feindliche Fremdkörper.
Wie wird man mit diesem Denkmal weiter umgehen? Sollte der Aluminiumguss restauriert werden - nach vielen Jahren im Freien stehend - und sollte sich das Feigenblatt als eine spätere Zutat herausstellen ... daraus ergeben sich allerhand Fragen. Und schon hält jemand eine Antwort bereit: Dem nackten Apollo könnte eine Lederhose (mit Hosenträgern) übergezogen werden, damit moralbewußte Eltern die Seelen unmündigen Kinder nicht gefährden.
Ob das übertrieben ist? Da trifft es sich gut, über Einflüsse aus Amerika nachzudenken. In diesem Falle über die neu aufflackende Prüderie, die mit den puritanischen Sekten Nordamerikas zu uns kommt und auch Europa überschwemmt. Wonach alles Nackte verboten, zerstört, ausgelöscht werden muss, weil sich der Teufel über die Genitalien der menschlichen Seele bemächtigt! Trump lässt grüßen!  
Hans Wielander

 

Grüne Kraft

DSC 6008Der Bildhauer Jörg Weisskopf hat einen Stier aus weißem Marmor entstehen lassen als Hommage an Karl Plattner, des Malser Künstlers, der vor 32 Jahren verstorben ist. Als Vorlage bediente sich Weisskopf einer der bekannten Tierstudien des Vinschgauer Meisters, der die bäuerliche Welt bestens kannte.
Jetzt kauert der Stier vor dem Malser Rathaus, kraftvoll und sprungbereit. Er wehrt sich gegen eine fremde Macht, die ihn auf den Boden drückt, die er aber überwindet. Im erklärenden Text lesen wir über den Malser Künstler: „Ein Mensch, der es geschafft hat, trotz vieler Entbehrungen, seinen Traum zu verwirklichen. Im wahrsten Sinn des Wortes, sich zu erheben.“
Vieles, was hier angedeutet wird, passt auf die Arbeit im Rathaus. Auch Plattner hat sich nicht unterkriegen lassen, damals, vor einem halben Jahrhundert, als die Bewahrer der „wahren“ Kunst wütend gegen die neue Malweise des Künstlers wetterten, unterstützt auch von den Autoritäten der lokalen Presse. Aber der Karl ließ sich nicht beirren. Schließlich hatte er nicht nur Feinde. Großzügige Gönner erkannten sein Talent und verschafften ihm gute Aufträge, so etwa im Sitzungssaal des Südtiroler Landhauses oder in der Europakapelle auf der Brenner Autobahn.
An der Rathauswand prangt das Wort „Politisierende“.

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