Ich trug die Tracht damals als Marketenderin der Musikkapelle Taufers i. M. Es gab noch eine zweite ähnliche Tracht im Ort, die für die zweite Marketenderin immer umständlich geliehen werden musste. Die nachgemachten Trachten sollten fortan der Musikkapelle gehören. Kathl übernahm den Auftrag, obwohl sie als eine der wenigen Trachtenschneiderinnen im Tal mit Arbeit mehr als eingedeckt war. Sie beriet mich beim Stoffkauf, nahm an mir Maß und zeichnete den Schnitt.
Kathl hatte schon als Mädchen den Traum, Schneiderin zu werden. Sie wuchs als Tochter eines Viehbauern mit sieben Geschwistern in Kortsch auf. Dort besuchte sie die italienische Schule. Bei der Option 1939 entschieden sich ihre Eltern für das Dableiben. Kathl erntete daraufhin viel Spott. Burschen lauerten ihr auf, bewarfen sie mit Steinen und verhöhnten sie: „Buon giorno signorina“. „Deis isch a unguate Zeit gweesn“, sagt sie. Auch ihre Eltern und Geschwister waren Schmähungen ausgesetzt. Den Dableibern liefen die Knechte davon. Ihr Vater habe immer gesagt: „Verzeichn tua i schun, obr vergessn nia. Als 1942 die Deutschen kamen, blieb Kathl mit wenigen Schülern in der italienischen Klasse zurück. Die Optanten-Kinder erhielten Deutschunterricht. „Selm hoobm olle Hurra gschrien, unt miar hobm nichts mea z’meldn kopp“, sagt sie. Das erste Mittelschuljahr besuchte Kathl nach einer Aufnahmeprüfung im „Mariengarten“ in St. Pauls. Es war Krieg. Nach dem Bombenangriff auf Bozen im September 1943 wurde aus der Klosterschule ein Lazarett. Kathl kehrte heim. Ihre Brüder dienten beim italienischen Militär und Kathl mühte sich mit ihrer Mutter und ihren Schwestern mit den Männerarbeiten ab. Im Mai 1945 beobachteten sie von ihrem Feld aus heranziehende amerikanische Soldaten. Erstmals erblickten sie einen Schwarzen und ergriffen mit ihrem Ziehwagen die Flucht. „ I hon gschriean: schräpft auf, dass mair hoam kemman“, erzählt Kathl. Kurz darauf erfuhr sie vom Kriegsende. Kathl war 16 Jahre alt und bekam nun die Möglichkeit, das Nähen zu lernen. Drei Jahre dauerte ihre Ausbildung, zuerst in Kortsch, dann in Kastelbell. Anschließend besuchte sie Zuschneidekurse und machte sich schließlich daheim im „Weingarthof“ selbständig. Sie war auf Frauentrachten spezialisiert, nähte aber auch Trachtenhemden für Schützen und Musikanten. In den Nachkriegsjahren waren beim Aufbau der Katholischen Jugend vor allem Diandl gefragt. Sie schneiderte für Sing- und Trachtengruppen. In Innsbruck lernte sie die Trachtenexpertin Gertrud Besendorfer kennen, mit der sie sich austauschte. Kathl lernte, welche Tracht in welche Gegend passt und leitete Trachtenschneider-Kurse im ganzen Land, bis zu ihrer Hochzeit mit Josef Lechthaler. Dieser war Knecht bei einem Dableiber-Bauern. „Dia hoobm si olm gegenseitig gholfn unt pan Kornschneidn hotts zwischn inz gfunkt“, lacht sie. Beide planten ihre gemeinsame Zukunft. 1957 bauten sie ihr Haus und ein Jahr später heirateten sie. Kathl schenkte ihrem Mann zwei Kinder, einen Buben und ein Mädchen. Später nahm sie noch einen kleinen Buben aus einem Heim auf und betreute ihn wie ihre eigenen Kinder. Während ihr Mann in der Landwirtschaft, als Holzarbeiter und als Zimmermann arbeitete, versorgte sie den Haushalt. Jede freie Minute saß sie an der Nähmaschine. „Gnahnt hon i gearn unt viel, ober Managerin bin i a schlechte gweesn… weil i zu wenig verlongt hon“, sagt sie. Heute steht die Nähmaschine still. Ihr schwaches Augenlicht lässt das Nähen nicht mehr zu. „Wenn i kannt, tat i heint nou nahnen“, meint sie.
Bei der Vorstellung des Buches der Südtiroler Bäuerinnen-Organisation „Inser beschtes G`wond“ vor einem Jahr in Schlanders traf ich Frau Kathl wieder. Es erfüllt sie mit Freude, dass mehrere abgebildete Trachten aus ihrer Hand stammen, so wie die historische Frauentracht der Musikkapelle Taufers i.M.
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