Dienstag, 15 Dezember 2015 09:26

„I hon olm an Wundr kett”

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s17 8533Die Weihnachtstage zählten für den Organisten Paul Warger zu den arbeitsintensivsten im Jahr. Nun hat er sich von der Orgel verabschiedet. Vom versunkenen Zrlund bei Graun ist er einst zuerst nach Schlinig und dann nach Taufers i. M. gekommen, wo er von 1959 bis 1984 als Lehrer tätig war.

von Magdalena Dietl Sapelza      

Mit zwei Koffern wanderte Paul im Juni 1950 vom Malser Bahnhof in Richtung Schlinig. Als Marienberger Klosterschüler hatte er soeben die LBA-Matura in Meran geschafft.

Bei Burgeis fragte ihn ein Bauer, wo er denn hin wolle. „I muaß suachn, wo i drhoam bin“, antwortete Paul. Denn er wusste nicht, wo seine Familie wohnte. Diese hatte in Schlinig einen Hof bezogen, nachdem ihr Zuhause in Zrlund bei der Reschensee-Stauung 1949 den Wassermassen geopfert wurde. „Di Pünderfuahr hon i fan Klosterfenster aus beobachtn kennt“, erklärt er. „Olle Schliniger hoobn selm a Fuarwerk gestellt unt inz gholfn.“
Gerne erinnert sich Paul an Zrlund, an die neun Geschwister, an die Nachbarskinder. Die „Anstalt“, so nannte man damals den Kindergarten, besuchte er in Graun und auch die Volksschule. Dort wehte der faschistische Geist. Paul trug die Balilla-Uniform und sang italienische Lieder wie „La barba del Negus“, komponiert anlässlich des Äthiopien-Einsatzes Italiens, oder „Siamo piccoli Italiani“. Die Italienisch-Lehrer verstand er nicht, doch deren Musik gefiel ihm. Dann kam die Option. Pauls Familie optierte für Deutschland, hoffte aber, nicht gehen zu müssen.  Oft hörte er sagen: „Di oanen miaßn außi und di ondrn noch Sizilien“. Das beunruhigte ihn. 1943 positionierten deutsche Soldaten Kanonen nahe Zrlund. Für Paul und seine Freunde war dieses Besatzungsgehabe sehr spannend. Im Februar 1945 bot ein abgestürztes Flugzeugwrack einen neuen  Abenteuerspielplatz - bis zum Josefi-Tag. Da geschah das Unfassbare. Während Betrachter das Wrack inspizierten, tauchten plötzlich Flieger auf und schossen in die Menge. Sechs Tote waren die Folge – ein traumatisches Erlebnis, das lange nachwirkte.  
1946 öffnete die Klosterschule Marienberg und Paul durfte dort studieren. „Streng sein si schun gweesn, obr glernt hoobm miar viel“, meint er. Sein großes Interesse galt den mußischen Fächern. Er wollte Klavier lernen. Die zwei fehlenden Fingerkappen, die er als sechsjähriger beim Holzhacken verloren hatte, verhinderten das. „Unmöglich - hot dr Pater gsogg“, erinnert sich Paul. Er lernte daraufhin Geige und wurde Chorsänger. Die wenigen Tage, die er daheim verbringen durfte, waren getrübt von der bevorstehenden Seestauung. Bis zuletzt hoffte die Familie, bleiben zu können. Aber es war vergebens. Schlinig wurde der Zufluchtsort.
 Als Maturant war Paul dort   „Zuhirte“ und „Gmoanorbater“. „Miar hoobm wild gschuntn“, betont er. 1953 begann er in Schlinig seine Lehrerlaufbahn mit 35 Kindern und acht Schulklassen in einem Raum. Ein Jahr später ging‘s zum  Militärdienst. Alles Neue interessierte ihn. Er meldete sich zur Funker-Ausbildung, leistete Dienst in den Städten Pesaro, Neapel, Rom, Bologna, Triest, Venedig und erkundete diese. In Neapel besuchte er die Boxerschule und nahm sogar an den Italienmeisterschaften in Rom teil. Das brachte ihm zwar keinen Titel, dafür aber zehn Tage Urlaub. Nach der Militärzeit arbeitete er als Portier in der Schweiz und setzte dann die Lehrertätigkeit in Taufers i.M. fort. Dort heiratete er 1962 Hildegard Thuille. In den Sommermonaten arbeitete er weiterhin als Portier, um das Eigenheim finanzieren zu können. Fünf Töchter und ein Sohn brachten Leben ins Haus. „Miar wohnen do in Frankreich“, scherzt Paul. „Denn do hobm olle di Häuser mit Schweizer Frank baut.“
Interessante Erfahrungen sammelte Paul als Geschworener im Gericht von Trient. Er war nominiert worden und hatte den Auftrag angenommen. „I hon olm an Wunder kett“, lacht er. Eine Gerichtsperiode lang begleitete er acht Mordprozesse.
Nachdem in den 1960er Jahren in Taufers ein Organist fehlte, ließ sich Paul vom Pfarrer überreden, Orgel spielen zu lernen. „Bis miar oan hobm“, habe es geheißen. Paul lernte an der Orgel in Marienberg - mit seinen lädierten Fingern - und bemühte sich dann, mit der alten und komplizierten Orgel in Taufers zurechtzukommen. Es war nicht immer leicht. „Di olt hot nia richtig gstimmt, unt di Nui leidet iaz an Temperaturschwonkungen, weil di Kirchatiir olm off isch“, erklärt er. Kürzlich hat er sich - 83-jährig - als Organist zurück gezogen. Nun genießt er seine Zeit beim Lesen, am Computer, bei den täglichen Ausflügen mit seiner Frau. „Ma muaß außi geahn“, betont er. Das ist für ihn das beste Rezept um lebendig zu bleiben.

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