Dienstag, 15 November 2016 12:00

Das Doktorhaus in Laas – Portrait eines Kleinods

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s35 7856KULTUR-Gastkommentar von Michael Gurschler

Ansässige und Fremde schätzen die auf den ersten Blick kontrastreiche, etwas spröde Schönheit von Laas. Bei genauerem Hinsehen erschließt sich darin etwas Vielschichtiges: Sedimente verschiedener architektonischer Vorstellungen, Wertehaltungen, Ausdrucksmöglichkeiten und -notwendigkeiten.


Diese Kulturseite will etwas davon festhalten und ein bislang wenig beschriebenes Schmuckstück mit ungewisser Zukunft erkunden.

Symbol einer aufstrebenden Gemeinde
Die 1920/21 laut Chronist Franz Waldner (1990: 65) nach den Plänen eines „gewisse[n] Veith, Baumeister in Meran“, errichtete zweistöckige Villa am ehemaligen Spitalanger (Schulweg 4) ist heute noch als „das Doktorhaus“ bekannt. Der Name verweist auf die seit über 95 Jahren kaum veränderte Nutzungstradition.
Im Auftrag der Gemeinde erbaut, war hier ursprünglich außer der Ordination und Amtswohnung des Gemeindearztes auch die Gemeindekanzlei untergebracht. Da das Steueraufkommen damals gering und das Budget der öffentlichen Hand bescheiden war, war es der wenig zuvor zum Ehrenbürger ernannte Gemeindearzt Dr. Dominikus Horrer, welcher nicht nur als erster Arzt im Obergeschoss des Doktorhaus wohnte und im Hochparterre ordinierte, sondern der überdies der Gemeinde das Geld zur Errichtung des Baus lieh.
Die Gewerkschaftszeitung der Sozialdemokraten (1923 verboten) bezeichnet Laas nach Inbetriebnahme des repräsentativen Gebäudes als „aufstrebende Gemeinde“:
„Die hiesige Gemeinde hat mit einem bedeutenden Kostenaufwande ein mit allen neuzeitlichen Anforderungen ausgestattetes Heim erbaut [...] Die Gemeinde [...] hat durch diesen Neubau nicht nur ihren verdienten Gemeindearzt sondern auch sich selbst geehrt.“ (Volksrecht, am 25.03.1923)

Ausklänge des Münchner Jugendstils
Der Bau orientiert sich an dem in Südtirol noch bis in die Zwischenkriegszeit hinein wirkenden sog. „Heimatstil“ des Späthistorismus. Dabei lässt sich das Doktorhaus insbesondere mit jenen Villen etwa in Meran vergleichen, die der Bautradition der Münchner Schule („Münchner Jugendstil“) folgen (vgl.  u. a.  Klein, 1983). Das Gebäude mit leicht L-förmigem Grundriss betont die dem Garten zugewandte Hausecke durch eine runde Auslucht, die an Ecktürme von Festungsbauten erinnert und bis unter den leicht gewalmten Kreuzgiebel aufsteigt. Auf der Südseite akzentuieren Fachwerkelemente die Horizontale. Das Interesse an runden Formen wiederholt sich in den Bogenfenstern im Hochparterre. Die detailreiche Gestaltung der geschnitzten Holzverkleidung eines angedeuteten Wintergartens im Obergeschoss sowie der Einsatz unterschiedlicher Putztechniken geben der sorgfältig gegliederten Fassade Rhythmus und Struktur.
Das Doktorhaus spricht noch die Sprache der Vorkriegsarchitektur, in einer Zeit, bevor öffentlichen Bauträgern per Weisung aus Trient eine „allzu nordische [...] Charakteristik“ (Giuseppe Gerola, zit. n. Grote/Siller, 2011) verboten wurde.
1964 zog die Gemeinde in das ehemalige Enal-Haus („Fascio-Haus“) an die Vinschgaustraße (Waldner, 1990: 65) und 1985 schließlich in das dort errichtete heutige Rathaus.

Sedimentierung
Nach Dr. Horrer (†1947) bezogen eine Reihe von Ärzten bzw. Ärztinnen (teils auch mit Familie) die Villa. Anfang der 1990er wurde die Frage nach einer umfassenden Sanierung dringlich. Als die nach wie vor dort praktizierende Gemeindeärztin Dr. Monica Scherer auszog, entschied man sich, mit der Renovierung zu warten. Dieser Zustand dauert noch an. Bis heute steht das Obergeschoss leer.
Seither harrt die Villa ihres weiteren Schicksals, beinahe etwas trotzig, wie der mächtige Walnussbaum davor, dem in jüngster Zeit der Asphalt wieder nahe an die Borke geht, ihm das Wasser abzusperren droht. Während in der 1995 gegenüber errichteten Bibliothek im August 2016 der Parkettboden schon wieder herausgerissen werden muss, steht das Doktorhaus nach beinahe 100 Jahren noch immer recht ansehnlich da. Noch. Freilich, ob es oben unter dem teils moosbewachsenen Ziegeldach nicht tropft, weiß keiner so genau. Oder will es wohl lieber nicht wissen. Die teils aufwendige Sanierung der Neubauten der letzten 20 Jahre scheint Sorge genug.

Laaser Kontraste
Die architektonische Umgebung hat sich verändert. Paradigmenwechsel in der Laaser Dorfarchitektur: Bibliothek und Rathaus zitieren in ihren Dachverstrebungen den weithin sichtbaren Brückenkran der „Lasa Marmo“. Sie heben die Industrialisierung einer aufstrebenden Gemeinde hervor. Auch das ist Schönheit.
Ein Blick von der Fraktion Tarnell bestätigt: das Ortszentrum erfuhr seit den 1990er Jahren eine umwälzende Neudefinition. Die imposanten Kuben und Pultdachvariationen in der Umgebung schärfen jedoch den Blick: Sie werten das Doktorhaus eher auf als ab. Der Kontrast unterstreicht die Schönheit dieses Kleinods. Er hebt das kleine Jugendstilkunstwerk hervor, bietet ihm den für Laas charakteristischen ästhetischen Rahmen. Und das Doktorhaus hält diese architektonischen Gegensätze aus. Vielleicht noch etwas besser als das neuerdings wieder versteckte andere Jugendstil-Kleinod, das Josefshaus.
Was bleibt, ist der Wunsch nach Erhalt dieser verschiedenen Schichten der Laaser Kulturgeschichte. Möge dem Doktorhaus durch eine umsichtige, stilgerechte Sanierung ein schlimmes Schicksal erspart werden.

Bibliographie
(o. A.): Laas. Eine aufstrebende Gemeinde, IN: Volksrecht. Sozialdemokratisches Organ für das arbeitende Volk Südtirols, Nr. 36, ­Bozen: 25.03.1923, S. 5.
Grote, Georg/Barbara Siller (Hrsg.):
Südtirolismen. Erinnerungskulturen. Gegenwartsreflexionen. Zukunftsvisionen, Innsbruck: Wagner, 2011, zit. n.  books.google.it/books?id=m0F_DAAAQBAJ&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false, aufger. am 28.07.2016.
Klein, Dieter: Die Jahrhundertwende. Die Einflüsse der Münchner Schule, IN:
Baumeister, Nr. 12, 1983, S. 1155-1158.
Waldner, Franz (u.a.): Häuser von Laas - Tschengls - Eyrs - Tanas - Alitz. Eine Bilddokumentation aus der Optionszeit 1939/40, Lana: tappeiner, 1990.

Dr. Michael Gurschler,
geb. in ­Bozen, aufgewachsen in Laas,
Studium in ­Salzburg und St. Petersburg,
lebt und arbeitet in Wien als Lehrer, Schulbuchautor und Übersetzer

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