Dienstag, 25 August 2015 12:00

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s6 018B4 SW 2012 Ottorino MazzuccoRifair/Münstertal - Die Rifairer Alm hat in den letzten drei Jahren mit gutem Käse Preise bei der Käseolympiade von Galtür erhalten. Die Weide ist top - die Almstrukturen sind am Boden. Die anfällige Materialseilbahn steht auf „Hagel und Wind“. Ein Zufahrtsweg von der Schweizer Seite her wurde mit der Begründung eines Auerwildbiotopes abgelehnt. Ist der Vorschlag für eine doppelt genutzte Seilbahn - Lasten- und Personentransport - die letzte Rettung?

von Erwin Bernhart

Es gibt sie noch. Die Alm ohne Zufahrt. Die Rifairer Alm ist eine solche. Eine Art Idylle am Nordhang des Chavalatsch.

Oberhalb des Weilers Rifair im Münstertal. Der Zugang von Rifair aus ist steil und beschwerlich und er wurde für Mensch und Vieh wohl Jahrhundertelang benutzt. Die Alm hat, so sagt man in Rifair, von der Weide her beste Voraussetzungen. Die Milchqualität sei sehr gut und stabil. Anders ist es mit den Baulichkeiten. Die müssten dringend erneuert werden. Die hygienischen Voraussetzungen können mit besonders viel Fleiß aufrecht erhalten werden. Nicht zuletzt hat das in den vergangenen drei Jahren der Senn Ulrich Verginer aus Lajen bewiesen. Bei den Käse-olympiaden in Galtür hat er beim Schnittkäse Bronze 2012, Gold 2013 und wieder Bronze 2014 geholt. Paul Christandl, der Obmann der Interessentschaft Rifair, hat eine besondere Freude an den Preisen. Denn die Umstände sind alles andere als preisverdächtig: Christandl rennt sich die Haxen aus, um den Almbetrieb aufrecht zu erhalten. Verginer ist zur Grauner Alm gewechselt. Für heuer konnte Christandl den jungen Pfelderer Johannes Pixner verpflichten. Bisher zur vollen Zufriedenheit der Bauern. Ein Senn auf der Rifairer Alm muss neben den für alle Almen geltenden Eigenschaften - dem handwerklichen Können und der Liebe zu den Kühen - eine andere Eigenschaft mitbringen, die für wenige, wenn nicht ausschließlich für die Rifairer Alm gilt: die Liebe zur Einsamkeit. Denn es kann vorkommen, dass tagelang kein Mensch vorbeikommt.
Zudem ist der Transport von Notwendigkeiten über eine alte Materialseilbahn alles andere als leicht. Auch die Seilbahn müsste erneuert werden. Bei jeder Fahrt fährt die Befürchtung mit, dass die Kiste oben nicht mehr ankommt.
Seit etwa 15 Jahren ist der Zugang auf die Alm anders. Kühe werden mit Transportwägen über die Grenze ins Val Müstair transportiert und von dort führt ein Forstweg wieder talauswärts, bis er im Wald endet. Eine knappe Stunde Fußweg bis zur Rifairer Alm auf mehr als 2.100 Metern bleibt niemandem erspart. Damals haben sich für diese Transportvariante der Tierarzt Wolfgang Kapeller, sein Amtskollege im Münstertal Toni Theus und der damalige Gemeindenpräsident von Müstair, Gilbert Ruinatscha eingesetzt. Mit dem Grenzwachkommando Schaffhausen II wurde eine Vereinbarung getroffen. Seither genießen die Kühe, die für die Rifairer Alm bestimmt sind, die Älpler und die Bauern eine Art Durchfahrtsgastrecht über die Schweizer Grenze und bergseits retour auf Südtiroler Gebiet.
Und seither hat man darüber nachgedacht, ob dieser Almweg von der Schweizer Seite her nicht verlängert und bis zur Alm fortgesetzt werden könnte.
Ein unendliches Hick-Hack zwischen der Alminteressentschaft Rifair und hiesigen und schweizerischen Umweltschützern begann. Weil die Alminteressentschaft die Alm herrichten wollte, den Transport von Gütern und Kühen vereinfachen und dem Tierarzt einen günstigen Zugang verschaffen wollte. Auch um die Attraktivität für das Almpersonal zu steigern, so dass man sich bei der Suche nach Senn und Hirt leichter tun könnte. Das ist die Seite der Bauern. Die andere Seite, die Umweltschützer, kämpften gegen eine Wegerschließung: Auch weil die Alm im Nationalpark Stilfserjoch und zudem in einem Natura 2000 Gebiet liegt. Und auch, weil eine Wegverbindung Schweizer Gehölz und Getier betreffen könnte. Und, weil die Alm über eine Materialseilbahn genügend erschlossen sei, meinten die Umweltschützer.

Die Alminteressentschaft Rifair stand im Jahr 2014 um Haaresbreite kurz vor der Almwegerschließung. Ein Ausführungsprojekt  - den Waldweg über die s6 almSchweizer Seite um rund 400 Meter bis zur italienischen Grenze zu verlängern und rund einen Kilometer bis zur Rifairer Alm weiterzuführen - hatte von sämtlichen Instanzen grünes Licht erhalten: der Nationalpark Stilfserjoch hatte zugestimmt, Nationalparkdirektor Wolfgang Platter hat das Vorhaben tatkräftig unterstützt, die Landesagentur für Umweltschutz hatte in einer kleinen UVP ein zustimmendes Gutachten abgegeben, sogar von Natura 2000 kam Wohlwollen, die Gemeinde Taufers hatte ihre Zustimmung von der positiven Zustimmung der Gemeinde Val Müstair abhängig gemacht. Auch diese Zustimmung ist gekommen. Die Baugenehmigungen wurden diesseits und jenseits der Grenze ausgestellt. Als Ausgleichsmaßnahme hatte man schweizerseits eine Ausweisung von rund 200 Hektar Auerwildschutzzone in Aussicht gestellt.

Dann kam die kalte Dusche Ende 2014 und der Triumph von Seiten der Umweltschützer. Nix wird es aus dem Almweg. Auf Schweizer Seite haben der WWF Schweiz, die Vereinigung Pro Natura und die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz gegen die Bewilligung der Zufahrtsstraße rekurriert. Mit Hilfe der Umweltschutzgruppe Vinschgau. Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden in Chur hat der Eingabe der Naturschutzverbände Recht gegeben. „Im Urteil selber gewichtet die Gerichtsbehörde am höchsten das öffentliche Interesse am Erhalt des Auerwildbiotopes auf der Schweizer Seite. Das Auerhuhn gehört als stark gefährdete Art zu den geschützten Tierarten Die geplante Straße hätte nämlich ein Auerwildbiotop durchquert und unweigerlich zu einer Zunahme von Störungen geführt. Das Schweizer Gericht weist darauf hin, dass „äusserst gewichtige Interessen des Naturschutzes, insbesondere der Arten- und Biotopschutz, dem Erschliessungsvorhaben entgegenstehen“. Das Projekt wurde als nicht genehmigungsfähig erklärt, auch nicht unter Auflagen des Amtes für Jagd und Fischerei“, schreibt die Umweltschutzgruppe Vinschgau in ihrer Presseaussendung vom Jänner 2015 unter anderem. Damit haben die Umweltverbände ein starkes Zeichen setzen können. Obwohl man im Gutachten nur einen Auerhahn und einige Federn gefunden hat. Die Folge davon: Keine Almzufahrt und auch keine 200 Hektar Schutzzone.

Gilbert Ruinatscha, der ehemalige Gemeindepräsident vom Ort Müstair, sieht das Ganze aus einem anderen Blickwinkel. Die große Gegenwehr gegen das Wegeprojekt sei deshalb ins Rollen gekommen, weil sich am Ende des Waldweges auf Schweizer Seite eine Jadghütte befinde. Und die gehöre den Pitschs. Es sei also in Wirklichkeit um die Jagd gegangen und um die Ruhe auf der Jagdhütte, sagt Ruinatscha dem Vinschgerwind.
Diesseits der Grenze haben die Bauern in der Interessentschaft Rifair die Fäuste im Hosensack gemacht. Den letzten Weg zum Höchstgericht in Bern wollte man nicht wagen. Zu kostspielig für die kleine Alminteressentschaft. In der Kasse befinde sich derzeit kein Knopf. Denn auch die EU-Beiträge aus dem Jahr 2014 für die Almwirtschaft - das gilt für alle Almen - sei noch nicht eingelangt.
Die Irritiation der Bauer wird vor allem dann verständllich, wenn man weiß, dass es für den Almweg eine Baubewilligung gab, allerdings keine Rodungsbewilligung.

Man hat umgeschwenkt. Karl Christandl, von Beruf Ingenieur, mittlerweile Referent im Gemeindeausschuss von Taufers und auch Vorstandsmitglied der Interessentschaft hat eine Idee wieder aufleben lassen, die man vor 10 Jahren angedacht hatte: Eine Seilbahn von Puntweil, einer Örtlichkeit in Grenznähe hinauf zur Rifairer Alm. Überschlägiger Kostenvoranschlag: rund 2 Millionen Euro.  Die Bahn, so Christandl, würde so konzipiert, dass eine Kabine Lasten und Kühe transportieren könnte und eine anddere Personen. Christandl sagt, dass so eine Bahn durchaus auch für den Tourismus interessant sein könnte. Für Taufers. Für das Münstertal, also auch die Schweizer Seite inbegriffen, ja sogar für den gesamten Obervinschgau. Die Alm könnte damit saniert werden.
Die frisch gebackene Bürgermeisterin von Taufers Roselinde Gunsch Koch ist über das Ansinnen einer Bahn im Bilde. „Das ist eine Vision“, sagt sie. Auch Koch Gunsch sieht die touristische Nutzung für eine „wunderschöne Gegend am Hang des Chavalatsch“. Für das gesamte Münstertal. Man solle dieses Ansinnen weiter verfolgen, die Alm aufrichten und damit auch eine touristische Attraktion anpeilen. Auf der anderen Seite des Chavalatsch befinde sich die Furkelhütte, die Stilfseralm. Wenn von Tauferer Seite eine Aufstiegsanlage dazukäme, wäre ein schönes Wandergebiet auch bis zum Stilfserjoch, bis zum Umbrailpass erschlossen. Aber das stecke alles in den Kinderschuhen. Bei einem demnächst stattfindenen Treffen mit dem Ausschuss der Gemeinde Müstair wolle sie dieses Thema ansprechen.

Und wenn nichts passiert bei der Rifairer Alm? Keine Zufahrt, keine neue Bahn? Roselinde Koch Gunsch: „Wenn nichts passiert, wächst die Alm oben zu. Als Milchviehalm wird sie dann wohl nicht mehr bewirtschaftet werden.“ Der Verlust wäre vor allem an der Biodiversität erkennbar. Das sagt auch Ruinatscha. In der Schweiz werde den Bauern die Almbewirtschaftung nahegelegt, vor allem auch mit der Begründung der Biodiversität. Werden Almen aufgelassen, verbuscht das nicht mehr beweidete Gelände. „Was für ein Widerspruch“, sagt Ruinatscha. Auf der einen Seite solle man die Almen auch aus Umweltschutzgründen betreiben, auf der anderen Seite wird eine Almzufahrt mit Umweltschutzgründen verhindert. Ihm wäre es am liebsten, wenn das Projekt Almweg über die Schweizer Seite nochmals aufgerollt würde. Jüngst bei der Almfeier auf der Rifairer Alm hat er die Bauern dazu aufgemuntert. Auch weil Ruinatscha vor allem die grenzüberschreitende Zusammenarbeit als vordergründig sieht und dies an zwei Beispielen festmacht: Das Kloster Sankt Johann hatte einst ein Drittel des Avingabachwassers als Nutzungsrecht. Daraus wurde die Beregnung in Müstair gebaut. Italien hat allerdings diese Nutzungsrechte aufgehoben. Man sei also auf den guten Willen der Tauferer Nachbarn angewiesen. Sonst habe man kein Wasser mehr.  Oder: Was spräche dagegen, wenn die Gemeinde Taufers auf die Abwasserrohre durch ihr Gemeindegebiet eine Durchleitungsgebühr verlange, sinniert Ruinatscha.  Bisher mache sie das nicht. Also sei eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu pflegen. Auch, was die Rifairer Alm betreffe.

Dem gegenüber steht die Interessentschaft Rifairer Alm. Derzeit versuchen 11 Rifairer Kühe und 22 auswärtige Kühe der Verbuschung entgegenzugrasen. „Es sind eigentlich zu wenige Kühe oben, um die Weide gut zu nutzen“, sagt Heinrich Schgör. Schgör war seit 2007 Schriftführer der Interessentschaft und hat aus Gesundheitsgründen heuer nicht mehr für den Ausschuss kandidiert. Wenn nicht noch ein paar Rosse oben weiden, würde die Verbuschung schneller voranschreiten.
Was tun mit der Rifairer Alm? Dieser Frage stellt sich nun die Interessentschaft mit der Bahnidee entgegen. Allerdins ist allen Beteiligten klar, dass die Finanzierung nur über öffentliche Gelder gehen kann. Die Interessentschaft selbst hat keinen Knopf und deren Mitglieder werden sich wohl hüten, einen Knopf rauszurücken.
Ist die Rifairer Alm damit auf der roten Liste der aussterbenden Arten, ähnlich dem Auerwild? Wenn dem so ist, wird sich etwas tun müssen. Sonst ist Verbuschung am Hang des Chavalatsch angesagt.

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