Dienstag, 25 August 2015 15:38

Nationalpark Stilfserjoch - Zwei neue Themenwege am Stilfserjoch Klimawandel und Permafrost

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DSC 1841Wolfgang Platter, am Tag des Hlg. Bartholomäus,
24. August 2015

Zwischen der Passhöhe am Stilfserjoch und der Bormianer Alm im Brauliotal sind in den letzten Wochen zwei neue Themenlehrwege fertiggestellt und ausgeschildert worden.
Der erste Lehrpfad betrifft den Klimawandel und seine derzeit schon absehbaren und die zukünftig zu erwartenden  Auswirkungen auf die alpine Vegetation.
Der zweite Lehrpfad betrifft die Kryosphäre und den Permafrost, die Gletscher und Karstphänomene. Die beiden Lehrpfade und die damit im Zusammenhang stehenden wissenschaftlichen Forschungsarbeiten möchte ich im heutigen Beitrag zusammenfassend vorstellen.

Der Lehrpfad zum Klimawandel
Der Lehrpfad zum Klimawandel beginnt an der Kehre 3 von der Veltlintaler Rampe der Stilfserjochstraße auf 2.700 Metern Meereshöhe und endet bei Kehre 8 auf 2.300 m MH. Der Lehrweg kann auch in umgekehrter Richtung von unten nach oben begangen werden. Die Gehzeit beträgt bei einem Höhenunterschied von 400 Metern ungefähr drei Stunden. Die Wegstrecke ist 8 km lang. Der Themenweg  wurde von der Botanikerin und Universitätsprofessorin Dr. Nicoletta Cannone konzipiert, beschrieben und auftrags des Konsortiums Nationalpark Stilfserjoch umgesetzt. Frau Prof. Cannone lehrt und forscht an der Universität Insubria in Varese. Sie erforscht unter anderem am Stilfserjoch und am Gaviapass die Auswirkungen des Klimawandels und der Erderwärmung auf die Pflanzendecke der oberen Vegeta-tionsstufen in den Alpen. Dabei führt sie mit ihren Diplomanden und Doktoranden auch Simulationsversuche mit experimentellen Veränderungen verschiedener Komponenten des Wetters durch, um die Auswirkungen der längerfristigen Änderungen von einzelnen  DSC 1838Klimafaktoren auf die Vegetation verschiedener Lebensräume zu prognostizieren. Diese Simulationen erfolgen nach international standardisierten Methode des Protokolls ITEX (International Tundra Experiment). Die Simulationen betreffen:
•    die künstliche Erhöhung der Luft- und Bodentemperatur durch Abdeckung der Probeflächen mit kleinen, oben offenen Glaskammern (open top chambers);
•    die Veränderung der in flüssiger Form fallenden Niederschläge durch Abdeckung der Probeflächen mit einem Dach aus Plexiglas;
•    die Veränderung der Schneedecke in ihrer Mächtigkeit und Dauer durch vertikales Aufstellen einer Bretterwand, wobei der Wind die Schneeverfrachtung vor und hinter der Bretterwand verändert.
Im Jahre 1953 hatte Univ. Prof. Pignatti in den gleichen Lebensräumen am Stilfserjoch vegetationskundliche Kartierungen vorgenommen. Der Vergleich der Artenlisten von damals und heute zeigt, dass das Pflanzenkleid in den Bergen durch die derzeit stattfindende Erderwärmung merkliche Veränderungen erfahren hat und erfährt. So dringen beispielsweise die verholzenden Zwergsträucher in die krautigen Gesellschaften der alpinen Rasen vor. Die Birke als Baumart steigt in größere Meereshöhen auf. Auch Lärche und Latsche verschieben ihre obere Verbreitungsgrenze ständig höher nach oben: An Extremstandorten lassen sich schon bis zu 40 Jahresringen an Bäumchen dieser beiden Arten zählen. Interessant ist auch die Anpassung bestimmter Bestäubungsinsekten: Bestimmte Arten von Widderchen oder Blutströpfchen fressen als Raupen bevorzugt an Schwarzbeeren (Vaccinium myrtillus). Diese Schmetterlinge sind als Bestäuberinsekten zusammen mit ihren Futterpflanzen in den letzten Jahren in größere Höhen aufgestiegen und können neuerdings als Falter zu Tausenden im höher gelegenen Lebensraum beobachtet werden.

Der Lehrpfad zur Kryosphäre
Mit dem Begriff „Kryosphäre“ fasst man die Gesamtheit allen Eises auf unserem Planeten zusammen. Die Kryosphäre besteht aus zwei Elementen von saisonalem und mehrjährigem Bestand. Saisonalen Bestand haben die Schneedecke und das Meeres- oder Packeis. Mehrjährigen Bestand haben die Gletscher und der Permafrost. Als Permafrostböden sind Böden definiert, welche für mindestens zwei aufeinanderfolgende Jahre nicht auftauen. Der Permafrost ist an der Oberfläche nicht sichtbar und eine bis heute eher wenig erforschte Komponente der Kryosphäre.
DSC 1843Den Themenweg zur Kryosphäre am Stilfserjoch hat der Universitätsprofessor und Geologe Dr. Mauro Guglielmin von der Universität Mailand konzipiert und in der Umsetzung betreut. Der Lehrweg beginnt an der Passhöhe des Stilfserjoches bei der Talstation der Gletscherbahn und folgt dem Schotterweg auf der Gletschermoräne. Seine Länge beträgt 2 km und der Höhenunterschied 250 Meter. Der Themenweg führt u.a. am Bohrloch Stilfserjoch 3.000 vorbei: Es ist dies eine Forschungs- und Monitoring-Station von Prof. Guglielmin zur Erforschung des Permafrostes. Mit 235 Metern Bohrtiefe und dem Beginn der Bohrung im Jahre 1998 ist dieses Permafrost-Bohrloch das älteste Italiens und eines der tiefsten in Europa zu diesem Forschungszweck. Im Gebiet von „Platigliole“  in Richtung Monte Scorluzzo gibt es dann entlang des Themenweges ein aufgeschlagenes Lehrbuch der Gletscherkunde: Gletscher und ihre landschaftsformende Kraft, Moränen, Karstauswaschungen im Dolomitgestein, Gletscherschliffe, Calcitstufen und weitere Besonderheiten.

Die rezente Klimaveränderung
Mit rezenter Klimaveränderung meint man jene von ca. 1860/1880 bis heute oder von der zweiten industriellen Revolution bis zur Nutzung des Erdöls. Am besten dokumentiert ist die globale Klimaveränderung aus dem Anstieg der Lufttemperatur: Die Durchschnittstemperatur der Luft auf unserer Erde hat  sich an deren Oberfläche im Zeitraum 1880-2000 um +0,6°C erhöht. Dabei war der Anstieg der Lufttemperatur auf unserem Planeten weder zeitlich synchron noch räumlich gleich hoch. In den Alpen war er mit +1,2°C doppelt so hoch als auf dem gesamten Planeten. Der Bezugszeitraum für die Lufttemperatur ist die 30-Jahres-Periode 1951-1980, in der die weltweite Durchschnittstemperatur +14,0 °C betrug. In den letzten Jahrzehnten hat sich der Anstieg der Lufttemperatur beschleunigt: Ca. 70% der Erderwärmung geht auf die Jahre ab 1975 zurück.
Bei den Niederschlägen ist der Trend weniger klar als bei der Lufttemperatur. Weltweit haben die Niederschläge im Zeitraum 1901-2000 im Vergleich zum DSC 1216Bezugszeitraum der 30 Jahre zwischen 1981-2000 nur um 0,1 - 0,3mm pro Jahr zugenommen. Zu den Niederschlägen in den Alpen lässt sich bis jetzt sagen, dass sie generell abnehmen. Im Zeitraum 1950-1990 war eine Zunahme der Niederschläge im Winter zu verzeichnen. Ganz anders liegen hingegen die sommerlichen Niederschlagsmengen: Es gab eine Abnahme seit 1970, wobei der Sommer 2003 einer der trockensten der letzten 500 Jahre war. Die Zukunftsszenarien der Niederschläge sind unsicher: Es werden größere Niederschlagsintensitäten in Form von starken Gewittern mit großen Regendichten vorausgesagt.
Schneebedeckung: In den Gebirgen und in den nördlichen Breiten betreffen die signifikantesten Änderungen jene der Schneedecke: Auf der nördlichen Hemisphäre hat die Flächenausdehnung der Schneedecke in den Jahren 1970-2010 im Vergleich zum Zeitraum 1922-1970 um 9% abgenommen. Es war auch ein vorzeitiges Abschmelzen der Schneedecke feststellbar. Verändert hat sich auch das Verhältnis von flüssigem zu festem Niederschlag: Über 2.500 Metern MH hat in den Alpen der Anteil von Regen zu- und jener von Schnee abgenommen. Dies hat auch zu einer Verfrühung der Schneeschmelze geführt mit Auswirkungen auf die Massenbilanz der Gletscher und auf die Energiebilanz des Permafrostes.

INFO
Zu den beiden Themenwegen ist ein Faltblatt und ein Begleitbuch (vorerst nur )in italienischer Sprache erschienen: Nicoletto Cannone, Mauro Guglielmin (2015): “Itinerari Naturalistici al Passo dello Stelvio. Impatti del Cambiamento Climatico: passato, presente e sfide per il futuro.

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