Dienstag, 03 Dezember 2013 00:00

Faszination des Bösen

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s28 032s28 106von Heinrich Zoderer

Tartsch, Samstag, 16. November, 18 Uhr. Die Zufahrt zum Dorf ist gesperrt, die Feuerwehr hat die Schläuche entrollt, Männer vom Weißen Kreuz sind präsent, der Weg zum Tartscher Bichl ist abgezäunt, damit es eine klare Trennung gibt. Der Weg gehört den Krampussen, die nach Einbruch der Dunkelheit losziehen. Zuerst kommen die „Tartscher Bichl Tuifl“, dann die anderen Gruppen. Insgesamt dauert der Schaulauf zwei Stunden. Die vielen Zuschauer aus nah und fern stehen am Straßenrand, hinter dem Zaun, in der Menschenwelt und verfolgen die Krampuswelt. Der Zaun bildet die Grenze. In der Sicherheitszone hinter dem Zaun können die Zuschauer die Schreckgestalten und ihr wildes Treiben beobachten. Die Krampusse machen einen Höllenlärm, sie schlagen mit den Ruten gegen den Zaun, einige springen auf den Zaun und greifen auch nach den Zuschauern.


Neben mir steht ein Vater mit seinem Sohn auf den Schultern, daneben seine Frau und seine Tochter. Der kleine Sohn hat große Angst, auch die Tochter. Aber die Tochter ist neugierig und mutig und trotz der Angst seltsam fasziniert. Nachdem mehrere Zuschauer den Krampussen die Hand gereicht haben, probiert es auch das Mädchen und sie merkt, dass die Schreckgestalten nicht nur faszinierend ausschauen, sondern gar nicht so schlimm sind. Zuletzt reicht auch ihr kleiner Bruder einem Krampus die Hand. Die Angst ist gebrochen. Nach dem Schaulaufen geht das Fest bis nach Mitternacht weiter, es wird gegessen und natürlich auch viel getrunken.

In den meisten Dörfern gibt es eine lange Nikolaustradition. In Schlanders gibt es seit 1960 einen Nikolaus-umzug. Ursprünglich vom KVW organisiert, wurden die wenigen Einnahmen für eine Weihnachtsfeier für ältere Menschen verwendet. Später wurde ein Nikolauskomitee gegründet und seit 1985 ist Markus Tumler der Obmann dieses Komitees. Die Gruppen aus Schlanders und auch aus Stilfs machen bei den Schauläufen, die seit einigen Jahren stattfinden, nicht mit. Es gab auch in Schlanders Diskussionen an den Schauläufen mitzumachen und vor 20 Jahren wollte der Geschäftsführer des Tourismusvereins mit den Schlanderser Krampussen sogar in München auftreten. Das Nikolauskomitee organisiert in Schlanders den Umzug am 5. Dezember und nachher machen sechs Nikoläuse mit einigen Krampussen Hausbesuche. 100 erwachsene Krampusse und 20 kleine Krampusse mit langen Birkenruten ziehen beim Umzug mit und verfolgen die Krampustratzer. Über 20 Kinder, als Engel verkleidet, gehen mit ihren Laternen vor dem Nikolaus, der mit einer Kutsche durch das Dorf zieht und am Plawennpark seine Botschaft verkündet. Ein Wagen mit einer Bläsergruppe der Musikkapelle und einem Schmied mit einem Höllenfeuer begleiten den Zug. Einige Krampusse sind schon 20 Jahre dabei. Christian Tumler, der Sohn von Markus schnitzt die Masken für die Krampusse, die Kleider machen alle selber. Viele Zuschauer kommen nicht nur aus Schlanders und den umliegenden Dörfern, sondern auch aus dem oberitalienischen Raum. Früher war dieser Umzug der größte Nikolausumzug im Tal, über 1.000 Geschenkspakete wurden verkauft, jetzt sind es nur mehr 500. Den Erlös bekommt der Vinzenzverein. Von den Krampusschauläufen hält Markus Tumler nicht viel. Die machen alle närrisch, wenn das schon Mitte November beginnt und bis vor Weihnachten geht.  

Neben den Nikolausumzügen gibt es in Bayern und Österreich die Perchtenläufe. In den Rauhnächten  nach Weihnachten bis Dreikönig ziehen Männer, als Dämonen oder Werwölfe verkleidet, durch das Dorf und verbreiten Angst und Schrecken.
In den letzten Jahren entstand neben diesen alten Bräuchen im ganzen Alpenraum ein neues Phänomen: die Krampusschauläufe. Viele Krampusgruppen und Tuiflvereine wurden gegründet. 2010 entstand in Kastelbell der „Pfoffagonder Tuiflverein“. Heute hat der Verein 80 Mitglieder. Am 9. November organisierte der Verein eine Maskenausstellung im Schloss Kastelbell und am Abend eine Aftershowfete. Bei den Schauläufen, die zwischen Mitte November und Mitte Dezember stattfinden, ziehen mehrere Huntert Krampusse in der finsteren Nacht durch das Dorf, mit furchterregenden Masken und in Tierfellen. Sie tragen Ruten, einige auch Ketten und Totenköpfe, ziehen ein Höllenfeuer mit, machen Lärm und Rauch. Und Tausende Zuschauer säumen die Straßen,  fasziniert von den Schreckgestalten.

s28 Nikolaus 1s28 EngelLetztes Jahr gab es ein großes Schaulaufen in Latsch, dieses Jahr bereits zum dritten Mal in Tartsch. Insgesamt 30 Gruppen aus Südtirol, Österreich, Bayern und der Schweiz mit 400 Krampussen kamen nach Tartsch. Und Alexander Gentilini, der Obmann der „Tartscher Bichl Tuifl“ erzählt, dass er 50 weiteren Gruppen absagen musste, weil es sonst zu viele geworden wären. Allein 14 Gruppen kamen aus dem Vinschgau von Reschen bis Naturns. In Österreich gibt es diese Krampusschauläufe bereits seit 20 Jahren, in Südtirol seit rund 10 Jahren. Den ältesten Umzug gibt es seit über 15 Jahren in Toblach. Die „Tartscher Bichl Tiufl“ werden dieses Jahr am 7. Dezember auch in Kastelruth dabei sein, zusammen mit 50 Gruppen und 800 Krampussen und am 8. Dezember in München. Alexander Gentilini ist froh, dass in Tartsch alles gut geklappt hat, dass es keine Verletzungen und Unfälle gegeben hat.
Viele Gruppen bei uns und in Österreich haben eine eigene Homepage, ein eigenes T-Shirt und Jacken mit aufgesticktem Logo. Die meisten Südtiroler Gruppen lassen ihre Holzmasken in Österreich schnitzen und kaufen auch die Kleidung dort ein. 500 bis 600 Euro kostet eine Maske und 700 bis 2.500 Euro die entsprechende Kostümierung, meistens  aus Ziegen- oder Gamsfell. Ob dieses Treiben wirklich Brauchtumspflege ist oder einfach nur eine Show mit lauter Musik, vielen Krampussen mit unterschiedlichen Masken, diese Diskussion ist mühsam und will Gentilini gar nicht führen. Vor 10 Jahren waren in Tartsch nur mehr drei Krampusse, heute sind es 40, auch drei Mädchen sind dabei, was früher undenkbar gewesen wäre. Die Mitglieder der „Tartscher Tuifl“ sind 15 bis 35 Jahre alt. Beim Schaulauf dürfen nur Volljährige mitmachen, sie müssen sich registrieren und eine Nummer tragen, damit jeder identifiziert werden kann. Die „Tartscher Tuifl“ machen auch mal eine gemeinsame Bergtour oder sonstige Freizeitaktivitäten. Es ist ein schönes Gefühl in der Gruppe aufzutreten und natürlich wollen sie als Krampusse sehen und gesehen werden.  Vielleicht ist in 10 Jahren diese Begeisterung für das Krampusrennen auch wieder vorbei, meint Gentilini, vielleicht auch nicht.

Wahrscheinlich sind die Krampusläufe, sowie die Perchtenläufe alte heidnische Bräuche. Durch furchterregenden Masken und das laute Schellen der Glocken sollen die bösen Geister vertrieben werden, andere Quellen meinen, dass damit der Winter ausgetrieben oder das alte Jahr ausgeläutet wird. Die Bräuche sind immer wieder verboten worden und nachdem auch die Kirche nicht imstande war, diese Bräuche zu verbieten, hat man den Nikolaus eingebaut. Der Krampus als Symbol des Bösen, des Schreckens, der Finsternis wird zum Begleiter des Nikolaus und soll böse Kinder bestrafen. Der Nikolaus beschenkt die braven Kinder und symbolisiert das Licht und das Gute. In den modernen Krampusläufen kommt der Nikolaus nicht vor, die Teufel beherrschen die Straße und die Zuschauer können ihr Treiben, ihr Spiel mit dem Feuer und den Masken beobachten. Und viele sind fasziniert. Auch wenn es nicht dem alten Brauchtum entspricht, aber auch das Brauchtum muss sich der Zeit anpassen. Wie schnell das gehen soll und wie weit es gehen kann, diese Frage bleibt offen.


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