Montag, 01 Februar 2016 12:00

Denkbares und Undenkbares

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s6 2959 schnittMit Leidenschaft erklärt LH Arno Kompatscher seine Art und seine Form von Politik. Als ehemaliger Skiliftpräsident versucht Kompatscher grenzüberschreitende Liftprojekte einzuordnen, er spricht über die grenzziehende Flüchtlingsproblematik, über den Autonomie-Konvent und die möglichen Tabus, über grenzüberschreitende Zugverbindungen und über Grenzen bei der Sanitätsreform.

Interview: Erwin Bernhart   |   Fotos: Angelika Ploner


Vinschgerwind: Wie hält sich der Landeshauptmann gesundheitlich fit?


Arno Kompatscher: Derzeit leider nicht mehr so richtig gut. Normalerweise laufe ich am Sonntag in der Früh rund 20 Kilometer. Dann gehört der Sonntag der Familie. Die letzten paar Wochen ist es nicht jeder Sonntag gewesen.

Vinschgerwind: Im Winter eher Ski alpin oder Snowboard?
Kompatscher: Im Winter vor allem Eishockey. Ich war früher ein fanatischer Eishockeyspieler und hatte den Traum, Profi zu werden. Das Skifahren habe ich erst sehr spät erlernt. Wenn es sich ausgeht, gehe ich mit meinen Kindern am Sonntag zum Skifahren.

Vinschgerwind: Bleiben wir beim Winterport. Sie waren Präsident der Seis-Seiser Alm Bahn AG und deshalb können Sie lifttechnische Geschichten sehr gut einschätzen. In Skigebieten des Vinschgau bewegt sich einiges. Zum Beispiel in Schnals. Eine Pistenerweiterung wurde kürzlich teilweise von der Landesregierung genehmigt.
Kompatscher: Es wurde nicht ein Projekt genehmigt, sondern eine Wirtschaftlichkeits- und Umweltverträglichkeitsstudie, weil sich die Schnalser außerhalb des Skipistenplans bewegen. Unsere Genehmigung ist Voraussetzung für eine Projekteinreichung. Es ist teilweise genehmigt worden, ein Teil der Studie wurde von vornherein ausgeschlossen...

Vinschgerwind: ...jener Teil, der vom Umweltbeirat negativ bewertet worden ist?
Kompatscher: Der wurde ausgeschlossen, so dass dafür kein Projekt eingereicht werden kann. Für die anderen Bereiche können nun Projekte - mit bereits formulierten Auflagen - vorgelegt werden.

Vinschgerwind: Auch aus dem Vinschger Oberland kommen demnächst zwei Machbarkeitsstudien. Einmal ist das der skitechnische Zusammenschluss St. Valentin-Schöneben und einmal ist das die Verbindung Langtaufers-Kaunertal. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung als Landeshauptmann mit der Erfahrung eines Präsidenten einer Liftgesellschaft?
Kompatscher: Es geht um dasselbe, wie bei allen Projekten dieser Art. Nämlich dass neben der Umwelt- und Landschaftsverträglichkeit auch der wirtschaftliche Aspekt zu berücksichtigen ist. Es geht um Nachhaltigkeit. Es nutzt nichts, Skianlagen zu bauen, bei denen nicht sichergestellt ist, dass sie entweder selbst rentabel arbeiten oder dass Umwegrentabilitäten zur Abdeckung eventueller Defizite herangezogen werden können. Sonst ist das ein Himmelfahrtskommando. Die Wirtschaftlichkeit kann bei beiden Projekten möglich sein, sie kann aber unter Umständen bei beiden auch nicht gegeben sein. Das ist genau die Aufgabe der Projektbetreiber, den entsprechenden Nachweis zu erbringen.

s8 2888Vinschgerwind: Lassen Sie uns von einer grenzüberschreitenden Geschichte, wie sie die Verbindung Langtaufers-Kaunertal sein könnte, zu Grenzziehendem wechseln. Flüchtlinge fluten derzeit Europa. In Österreich wird eine Obergrenze von Flüchtlingen diskutiert, in Deutschland auch. Können Sie sich eine Obergrenze an Flüchtlingen für Südtirol vorstellen?
Kompatscher: Es ist noch nicht geklärt, wie Staaten eine solche Obergrenze tatsächlich gewährleisten sollen. Ein Land wie Südtirol hat umso weniger die Voraussetzungen für eine Obergrenze, wenn die Bewerkstelligung dafür selbst für Staaten noch nicht beantwortet ist.

Vinschgerwind: Die Frage nach einer Obergrenze könnte sich tatsächlich stellen, wenn sich die Balkanroute für Flüchtlinge in Richtung Norditalien und damit auch über den Brenner oder über den Reschenpass ändert. Deshalb auch die Debatte in Österreich, an den Grenzen am Brenner und möglicherweise auch am Reschen verschärfte Grenzkontrollen einführen zu wollen.
Kompatscher: Diese Diskussionen sind eine Folge davon, dass die EU ihre Außengrenzen nicht abzusichern imstande ist, wie es die EU-Verträge vorsehen. Gleichzeitig gibt es keine Kooperation innerhalb der EU, was die Verteilung der Flüchtlinge anbelangt. Deshalb machen sich nun Einzelstaaten auf den Weg, Grenzkontrollen und die Debatte über Obergrenzen sind die Folgen daraus. Tatsache ist, dass dies ein Armutszeugnis für die Europäische Union ist. Wenn das Abkommen von Schengen dauerhaft aufgehoben würde, wäre das eine Katastrophe für Südtirol. Für Europa sind die Grenzöffnungen mit dem Abkommen von Schengen eine Errungenschaft und besonders für uns Südtiroler war die Öffnung der Brennergrenze die größte Errungenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg. Wenn Italien nichts unternimmt, ist es wahrscheinlich, dass sich die Balkanroute nach Westen verlegt. Ich habe in einem Brief an Ministerpräsident Renzi die Forderung formuliert, dass Italien die Grenze zu Slowenien sichern muss. Wenn trotzdem vermehrt Flüchtlinge, die nach Deutschland oder nach Österreich wollen, in Südtirol stranden, müssen diese in das italienische System, wie jene Flüchtlinge von Lampedusa. Die Flüchtlinge müssen registriert und dann auf alle 20 Regionen Italiens aufgeteilt werden.

Vinschgerwind: In diese aktuellen Debatten möchten wir Aktuelles einbetten. Und zwar den Start des Autonomiekonventes. Ziel soll ja sein, das Autonomiestatut Südtirol-Trentino an die heutige Zeit anzupassen. Ist es klug, diesen Autonomiekonvent in einer Zeit der europäischen Unsicherheit, der möglichen Rechtsrucke in den Parteienlandschaften, zu beginnen?
Kompatscher:  Es gibt nie den absolut perfekten Zeitpunkt, es gibt aber jetzt relativ günstige rechtliche  Voraussetzungen. Tatsache ist, dass unser Autonomiestatut von 1972 das Wort Europa nicht kennt. Es hat damals weder das Schengenabkommen noch die Europa-Region Tirol gegeben. Wir haben im slowenischen Brdo jüngst den Start für die Makroregion Alpen gegeben, bei der Südtirol als Leader fungiert. Europa hat sich enorm weiterentwickelt. Dem trägt das Autonomiestatut nicht Rechnung. Die europäische Ausrichtung ist ein Thema. Es geht aber auch darum, dass wir unsere Autonomie gegenüber Rom neu definieren müssen, weil sich auch auf staatlicher Ebene vieles geändert hat. Wir bekommen aufgrund dieser Änderungen immer wieder Urteile vom Verfassungsgerichtshof, die uns nicht passen. Der Staat hat inzwischen Teile seiner Verfassung geändert. Es ist höchst an der Zeit, das Statut anzupassen, um uns gegen diese Eingriffe zu wappnen. Es wäre ein großer Fehler zu glauben die Autonomie verteidigen wir am besten indem wir nichts tun. Wir haben jetzt, mit der neuen Schutzklausel, erstmals die Garantie, dass unser Autonomiestatut nur mit unserer Zustimmung abgeändert werden kann. Gleichzeitig ist auch klar, dass jede Abänderung auch nur im Einvernehmen mit Österreich und unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Pariser Vertrag und Streitbeilegungserklärung erfolgen kann und darf. Sonst würden wir auch unsere Zustimmung nie geben.

Vinschgerwind: In diesem Konventskonstrukt, das Forum der 100, der Konvent der 33, finden sich keine Verfassungsexperten aus Österreich.
Kompatscher: Wer sagt das? Es werden fünf Rechtsexperten ernannt und diese Komponente wird sicher berücksichtigt. Die ganze Vorgehensweise ist in enger Absprache mit Österreich konzipiert worden mit Besprechungen beim Bundespräsidenten, beim Kanzler, beim Außenminister. Wir wissen seit den Verfassungsänderungen im Jahre 2001, dass wir den Kompetenzenkatalog neu fassen müssen, um unsere Befugnisse vollständig wiederherzustellen und weiter auszubauen. Aber erst mit der bereits genannten Einvernehmensklausel, die wir mit der Regierung Renzi im Zuge der jetzigen Verfassungsreform ausgehandelt haben, können wir das gefahrlos angehen.

Vinschgerwind: Gibt es von Ihrer Seite aus Tabuzonen im Autonomiestatut, über die im Südtirol-Konvent  nicht diskutiert werden darf?
Kompatscher: Im Konvent herrschen Rede- und Gedankenfreiheit. Jeder kann seine Themen bringen, es ist im Prinzip also auch erlaubt, Unfug zu reden. Das andere ist, dass es für meine Partei, für die Südtiroler Volkspartei oder auch für die Regierungsmehrheit undenkbar ist, dass zum Beispiel der Proporz abgeschafft wird.

Vinschgerwind: Letztlich ist der Landtag zuständig, Änderungen im Autonomiestatut vorzunehmen.
Kompatscher: Das sowieso. Das Autonomiestatut ist ein Verfassungsgesetz und kann auf zwei Wegen geändert werden. Entweder durch eine parlamentarische Initiative oder durch einen gleichlautenden Vorschlag der beiden Landtag von Bozen und Trient, welchem auch der Regionalrat zustimmen muss. Wie gesagt gilt neuerdings aber in jedem Fall das Prinzip, dass das Parlament vor der Verabschiedung des Verfassungsgesetzes unsere Zustimmung einholen muss...

Vinschgerwind: ...dass in der Region Einigkeit herrschen muss, könnte aber auch ein Problem sein...
Kompatscher: Richtig. Wir machen also in dieser Logik zwei verschiedene Konvente, denn in Trient gibt es das Thema Minderheitenschutz nicht wie bei uns. Wir müssen also unsere Themen schon selbst diskutieren. Es braucht aber anschließend eine Koordinierung, um Inkompatibilitäten vermeiden zu können. Damit bei der Endabstimmung in den Landtagen im Idealfall identische Texte verabschiedet werden und die Abstimmung in der Region dann nur noch eine Formalität ist. Das ist unser Ziel. Gelingt das nicht, können noch unsere Parlamentarier in Rom die Statutenänderungen einbringen und dafür um eine Mehrheit werben.

Vinschgerwind: Kommen wir nochmals auf Grenzen zu sprechen. Es gibt eine Grenze, die Sie gerne durchlöchern möchten. Und zwar mit einer Zugverbindung Mals-Scuol. Die Elektrifizierung der Vinschgerbahn ist beschlossene Sache und Sie favorisieren einen Anschluss mit Scuol...
Kompatscher: ...Lassen Sie mich da den Virgltunnel in Bozen einfügen. Der ist für den Vinschgau extrem wichtig. Darf ich erklären, warum?

Vinschgerwind: Nur zu ...
Kompatscher: Ich habe es geschafft, dass die RFI den Virgltunnel um 52 Millionen baut. Das kostet in etwa gleich viel wie die Elektrifizierung der Vinschgerbahn, wir zahlen aber keinen Cent. Steht der Virgltunnel im Jahr 2021, haben wir danach die Bahnlinie Bozen-Meran autonom. Dann können wir die Linie Bozen-Meran übernehmen und mit Flirtzügen den Halbstundentakt von Mals bis Bozen durchfahren.

Vinschgerwind: Will Arno Kompatscher den Durchstich Mals-Scuol als Landeshauptmann erleben?
Kompatscher: Es ist unrealistisch zu glauben, dass der Zug Bozen-Zürich in dem Zeithorizont, den ich mir als LH vorstelle, fahren wird. Ich mache jetzt eine Legislatur und wenn der Wählerwille und die Voraussetzungen da sind, eine zweite. Dann, das ist meine Auffassung, soll ein neuer, mit neuen Ideen und neuer Motivation weitermachen. Das ist eine Zeit von acht Jahren, da werden wir noch nicht von Bozen nach Zürich fahren. Mein Ziel ist es, in meiner Amtszeit diese Verbindung so aufs Gleis zu stellen, um beim Bild zu bleiben, dass es sicher ist, dass diese Verbindung kommt, dass das unumkehrbar ist.

Vinschgerwind: Sie kommen gerade von einer Veranstaltung des Oberschulzentrums Schlanders zum Thema Krankenhaus Schlanders. Schüler haben Ihnen Texte vorgelesen, Sie haben einen Schüler umarmt. O-Ton der Veranstaltung: Das Krankenhaus Schlanders muss erhalten bleiben. Beeindruckt?
Kompatscher: Ich bin vom Engagement der Schüler beeindruckt. Von der Forderung bin ich nicht beeindruckt, denn die ist eh klar. Nie hat jemand den Standort Schlanders in Frage gestellt.

Vinschgerwind: Wie bringt die Landesregierung die Bedenken, die Sorgen, die Forderungen usw. von Seiten der Vinschger Bevölkerung mit der angepeilten Sanitätsreform in Einklang? Wie soll das gelingen?
Kompatscher: Ich bin überzeugt, dass dem berechtigen Wunsch der Vinschger - langfristig ein funktionierendes, leistungsfähiges Krankenhaus zu haben - genau die Reform entgegenkommt. Warum? Wenn wir nichts tun, dann blutet das Krankenhaus Schlanders aus. Dann wird es so sein, dass die Leute mit den Füßen abstimmen, zum „Spezialisten“ gehen, der eben gerade in Schlanders nicht vorhanden ist und am Ende bleibt nicht viel übrig. Deshalb glauben wir, mit der Überlegung „ein Krankenhaus - zwei Standorte“, einem Kliniksystem bestehend aus Meran und Schlanders und zwar beide auf Augenhöhe, die Standorte in Meran und in Schlanders so zu stärken, damit beide bestehen können. Das betrifft das Einzugsgebiet. Der Vinschgau ist mit 36.000 Einwohnern ein zu kleines Einzugsgebiet für ein Krankenhaus. Gemeinsam mit dem Burggrafenamt entsteht ein viel größeres Einzugsgebiet. Das betrifft auch den Mitarbeiterstab, der rotieren wird können. Die Möglichkeit, Leistungen aufzuteilen ist zudem gegeben. Das ist das Ziel.

Vinschgerwind: Können Sie in dieser Reformdiskussion die Arbeitsplätze am Krankenhaus Schlanders garantieren?
Kompatscher: Ja, durch die Leistungsprofile. Diese Leistungsprofile sind sehr weitreichend und diese bedürfen viel ärztlichen und pflegerischen Personals. Wir haben gesagt, dass die Leistungsprofile auch personell machbar sein müssen. Allerdings haben wir seit Jahren schon zu wenig Personal. Wir haben für mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Budget frei gemacht, und die Ausschreibungen laufen.

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