Dienstag, 13 Dezember 2016 00:00

Digitalisierung und Automatisierung werden das Leben stark verändern

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s10sp123 Dominik MattVinschgerwind: Die Fraunhofer-Gesellschaft ist mit 24.000 Mitarbeitern und über 80 Forschungszentren eine der größten Forschungseinrichtungen in Europa. Erforscht werden Schlüsseltechnologien der Zukunft. Es geht um angewandte Forschung. Was versteht man darunter?
Dominik Matt: Die Mitarbeiter der Fraunhofer Gesellschaft sind vor allem Ingenieure und Naturwissenschaftler.

Angewandte Forschung bedeutet, dass vor allem an Dingen geforscht wird, die einen wirtschaftlichen und/oder einen gesellschaftlichen Nutzen erzeugen.

Vinschgerwind: Durch neue Technologien sollen die Gesundheit, die Sicherheit, die Mobilität, die Umwelt zum Wohle des Menschen verbessert werden. Können Sie konkrete Beispiele nennen, worüber geforscht wird?
Matt: Die Forschungsfelder der Fraunhofer Gesellschaft orientieren sich an den Bedürfnissen der Menschen. Deswegen hat unsere Arbeit großen Einfluss auf das zukünftige Leben der Menschen. Regelmäßig definieren wir die Kernthemen für unsere Forschung. Die Überalterung der Gesellschaft ist ein solches Thema. Ältere Menschen sind nicht so leistungsfähig, sind möglicherweise beeinträchtigt und haben besondere Bedürfnisse. Wir arbeiten an der Entwicklung innovativer Konzepte für ein selbstbestimmtes Leben der Menschen im Alter. Ein anderes Megatrendthema ist die Umwelt. Im Energiebereich geht es um die Reduzierung des Energieverbrauchs sowie um die Erforschung erneuerbarer Energien. Im Bauwesen werden neue Materialien entwickelt. Im Fahrzeugbereich werden alternative Antriebssysteme erforscht. Trinkwasser, von zentraler Wichtigkeit für alles Leben auf der Erde, steht auch auf unserer Forschungsagenda.

Vinschgerwind: Die Fraunhofer Gesellschaft wurde 1949 gegründet. An welchen nützlichen Erfindungen und Forschungen, die unser Leben verbessert haben, war Fraunhofer beteiligt?
Matt: Laut einer Studie von Thomson Reuters aus dem Jahr 2014 gehört Fraunhofer zu den »Top 100 Global Innovators«. Fraunhofer meldet jedes Jahr mehr als 500 Patente an und ist an der Entwicklung vieler innovativer Ideen gemeinsam mit Firmen beteiligt. Das wohl bekannteste Produkt, das von Fraunhofer Forschern erfunden wurde, ist der Musik-Kompressionsstandard MP3. Das war ein wichtiger Katalysator für weitere Innovationen im multimedialen Bereich.  

Vinschgerwind: Ein Großteil der Forschung ist Auftragsforschung für die Wirtschaft und Industrie. 30% der Forschungen werden von öffentlichen Einrichtungen finanziert. Bedeutet das, dass vor allem für die Wirtschaft geforscht wird?
Matt: Dank der öffentlich finanzierten Forschung können wir Themen, die wir zukünftig als relevant für Gesellschaft und Wirtschaft erachten, losgelöst von Industrieaufträgen aber stets anwendungsorientiert erforschen. Diese sogenannte „Vorlaufforschung“ bildet eine wichtige Grundlage für unsere Attraktivität als Forschungspartner. Da wir rund zwei Drittel unseres Jahresbudgets aus Drittmitteln bestreiten, sind wir natürlich daran interessiert, attraktiv für unsere Auftraggeber zu sein. Als Abhängigkeit würde ich das jedoch nicht bezeichnen, denn wir arbeiten ja mit vielen unterschiedlichen Auftraggebern zusammen. Wir legen Wert darauf, dass unsere Objektivität als neutrale Forschungseinrichtung gewahrt bleibt.   

Vinschgerwind: Seit 2009 gibt es Fraunhofer Italia mit Sitz in Bozen. Sie sind der Institutsleiter. Wie viele Mitarbeiter haben Sie und was ist Ihre Aufgabe?
Matt: Ich bin ordentlicher Professor an der Uni Bozen und Institutsleiter bei Fraunhofer Italia. Meine Aufgabe ist es dort, wissenschaftliche Leitlinien zu definieren, das Institut nach außen zu vertreten und die Forschungsqualität zu sichern. Wir haben derzeit rund 20 Forscherinnen und Forscher, außerdem rund 10 studentische Hilfskräfte, die im Rahmen ihres Studiums, ihres Forschungsdoktorats oder Praktikums an Projekten mitarbeiten.

Vinschgerwind: Forschen für die Praxis ist die zentrale Aufgabe der Fraunhofer Gesellschaft. Durch Innovation soll die Wettbewerbsfähigkeit gestärkt werden. Welche Forschungsschwerpunkte gibt es an ihrem Institut in Bozen?
Matt: Wir haben uns sehr den Themen Industrie 4.0 und Automation verschrieben. Industrie 4.0 steht für die vierte industrielle Revolution. Dabei steht die vernetzte Digitalisierung im Mittelpunkt. Durch diese soll eine weitestgehend selbstorganisierte Produktion möglich werden: Menschen, Maschinen, Logistik und Produkte kommunizieren und kooperieren direkt miteinander. Aber das Trendthema der über das Internet vernetzten Digitalisierung der „Dinge“ betrifft nicht nur die industrielle Produktion. Wir wenden dieses Querschnittsthema auch im Bauwesen an. Dort dienen digitale Technologien dazu, die Baustelle effizienter zu organisieren. Aber auch in anderen Bereichen, wie beispielsweise in der Landwirtschaft oder in der Erforschung altersgerechter Assistenzsysteme für ein selbstbestimmtes Leben, entwickeln wir Technologien, welche das Leben verbessern. Das erfordert einen hohen interdisziplinären Ansatz. Deshalb arbeiten bei uns Forscher unterschiedlicher Fachrichtungen, z.B. Maschinenbau-, Elektronik- und Mechatronik-Ingenieure, aber auch Bauingenieure und Architekten.

Vinschgerwind: Mit welchen Forschungseinrichtungen und Organisationen arbeiten Sie zusammen? Wie wird der Kontakt mit der Bevölkerung gepflegt?
Matt: Wir haben eine enge Zusammenarbeit mit der Uni Bozen, wir bilden eine gemeinsame „Plattform Automation“. Zusammenarbeit beim Technologietransfer besteht u.a. mit dem Unternehmerverband Südtirol, dem Handwerkerverband LVH und dem IDM. Wir arbeiten mit vielen Forschungseinrichtungen zusammen, besonders mit dem Fraunhofer IAO und IBP in Stuttgart, im näheren Umfeld mit den Universitäten in Innsbruck, Graz, München und Trient und auch mit vielen anderen Partnern weltweit. Sowohl als direkte Anlaufstelle als auch über Verbände sind wir jederzeit für jedermann ansprechbar und halten Kontakt mit den Menschen. Um „klein und groß“ zu zeigen, wie anwendungsorientierte Forschung funktioniert, beteiligen wir uns regelmäßig an der langen Nacht der Forschung. Auch über die lokalen Medien stellen wir unsere Projekte vor.

Vinschgerwind: Wie sehen Sie selbst die Zukunft unserer Welt?
Matt: In die Zukunft zu blicken ist von vielen Unsicherheiten geprägt. Durch die Digitalisierung wird sich unser Leben sicher stark verändern, mit positiven und negativen Aspekten. Auch die bisherigen industriellen Revolutionen haben unsere Arbeitswelt verändert. Neue Berufsprofile werden entstehen, die Ausbildung wird sich verändern. Auch unsere Siedlungsstrukturen und die Mobilität werden sich wandeln. Das Bedürfnis der Individualmobilität nimmt ab, weil das Angebot an nachhaltigem und öffentlichem Verkehr in einer geschlossenen intermodalen Kette immer besser wird. Die strikte Trennung der Lebensbereiche in Wohnen, Arbeiten und Erholen wird sich wahrscheinlich auflösen. Es wird wieder funktionsgemischte Siedlungsbereiche geben. Die Zusammenarbeit zwischen älteren und jüngeren Menschen wird sich ändern. Wir brauchen neue Konzepte, wie wir länger arbeiten können, ohne dass die Menschen ausbrennen. Die Automatisierung und die Zusammenarbeit zwischen Menschen und Robotern wird viel verändern. Die Maschinen werden intelligenter werden, das autonome Fahren wird in den nächsten Jahren kommen. Die Maschinen werden uns Schwerarbeiten abnehmen, der Mensch wird mehr Denkarbeit leisten, bewertende Tätigkeiten und Überprüfungsarbeiten.

Interview: Heinrich Zoderer


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