Dienstag, 04 September 2012 00:00

Der Vallo Alpino oder die zementierte Grenze

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Georg Mühlberger

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Zu den von der Geschichte weniger beachteten, aber für den Größenwahn der Macht nicht weniger bezeichnenden Maßnahmen des faschistischen Regimes in Italien gehören die Befestigungswerke in den Alpen. Deren Planung und erste Erschließungsarbeiten durch Militärstraßen gehen noch auf die 20er Jahre des 20.Jahrhunderts zurück. Der Zweck dieser Vallo Alpino del Littorio (in die Bezeichnung wird das Liktorenbündel als Symbol des Faschismus einbezogen) genannten Anlagen ist es, die Grenzen Italiens über den gesamten Alpenbogen zu sichern und feindliches Eindringen abzuwehren. Der östliche Endpunkt der Befestigungslinie ist das damalige Fiume. Im Westen bilden die Seealpen die französisch-italienische Grenze. Ausgenommen wird die Grenze zur Schweiz.
In den 30er Jahren nimmt man die Arbeit an dem Befestigungswerk, zunächst in den französischen Alpen, auf. Besondere Aufmerksamkeit schenkt der Duce zunehmend der Befestigungslinie, die die Nordgrenze abriegeln soll. Südtirol, das 1919 von Italien als Kriegsgewinn annektiert, nach dem Anschluss Österreichs an Hitlerdeutschland unmittelbarer Grenznachbar des Deutschen Reiches wird, kommt so ab 1938 ins Spiel. Die Südtiroler Abschnitte des Alpenhauptkammes, und in besonderer Weise der an die Schweiz angrenzende Übergang über den Reschenpass, werden zu einem wichtigen befestigungsstrategischen Punkt. 
Es ist eine merkwürdige Situation, denn Hitler und Mussolini sind dabei, sich im so genannten Stahlpakt (1939) miteinander zu verbünden. Das faschistische Italien aber misstraut ganz offensichtlich dem expandierenden Deutschland. Mussolini, der eine Invasion aus dem Norden befürchtet, drängt auf rasche Errichtung der Talsperren in den drei Sektoren Vinschgau, Eisacktal, Pustertal, um die italienische Nordgrenze zu sichern.
Eine Vielzahl von Bunkerbauten entsteht an den wichtigen Pässen und Übergängen Südtirols, ein Netz von eigens errichteten Militärstraßen gewährleistet die Verbindung mit den Befestigungswerken und die Versorgung der Mannschaften. Die Ausführungsform ist von der Besonderheit des jeweiligen Geländes abhängig und sehr unterschiedlich. Am Reschen und auf der Höhe von Mals/Glurns werden neben den Bunkerbauten im Talboden eine Vielzahl von Kavernen angelegt und Stollen in die angrenzenden Berghänge gesprengt. Panzersperren ergänzen die Gesamtanlage. Für den Fall eines feindlichen Durchbruchs sorgt man dadurch vor, dass es nicht nur jeweils eine Sperrlinie gibt. Grundsätzlich sichern mehrere Befestigungslinien das Grenzgebiet, eine letzte im Bozner Talkessel und im Überetsch, wo sich die Verbindungswege vom Reschen und jene vom Brenner vereinigen. Die Errichtung des Vallo Alpino ist im Jahr 1942 im Bereich des Reschenpasses sehr weit fortgeschritten. Ein ganzes System von Bunkern und mehr oder weniger gut getarnten befestigten Punkten bilden eine Talsperre mit modellhafter Vollständigkeit. Der Ausbau des Vallo Alpino wird trotz größter Geheimhaltung in Deutschland bekannt. Auf Druck Hitlers stoppt Mussolini am 15. Oktober 1942 mit einer Verordnung das gesamte Projekt. 
Die strenge Überwachung  der Grenzgebiete gilt, ergänzend zur Tätigkeit der schon 1923 gegründeten, dem König und der faschistischen Partei vereidigten Milizia Confinaria, zu diesem Zeitpunkt noch als ein prioritärer Auftrag des faschistischen Staates an die im Jahre 1937 eigens errichtete Guardia alla Frontiera. Die G.a.F. sind als besonders  geschulte Einheiten nicht  nur in Südtirol im Einsatz, sondern auch in Albanien und in den nordafrikanischen Grenzgebieten. Der Ausbau des Vallo Alpino wird auch nach dem Kriegseintritt Italiens energisch vorangetrieben, eingebremst höchstens durch Engpässe im Nachschub der Baumaterialien. Die  Bevölkerung in Südtirol durchlebt seit der zwischen Hitler und Mussolini vereinbarten Option eine Zerreißprobe und wird durch Repressalien in Schach gehalten.  Am 21. Juni 1942, berichtet die „Alpenzeitung“, schärft der Vizesekretär des Kampffascio im Meraner Fasciohaus allen Exponenten der faschistischen Funktionen „genaue Richtlinien für die ganze Tätigkeit, die sie in der gegenwärtigen Zeit am Sitze ihrer Gruppen zu entfalten haben“  energisch ein.  Diese Richtlinien gelten sicher grundsätzlich für die G.a.F. und besonders für die Einheiten der Milizia Confinaria, deren spezieller Aktionsraum die höheren Gebirgslagen waren. Im Einsatz sind im ganzen Land außerdem die den G.a.F. nach 1940 angegliederten Abteilungen der Milizia Volontaria per La Sicurezza Nazionale (MVSN), die mit der Milizia Confinaria im Verband stehen und nach ihrer Uniform als Schwarzhemden (Camicie nere) bezeichnet werden. Diese treten in verschiedener Formation an wechselnden Orten und stets überraschend als Schlägertrupps auf, mit dem Ziel, die Bevölkerung zu terrorisieren. Sie geben das Beispiel, wie gegen Zivilisten mit behördlich geduldeter Gewaltanwendung vorzugehen sei.
Die ausgeprägt militante Präsenz der verschiedenen Einheiten und die intensive Bautätigkeit an den Grenzen, die trotz strenger Geheimhaltung wohl nicht zu übersehen ist, verbreiten unter der ansässigen Bevölkerung Angst und Misstrauen. Der Baustopp für die weitere Verbunkerung im Herbst 1942 dürfte der Bevölkerung nicht ganz entgangen sein, auch wenn ihr die politischen Hintergründe verborgen blieben. Vielleicht keimte aus solchen Beobachtungen eine leise Hoffnung, dass das, was da mit diktatorischer Macht zementiert wurde, doch nicht für die Ewigkeit gemacht sei.
Im weiteren Verlauf der Geschichte wurde der Vallo Alpino von den Ereignissen überholt, deren Schauplatz anderswo lag. Es gab keine nennenswerten Kampfhandlungen, in welchen er seiner Zweckbestimmung hätte zugeführt werden können. Als Relikt aus einer schweren Zeit ist das Befestigungswerk in Südtirol erhalten geblieben. Die verlassenen Bastionen im oberen Vinschgau bilden ein Mahnmal und verraten einiges über die Zeit, aus der sie stammen. Der Vallo Alpino an der französischen Grenze wurde nach dem Krieg von Frankreich zerstört. Sein Gegenstück an der damaligen italienischen Ostgrenze liegt heute nicht mehr in Italien, sondern auf slowenischem und kroatischem Boden.

Literatur:
Alessandro Bernasconi, Giovanni Muran: Le fortificazioni del Vallo Alpino del Littorio in Alto Adige. Trient 1999. - Autonome Provinz Bozen (Hrsg.): Bunker. Bozen 2005
Im Internet ein Beitrag von Rolf Henztschel: Der Alpenwall in Südtirol.

Bunkerführungen

In Reschen bis zum 28. September jeden Freitag, 15 Uhr beim Tourismusverein; im Winter jeden Mittwoch zum Etschquellbunker, Information Tourismus Ferienregion Reschen, Hauptstraße 61,Tel. 0473 633101.
In Mals jeden Donnerstag bis zum 20. September (13 Uhr kleine, 14 Uhr große Führung) beim Tourismusverein Mals, St. Benedikt Str.1, Tel. 0473 831190.

Der Autor Dr. Georg Mühlberger, Direktor des Bozner Gymnasiums Walther von der Vogelweide, ist als Historiker wiederholt durch Vorträge auch bei uns im Vinschgau bekannt geworden; die Kulturredaktion Vinschger WIND dankt ihm für den vorliegenden Beitrag.

Hans Wielander


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