Dienstag, 01 Oktober 2013 12:00

rote Lippen, blauer Schurz

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aglaiahofer fsbg26Alles Farbige erinnert ans Leben, weicht die Farbe, kommt der Tod. Blaue Lippen sind als Alarmzeichen zu verstehen, denn wenig später könnten sie grau werden, und das bedeutet nichts Gutes. Rote Lippen hingegen signalisieren die sprühende, saftige Jugend.
Farben sind eine Stoffeigenschaft, aber noch mehr, sie sind aus Sicht der Tiere und Menschen ein Signal, eine Botschaft, ein Erkennungszeichen. Jeder Staat, jedes Land versucht über eine, wenn möglich unverwechselbare Farbkombination ein Hoheitszeichen zu schaffen, das quasi personenähnliche Qualitäten hat. Diese Wappen, Fahnen oder Flaggen dürfen weder beschimpft, beleidigt oder sonst beschmutzt werden, ohne bestimmte Konsequenzen daraus zu erwarten. Die intakte Autorität wird über eine saubere, farbige Anwesenheitsmarke dargestellt. Die vollkommen schwarze Flagge ist das Erkennungszeichen des anarchistischen Widerstandes, die weiße Flagge hingegen signalisiert die Kapitulation, das Ende der Parteinahme und das Ende der Macht.


Alle unsere Vorgängerkulturen hatten ein ausgesprochen gutes Verhältnis zur Farbigkeit, ja eigentlich zur Buntheit. Farbe hat einerseits mit Repräsentation feudaler Macht und Reichtum zu tun, andererseits ist sie aufs engste verbunden mit einfachen, sogenannten „primitiven“ Kulturen und Volksgruppen. Die europäische Archäologie hat im 19. Jahrhundert mit den Ausgrabungen antiker Gebäude den, wie wir heute wissen, falschen Mythos aufgebaut, die Tempel und bildhauerischen Werke des klassischen Altertums wären farblos geschaffen, das heißt, ihr Erscheinungsbild wäre allein durch das jeweilige Material begründet. Tatsache ist aber, dass alle, wahrscheinlich ausnahmslos alle Gebäude, Säulen, Wände, Dachstühle samt den Darstellungen der Götter und Olympiasieger von oben bis unten bemalt waren.
Schon mit der Reformation begann eine gewisse Reserviertheit oder sogar Ablehnung und Bekämpfung der Farbe. Die  freche, herausfordernde Farbigkeit, eine gute Freundin der Sünde, der Verschwendung und der Lebenslust, war nicht vereinbar mit der gestrengen, puritanischen Gottessuche. Kein evangelischer Pastor, keine katholische Nonne trägt farbige Kleider. Auch für unsere demokratisch gewählten Staatsmänner, die ehrbaren Herrn, die  nüchternen Bürger oder Repräsentanten des laizistischen Staates ist es unschicklich, zu feierlichen oder offiziellen Anlässen farbige, oder gar bunte Kleidung zu tragen (Ausnahmen dazu bilden die Talare der Verfassungsrichter, bisweilen auch jene der Universitätsrektoren). Farbige, bunte Kleidung ist in unseren Gegenden dem Fasching, der Freizeit, den Bauern und vor allem den Frauen vorbehalten. Kaiser Franz Josef jedoch konnte noch bis 1917 in einer knallroten Hose auftreten, und jeder Kardinal noch heute mit scharlachrotem Talar und Käppchen.

Farbstoffe sind Botenstoffe, sie geben uns Bescheid über den Zustand oder die Zugehörigkeit einzelner Körper, Zustände oder Phänomene. Jede Blume, jedes Tier, jeder Stein, jedes Stück Holz zeigen sich uns in ihrer typischen Farbe. Stimmt sie mit der Erwartung nicht überein, könnten dahinter eine Krankheit, ein Mangel, oder sonstige Defizite vermutet werden. Die „gesunde“ Farbe wird noch überhöht durch den Glanz, die Strahlkraft. Wenn Farbe und Glanz aus dem menschlichen Haar verschwinden, verschwindet mit ihnen auch das erste sichtbarste Erkennungszeichen eines jugendlichen Körpers. Dem Mann scheint dieser Farbverlust nicht wirklich zu schaden, die Frau jedoch verliert dadurch die Präsentation ihrer Empfängnisfähigkeit, und könnte dadurch sexuell unattraktiv erscheinen.
Schrille Farbigkeit bedeutet bei Tieren oft eine Warnung an die Umgebung, Abstand zu halten, sich nicht ungebührend zu nähern und sie in Ruhe zu lassen, oder den Fressfeinden die Ungenießbarkeit oder Gefährlichkeit zu kommunizieren, aber auch eine eventuelle wehrhafte Präsenz zu verdeutlichen (Der schwarzgelbe Salamander als übel schmeckende, ätzende Speise, der bunte Hahn oder Pfau als Aufpasser und Ablenker von seinen brütenden Hennen, für diese wiederum der farbige Garant des gesunden, attraktiven Samenspenders). Frauen signalisieren angeblich ihre fruchtbaren Tage durch ausgewähltes Design  und besondere Farbgebung ihrer Kleidung.

Der weiße Anstrich von Fassaden und Innenräumen der Wohnungen bei Mensch und Haustier war ursprünglich eine reine Hygienemaßnahme. Dabei wurde frischer, scharfer, in Wasser verdünnter Kalk aufgetragen, um alle Gattungen Käfer, Milben, Russen, Schwaben usw. zu verätzen. In einigen Bauernhäusern unserer Gegend hat sich bis in die 1960er Jahre die Gewohnheit erhalten, Fensterrahmen, Türrahmen, Haus- oder Balkontüren, manchmal auch die Küchen bis auf Brusthöhe mit einer hellgrünen oder blauen Farbe zu streichen. Von beiden Farben erhoffte man sich ursprünglich eine antiseptische Wirkung. Das Blau und Grün kamen dadurch zustande, dass Kupfervitriol bzw. Kupferarsen der Kalkbrühe beigemischt wurden. Beide Farben, eigentlich Produkte der Alchimisten und Chemiker, wurden auch zur „Schädlingsbekämpfung“ im Obst- und Weinbau eingesetzt, wobei die Rückstände in den behandelten Lebensmitteln nicht selten zu Vergiftungen führten (Auch Ludwig van Beethoven soll angeblich in Wien durch permanentes und ausgiebiges Trinken eines „behandelten“ Weines vergiftet worden sein). Das Bestreichen der Türrahmen (Türstock), der Fensterrahmen und Leibungen mit einer giftigen Substanz, sollte alle kriechenden oder fliegenden Kleintiere daran hindern, die magische Schwelle zu übertreten, indem sie durch den Geruch oder die schrille Farbe abgeschreckt, oder anderenfalls vernichtet wurden.

Neben den Lippen sollten wir die Wangen nicht vergessen, den roten Stern, die Rote
Liste des drohenden Verlustes, die Rote Armee, das Rotkäppchen, Rotlicht und Blaulicht, den blauen Reiter, den blauen Engel, den Mantel der Jungfrau Maria und den Schurz der Bauern. In der frühen europäischen Malerei konnte ein kräftiger Blauton nur unter Mitwirkung von Lapislazuli (Ultramarinblau) bewerkstelligt werden, wie beispielsweise in den Fresken von Stift Marienberg, oder einem Farbstoff namens Ägyptischblau, einem der ältesten künstlich hergestellten Pigmente, dessen Gewinnung sehr viel Kenntnis und Präzision voraussetzt und daher vor allem in kultischem oder herrschaftlichem Zusammenhang auftaucht, wie übrigens alle Blaufärbungen der älteren Geschichte. Für die Tuchfärbung wurde bereits im alten Rom „Indigo“ aus Indien oder Persien importiert, aber auch eine Pflanze namens „Färberwaid“ zur Blaufärbung von Stoffen verwendet. Plinius berichtet von britannischen Weibern und Mädchen, die völlig nackt, aber mit blau gefärbtem Körper bestimmte religiöse Handlungen unternommen hätten. Schließlich  bewirkte die synthetische und industrielle Herstellung des Indigo zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine weite Verbreitung blau eingefärbter Kleidungsstücke. BlueJeans und der blaue Männer-Schurz sind ein Resultat dieser „Demokratisierung“. Ebenso blau, aber wesentlich stumpfer erscheint die Montur der Fabrikarbeiter. Dieses blaue Kleidungsstück war neben der roten Fahne und der roten Nelke eines der prägenden Stilmittel der Arbeiterklasse.

Keine Farben binden so viele Symbole und Bilder an sich wie Rot und Blau. Die eine als Kämpferin und feurige Liebhaberin (PrìnnatLìab), mit Namen wie Karmin, Zinnober oder Purpur, die andere kühl und vornehm als Indigo, Mangan, Kobalt, Berliner- Pariser- oder Himmelsköniginnenblau.

Erich Kofler Fuchsberg


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