Dienstag, 08 August 2017 09:26

Nationalpark Stilfserjoch - Zwei Vinschger Bartgeierjunge - Die erfolgreiche Brutbilanz 2017

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302B1Wolfgang Platter, zum Laurentiustag, 10. August 2017

Das Flüggewerden der zwei Jungvögel von den Brutpaaren „Martell“ und „Trafoi“ nehme ich zum Anlass, um wieder einmal über die Bartgeier zu berichten.

Zunächst also die bisherigen Lebensdaten der heurigen Vinschgauer Junggeier aus den beiden erfolgreichen Bruten:
s50 tabelle bartgeier 

Aus den genetischen Untersuchungen an Federkielausschnitten aus aufgefundenen Mauserfedern können wir annehmen, dass das Weibchen des Marteller Brutpaares der Vogel „Temperatio“ aus einer Zoo-Zucht ist, den wir 2007 im Schludertal freigelassen haben.

Ausrottung und Wiederansiedlung
Dass Bartgeier Knochenfresser  (ossivor) sind, ist wohl schon allgemein bekannt. Die Bartgeier sind damit das oberste Glied der Nahrungskette. Sie nutzen eine ausschließlich ihnen  vorbehaltene Nahrungsnische. Aufgrund ihres Körperbaues und im Besonderen des Fußes und der Zehen können Bartgeier gar keine lebende Beute schlagen. Zu Unrecht hat ihnen ihr volkstümlicher Name „Lämmergeier“ den Kragen gekostet. Als vermeintlicher Lämmerdieb war die Vogelart im gesamten Alpenbogen um 1930 vom Menschen ausgerottet worden. Das Wiederansiedlungsprojekt mit Junggeiern aus Zoos als Gründertiere ist 1986 gestartet. 1997 ist der erste Junggeier aus einer Naturbrut in den Bergen der Alpen geschlüpft. Heute wird der Bestand der Bartgeier im Alpenbogen zwischen den französischen DSC 1775Seealpen und Kärnten im Osten auf 250 Vögel geschätzt.
Im Vinschgau fliegen derzeit drei territoriale Paare, wovon im Jahre 2017 zwei erfolgreich gebrütet  und einen Jungvogel zum Ausfliegen gebracht haben.
In der letzten Nummer 7/8 2017 der Tiroler Jägerzeitung ist unter dem Titel „Ernährungsspezialist Bartgeier: Der Vogel, der von Knochen lebt“ ein aufschlussreicher und wissenserweiternder Beitrag veröffentlicht worden. Die Autoren des Beitrages sind Dr. Karl Schulze-Hagen, Dr. Hans Frey und Dr. Antoni Margalida. Ein paar Detailinformationen aus diesem Fachartikel über Ernährungsphysiologie und Lebensweise  des Bartgeiers  fasse ich nachstehend zusammen.


Der Nährwert der Knochen
Wenn die Aasfresser (Nekrophagen) alle Fleischreste gefressen haben und nur mehr das Skelett des Beutetieres zur Verfügung steht, schlägt die Stunde des Bartgeiers. Fleisch aus Aas verwest recht schnell und ist für die Aasfresser nur für kurze Zeit verfüg- und verwertbar. Knochen hingegen verwesen nicht und das eiweiß- und fettreiche Knochenmark im Inneren der Röhrenknochen z.B. von den Extremitäten toter Huftiere steht den Bartgeiern über eine lange Zeit, auch Monate nach dem Tod des  Tieres als Nahrungsquelle noch zur Verfügung. Auf den ersten Blick erscheint Muskelfleisch gegenüber Knochen viel attraktiver. Die Nährwertanalyse der beiden Energielieferanten  zeigt aber, dass Knochen vorteilhaft verstoffwechselt werden können, wenn sie physiologisch in der Verdauung erschließbar sind. Knochen bestehen zu 50% aus Mineralien (überwiegend aus dem Phosphat Kalziumhydroxylapatit), zu 25% aus Wasser und zu weiteren 25% aus organischer Substanz. Dieses eine Viertel an organischer Substanz im Knochen enthält seinerseits über 90% das Eiweiß Kollagen. Das  Knochenmark hat einen hohen Fettanteil. Es überrascht und klingt zunächst wenig plausibel, dass der Energiegehalt der Knochen mit dem von Muskelfleisch vergleichbar ist: Säugetierknochen haben einen Energiegehalt von 6,7 KiloJoule pro 1 Gramm, Muskelfleisch von 5,8KJ/g. Verstoffwechselt ergeben 100 Gramm Knochen 387 KJ Energie, die gleiche Menge Fleisch 440 KJ.


Salzsäure im Magen
Bartgeier können Extremitäten-Knochen von bis zu 30 cm Länge und 4 cm Breite als Ganzes verschlucken. Noch größere Knochen werden im Schnabel in den Luftraum geflogen und aus einer Höhe von 50-80 Metern gezielt auf Steinplatten oder Geröllhalden abgeworfen. Die Abwürfe auf diese „Knochenschmiede“ werden so lange wiederholt, bis der Knochen zerschellt und das Mark freigibt.
Der Säuregehalt im Magen des Bartgeiers erreicht einen pH-Wert von 0,7. Damit ist der Magensaft praktisch reine Salzsäure und entspricht in der Azidität einer Autobatterie. Je niedriger der pH-Wert ist, umso schneller geschieht die Auflösung bzw. Demineralisierung von Knochen.  Schon ein pH-Wert von 1,5 würde die Zeit der Verdauung der Knochen verdoppeln. Die Verdauung von Muskelfleisch dauert bei aktiv jagenden Greifvögeln (wie z.B. dem Steinadler) 3-6 Stunden, die Verdauung der Knochen im Magen des Bartgeiers 24-30 Stunden. Die Mineralmasse des Knochens wird von den Bartgeiern ungenutzt ausgeschieden. Der Kot ist deshalb weiß bis cremefarben und sehr fest. Die walzenförmigen Exkremente werden als Koprolithen bezeichnet und gleichen bei Zerfall trockenem Gips.


Nahrungsverbrauch
Der Nahrungsverbrauch der Bartgeier im Freiland liegt bei 300-400 Gramm Tagesration. Dieser Energiebedarf erscheint für einen dermaßen großen Vogel erstaunlich gering. Aber wie bereits erwähnt, ist der Nährwert der markhaltigen Knochen sehr hoch. Aber 284B1Knochen ist nicht gleich Knochen. Deswegen verzehren Bartgeier bevorzugt und zuerst die Knochen der Läufe von Huftieren, welche in ihrem Mark den höchsten Gehalt an Fett (Oleinäure) aufweisen.
Während der Aufzucht der Jungen werden auch kleinere Knochen zertrümmert, um sie mundgerecht zu machen. Die Jungen von Bartgeiern können bereits wenige Stunden nach dem Schlupf Knochenhäppchen aufnehmen und verdauen. In den ersten beiden Lebensmonaten werden sie von ihren Eltern aber fast ausschließlich mit Fleisch gefüttert. Futter für die Jungen wird im Schnabel in den Horst transportiert und nicht wie bei den anderen Geier-Arten hochgewürgt. Bartgeier legen in Horstnähe auch Knochendepots als Notration für Schlechtwetterperioden an.

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