Dienstag, 05 März 2013 00:00

Zeitbank - die neue Form der Nachbarschaftshilfe

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s6_zeitbank_bildMit der Schaffung von Zeitbanken wird versucht, die verloren gegangene Nachbarschaftshilfe in organisierter Form wieder zu aktivieren. Hinter den Zeitbank-Einrichtungen stehen engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Gemeinden und das Landesamt für Familie und Sozialwesen. In Südtirol sind derzeit 15 Zeitbanken aktiv, zwei davon im Vinschgau und zwar in Schlanders und Prad. Die Zeitbank Mals wird demnächst offiziell aus der Taufe gehoben. Bis auf weiteres stillgelegt ist hingegen die Zeitbank Naturns.

von Magdalena Dietl Sapelza

Wenn ich daheim einen Kindergeburtstag organisiere, lasse ich mir von jenen Frauen die Kuchen backen, die diese Fertigkeit als Mitglieder der Zeitbank anbieten. Erstens können die Frauen das besser als ich, und zweitens habe ich weniger Stress und kann die Feier genießen“, sagt Katja Kostner. Als motivierte Präsidentin zieht sie seit der Gründung der Zeitbank Schlanders im Jahre 2005 die Fäden. Diese war die zweiten  Gruppe im Vinschgau und ist heute die mitgliederstärkste. Die Zeit für das Kuchenbacken gibt Kostner als Bürodienste und Koordinationsstunden für den Verein Zeitbank Schlanders zurück. Dieser ist mit 22 Mitgliedern gestartet. Mittlerweile sind 78 Personen  eingeschrieben, von Jugendlichen bis Senioren. Diese bringen die unterschiedlichsten Fähigkeiten ein und bieten ihre Dienstleistungen an. Im Jahr 2012 wurden unter den Schlanderser Mitgliedern 1.200 Stunden getauscht.  „Das Wertvollste ist die Zeit und jede Stunde ist gleich viel wert“, unterstreicht Kostner. Ein Umstand fällt ihr immer wieder auf: Das Geben fällt den Menschen leichter als das Nehmen.

Wie funktioniert eine Zeitbank?
Eine Zeitbank funktioniert nach dem Grundsatz: „Zeit statt Geld“. Jede Person, die einer anderen in irgend einer Form Zeit schenkt, kann sich diese Zeit wieder zurückholen, wenn die Person die Zeit beziehungsweise Dienstleistung eines anderen selbst in Anspruch nehmen möchte. Zum Beispiel für eine Stunde Nachhilfeunterricht lässt sich eine Stunde Holzhacken, eine Stunde Putzen, eine Stunde Gartenarbeit, eine Stunde Kinderbetreuung, eine Begleitung zum Arzt und vieles mehr eintauschen. Die Stunde geht nicht unbedingt direkt an den Dienstleister zurück, sondern wird nach entsprechenden Bedürfnissen im Mitgliederkreis geleistet. Bei ihrer Aufnahme in den Zeitbank-Verein  geben die Interessierten an, was sie anbieten können. Diese Leistungen werden in einer Liste vermerkt, die allen Mitgliedern ausgehändigt wird. Das Prinzip: jede Person gibt und nimmt bargeldlos, nutzt Fertigkeiten anderer, die ihr nicht liegen und „zahlt“ mit dem was sie gut kann. Der Austausch dreht sich rund um Angebot und Nachfrage innerhalb der jeweiligen Zeitbank. Deren Mitglieder im Vinschgau übernehmen selbst jegliche Haftung, bei eventuellen Unfällen  (in Meran, der ersten Zeitbank Südtirols, gegründet 1988, hat man sich für eine Haftpflichtversicherung entschieden.)
Die Zeitbank als Einrichtung ist die zentrale Kontaktstelle eines Austauschsystems von Dienstleistungen ohne Geldvergütung und ohne Gewinnabsicht. Maßstab für die Verrechnung ist einzig und allein die aufgewandte oder in Anspruch genommene Zeit, unabhängig vom Inhalt oder vom Ergebnis der Dienstleistung. Erbrachte Leistungen werden mit Hilfe von „Zeitschecks“ gutgeschrieben oder abgebucht. Ziel ist ein ausgeglichenes Zeitkonto. Die Kontakte für die Dienstleistungen knüpfen die Mitglieder vorwiegend selbst, anhand der Listen. Die Mitglieder entscheiden frei, ob sie ein Dienstangebot oder eine Dienstforderung leisten beziehungsweise annehmen oder nicht.

Motivierte Kräfte als Motor
Motor jeder Zeitbank sind engagierte Mitglieder, die Leistungen anbieten und vor allem motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an der Spitze. Schlanders ist ein Vorzeigemodell. Gut angelaufen ist der Austausch von Zeit auch in Prad unter der Leitung von Markus Lutt. Als Vorsitzender des Sozialausschusses hatte er die Gründung der Zeitbank 2012 angeregt und dafür als Präsident Verantwortung übernommen. „Wir sind mit 22 Leuten gestartet und haben jetzt 28. Aller Anfang ist schwer“, meint Lutt. 2012 wurden in Prad rund 200 Stunden getauscht. Viel Zeit investieren Lutt und sein Team in Überzeugungsarbeit.
In der Anfangsphase befinden sich derzeit die Promotoren des Tauschkreises Mals um Evelyn Piergentili. „Wir hoffen auf eine zahlreiche Teilnahme bei der Gründungsversammlung am 16. März“, sagt sie. Sie und ihr Team sind zuversichtlich, dass der Start gut gelingen wird. Alle sind sich bewusst, dass Überzeugungsarbeit und Durchhaltevermögen gefragt sind.
Das ist der Zeitbank Naturns in jüngster Zeit abhanden gekommen. Nach acht Jahren Tätigkeit (2002 bis 2010) ist dort die Arbeit auf Eis gelegt worden. Die Zeitbank existiert nur noch als Verein auf dem Papier. „In Naturns ist alles langsam eingeschlafen. Es ist uns nicht mehr gelungen, die Idee weiterzutragen. Diese könnte aber jederzeit wieder geweckt werden“, sagt Astrid Pichler. Sie war lange Zeit treibende Kraft und Botschafterin der Zeitbankidee, unter anderem bei der Gründung der Zeitbank in Schlanders. Aus Arbeitsgründen musste sie ihren Einsatz für die Zeitbank zurückschrauben. Sie hofft, dass es in Naturns irgendwann weitergeht, denn sie ist nach wie vor von der Zeitbank-Idee überzeugt.  

Neues Miteinander
Die Dienstleistungen der Zeitbanken bewegen sich im privaten Rahmen und im häuslichen Umfeld der Mitglieder. Der Austausch von Zeit darf nicht gewerblich eingesetzt werden.  „Wir haben bisher in diesem Zusammenhang noch nie Probleme gehabt“, erklärt Kostner. „Und sollten welche auftauchen, werden wir sie zu lösen wissen“. Der Zeittausch in einer Zeitbank sei nichts anderes als herkömmliche Nachbarschaftshilfe, nur organisiert. Allen Versuchen, das System auszunutzen, erteile man eine klare Absage.
Die Nachbarschaftshilfe, früher selbstverständlich, war durch den wirtschaftlichen Aufstieg und den Wohlstand in den vergangenen Jahrzehnten etwas in den Hintergrund gedrängt worden. Denn die Menschen hatten die Mittel, sich Dienstleistungen finanzieren zu können. Mit einher ging allerdings auch die Vereinsamung der Menschen, vor allem in den Städten. Nachdem die Einkommen infolge der Krise schwinden, kämpfen Menschen immer öfters mit  Versorgungslücken. Durch die neue Form der Nachbarschaftshilfe können diese ausgefüllt werden. Der positive Nebeneffekt: Es werden wieder Kontakte geknüpft und ein neues Miteinander entsteht.

Organisierte Nachbarschaftshilfe
Das  Landesamt für Familie und Sozialwesen hat sich hinter die Zeitbanken gestellt. Am 20. Februar fand auf Einladung des zuständigen Landesrates Richard Theiner eine Tagung mit Referenten der Freien Universität Bozen statt. Vertreterinnen und Vertreter der Zeitbanken Südtirols hatten die Möglichkeit, sich kennenzulernen, mit dem Ziel ein Netzwerk aufzubauen. Die Zeitbanken könnten künftig in der Gesellschaft eine immer wichtigere Rolle spielen. Sie könnten in jenen Bereichen greifen, wo die öffentliche Sozialversorgung Einsparungen vornehmen und Leistungen streichen muss.  „Wenn Krisenzeiten anhalten,  kann es soweit kommen, dass die öffentliche Hand nicht mehr alle Sozialstrukturen abdecken kann. Zeitbanken können dann vieles abfedern“, ist Kostner überzeugt.
Sie kann sich vorstellen, dass es in den Zeitbanken möglich gemacht wird, in aktiven Jahren ein „Zeitsparbuch“ anzulegen, aus dem bei einer späteren Gebrechlichkeit im Alter Zeit abgebucht werden kann.
Diese Idee ist in Südtirol innovativ und setzt voraus, dass die Zeitbanken bleibende Einrichtungen werden.

Die aktiven Zeitbanken im Vinschgau:

s7_zeitbank

Zeitbank Schlanders
Ansprechpartnerin: Katja Kostner
Tel. 335 7269053

katja_kostner@hotmail.com

Schalterstunden: in der Schlandersburg
jeden ersten und dritten Dienstag von 9.00 bis 10.00 Uhr;
und jeden vierten Dienstag von 19.00 bis 20.00 Uhr

s7-Zeitbank-Prad

Zeitbank Prad
Ansprechpartner: Markus Lutt
Tel. 347 2642204

lutt.m@dnet.it

Schalterstunden: in der öffentlichen Bibliothek Prad
jeden zweiten und vierten Donnerstag im Monat von 18.00 bis 20.00 Uhr

s7_tauschlogo

Tauschkreis/Zeitbank Mals
Ansprechpartnerin: Evelyne M. Piergentili
Tel. 333 14 15 102

evelyne@aol.it

Die offizielle Gründung: Samstag, 16. März  um 16.30  Uhr im Kulturhaus von Mals
Schalterstunden in der Bibliothek
jeden Montag von 16.30 bis 17.30 Uhr;
im Gemeindeamt jeden Mittwoch von 14.00 bis 16.00 Uhr


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1 Kommentar

  • Kommentar-Link Petra Dittrich Sonntag, 21 November 2021 10:20 gepostet von Petra Dittrich

    Ich bin Deutsche und ziehe im Dezember nach Meran. ich möchte gern bei Eurem Projekt mitmachen.

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