Dienstag, 09 Juni 2015 15:38

Nationalpark Stilfserjoch - Die Almwirtschaft ein Beitrag zur Biodiversität - Ein Plädoyer für die Almsömmerung

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P1100711Wolfgang Platter, am Tag des Hlg. Medardus, Kirchenpatron in Tarsch, 8. Juni 2015

Mitte Juni ist in unseren Zentralalpen die Zeit für den Viehauftrieb auf die Almen. Die Almsömmerung eines Teiles der Hausrinder und aller Schafe dauert ca. 100 Tage bis Mitte, Ende September. Die Almwirtschaft hat sich im Laufe vieler Jahrhunderte als eine entlastende Überlebensstrategie der Bauern im Gebirge herausgebildet: Wenn ein Teil des Viehstandes auf die Alm getrieben wird, bedeutet dies Futtereinsparung und saisonale Entlastung von der Stallarbeit auf dem viehhaltenden Hof, um sich leichter um die Futterernte und damit um den Wintervorrat kümmern zu können. Almsömmerung trägt auch zur Tiergesundheit bei.


Im Vinschgau sind die Almen in der Regel Gemeinschaftsbesitz und nicht wie in anderen Landesteilen Südtirols Privat- und Hofalmen. Wo in der Vinschgauer Talsohle der Gemüse- und Obstbau die Viehwirtschaft als Bodennutzungsform abgelöst hat, ist das Interesse an der Almwirtschaft gesunken oder verloren gegangen. Dort werden der Erhalt und die Instandhaltung der Alm in Gemeinschaftsarbeit schwierig.
Insgesamt spielt die Almwirtschaft in Südtirol eine sehr große Rolle, sind doch 34% der Landesfläche mit Almweiden bedeckt.
54Bei den Almen wird zwischen Galtviehalmen und Milchviehalmen unterschieden.  
Ökologisch ist die Almwirtschaft in der extensiven Bewirtschaftung bei einem ausgewogenen Verhältnis zwischen verfügbarer Weidefläche und aufgetriebenen Tieren ein wertvoller Beitrag zum Erhalt der Biodiversität der Lebensräume für die Wildpflanzen und die Wildtiere. Nicht mehr bestoßene Weiden verbuschen und verstrauchen rasch in dieser Höhenlage beispielsweise mit Almrosen oder Grünerlen. Bei zunehmender Erderwärmung steigt auch die Waldgrenze immer mehr an. Ein Landschaftsmosaik aus vielfältigen und wechselnden Elementen wie Waldweide, Zwergstrauchgürtel, alpinen Rasengesellschaften, Feuchtrunsen und anderen Pflanzengesellschaften ist für die pflanzliche und tierische Artenvielfalt wichtig und wertvoll.
Die Alm bietet auch saisonale Arbeitsplätze für Senner und Hirten. Die Wanderer sehen die Alm eher als Erholungsort an.

Beispiel  Prader Alm
Die Prader Alm ist ein Milch- und Galtviehalm auf 2.051 Metern Meereshöhe an der orografisch linken Flanke  des Trafoitales in der Nähe des Kleinbodens auf IMG 0688Gemeindegebiet Stilfs. Die Alm ist Eigentum der Eigenverwaltung für Bürgerliche Nutzungsrechte Prad und wird von der Alminteressentschaft Prad bewirtschaftet. Die Prader Alm wurde im fernen Jahr 1322 gegründet und umfasst eine Fläche von 619 Hektar, davon ca. 444 ha Weide (Mager- und Fettweide). Im Jahr 2013 war sie mit 53 Melkkühen bestoßen und hat 60.000 Liter Milch zu 4.456 kg Käse und 718 kg Butter verarbeitet.

Themenlehrweg Prader Alm
Auf der Prader Alm ist in den letzten Jahren ein frei zugänglicher Themenlehrweg zur Almwirtschaft mit Bild-Texttafeln in deutscher und italienischer Sprache eingerichtet worden. Er ist vom Wildgehege in Fragges Stilfs zu Fuß oder von Trafoi aus auch mit dem Sessellift zum Kleinboden erreichbar.

Harte Arbeit macht den Käse
Auf einer der Bild-Texttafeln werden die verschiedenen Arbeitsfachkräfte benannt, welche notwendig sind, um die verschiedenen Arbeiten auf einer Milchviehalm zu bewältigen: die Sennerin oder der Senner, der Untersenner, der Kuhhirt (oder Kiagr), der Almmeister, der Bergmeister und der Kleinhirt. Außerdem wird der lange Almtag beschrieben, der um 04.00 Uhr morgens mit dem Eintreiben der Kühe von der Nachtweide zum ersten Melken beginnt und um 20.00 nach dem zweiten Melken endet.

Wie werden Butter und Käse gemacht?
Eine weitere Schautafel erklärt die Arbeitsschritte vom Melken der Rohmilch im Stall über das Absetzen der Rahmschicht zum Buttern in der Sennerei und die Herstellung von Käse. Für den Käse wird die frisch gemolkene Milch abgekühlt und entrahmt. Anschließend wird sie langsam auf etwa 32° C erwärmt und reines Naturlab eingerührt. Die Milch im Käsekessel beginnt zu gerinnen. Der Bruch wird gewonnen und in Käseformen gedrückt. Der frisch geformte Käse wird für zwei Tage in ein Salzbad gelegt; dort bildet sich seine Naturrinde. Anschließend kommen die Käselaibe in das Käselager und werden dort sorgsam beobachtet, täglich intensiv gepflegt, gerieben, gedreht, um vom jungen Käse nach wochenlanger Reifung zum feinwürzigen Almkäse heranzureifen.

Sanierung von Milchviehalmen aus EU-Finanzmitteln
Im Obervinschgau sind während der Laufzeit des Leader I-Förderprogrammes zwischen 1994 und 1997 mehrere Milchviehalmen baulich saniert und für die Butter- und Käseproduktion auf den heutigen Hygienestandard gebracht worden.

Bedeutung der Almen
Die Almwirtschaft erfüllt im Idealzustand mehrere, teilweise auch gesellschaftsrelevante Funktionen:
• Es erfolgt eine nachhaltige Produktion von regionalen Produkten bei Kilometer Null Verkehr und im Gleichgewicht (vom Gras zum Käse in wenigen Metern);
• das Beweiden verhindert das Zuwachsen und Verstrauchen der Almen und erhält die Artenvielfalt von Flora und Fauna;
• der ökologisch wertvolle und artenreiche Lebensraum der alpinen Magerrasen bleibt erhalten;
• das begehrte Landschaftsbild bleibt erhalten und ermöglicht Erholung und touristische Nutzung;
• es werden regionale Nischenprodukte erzeugt, welche in kurzen Kreisläufen und bei direkter Wertschöpfung in der Kleinregion vermarktet werden können;
• die Almwirtschaft entlastet die Viehhalter bei Hofarbeiten und Futteraufwand;
• die Almsömmerung trägt zur Tiergesundheit bei;
• die Bewirtschaftung der Almen  puffert und reguliert den Wasserhaushalt und vermindert den Oberflächenabfluss;
• die Almwirtschaft ist von wirtschaftlichem Nutzen.

Ein Bisschen Statistik:
Im Vinschgau wurden im Jahre 2014 auf 80 Almen Haustiere (Rinder, Milchkühe, Pferde, Schafe, Ziegen, Schweine und Esel) gesömmert.  Auf 40 Almen wurden insgesamt 9.677 Schafe und/oder 1.973 Ziegen gesömmert. Auf 31 Almen wurden nur Schafe gesömmert. Die Herdengröße bei den Schafen reicht auf den einzelnen Almen von 5 bis 1.182 Tieren, bei den Ziegen von 5 – 326 Tieren.

Die Rückkehr von Wolf und Bär
VDSC 3306erschiedene Individuen der auch in die Zentralalpen zurückkehrenden Großen Beutegreifer Wolf und Braunbär reißen leider auch Haustiere. Dabei sind diese Tiere besonders während der Zeit der Almsömmerung eine leichte Beute des lernfähigen Wolfes und Bären. Beide Tierarten sind durch internationale Artenschutzabkommen streng geschützt. Um Haustierrissen während der Almsömmerung vorzubeugen, werden Herdenschutzmaßnahmen und angepasste Behirtungsmaßnahmen notwendig werden. Aus der Region Piemont gibt es einen ersten Zehnjahresbericht nach der Rückkehr des Wolfes: Dort sind tödliche Attacken von Wölfen auf Kälber in Mutterkuhhaltung während der Almsömmerung durch den Einsatz von Herdenschutzhunden ausgeblieben. Fraglich ist, ob Herdenschutzhunde als Präventionsmaßnahme auf allen Almen mit unterschiedlichen Geländeausformungen und Bewirtschaftungsmethoden das Mittel der Wahl sind.

Plädoyer für die bodenständige Almwirtschaft
Mit einem Urteil des Verwaltungsgerichtshofes Latium ist, gottlob, die Unsitte verboten worden, Almen durch ortsfremde Gesellschaften anzupachten ohne eigene Tiere aufzutreiben, aber trotzdem europäische Fördergelder aus den Mitteln des Landwirtschaftsfonds der Europäische Gemeinschaft anzuzapfen und zu beanspruchen. Diese elastische und spekulative Interpretation einer EU-Fördernorm war von auswärtigen Gesellschaften auch auf Südtiroler Almen übergeschwappt. Die missbräuchliche Anwendung der Fördernorm war wohl auch nicht im Sinne des Gesetzgebers.  Traditionelle Almwirtschaft macht nur in den tradierten Mustern und im Denken in der Kleinregion und in den kleinen Kreisläufen ökologischen Sinn. Nur diese, nicht spekulative Form der Almbewirtschaftung verdient auch die Zuerkennung von finanziellen Fördermitteln aus Steuergeldern der Allgemeinheit.

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