Der Fall des Partisanen Hans Pircher

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Aus dem Gerichtssaal - Die Jugend des Hans Pircher fällt in die turbulente Zeit, von der in den letzten Beiträgen die Rede war. Nach zwanzig Jahren italienischem Faschismus mit allen damit verbundenen Drangsalierungen begrüßten die Südtiroler die am 08. September 1943 einrückenden deutschen Truppen stürmisch. Die Verwaltung wurde von italienischen Beamten gesäubert, die Podestà durch heimische Bürgermeister ersetzt, in den Schulen wurde wieder in Deutsch unterrichtet. Doch aus dem Reich kam auch eine „braune Brühe“, die sich bald unangenehm bemerkbar machen sollte. Bereits Ende 1943 erließ der Gauleiter Hofer den Einberufungsbefehl für die Jahrgänge von 1894 bis 1926, die für die Erringung des Endsieges dienen sollten. Im Lande das Sagen hatten zumeist stramme Nazis, die Kruzifixe in den Schulen wurden durch Hakenkreuze ersetzt, das Vaterunser durch das Gebet für den Führer. Langsam dämmerte es den Leuten, dass sie die Cholera mit der Pest ausgetrieben hatten. Die Begeisterung für Hitlers totalen Krieg sank in den Keller, Desertionen häuften sich.
So erging es auch dem Hans Pircher aus Laas. Geboren 1924 auf dem „Pöderhof“ in Allitz bei Laas als 5. Kind einer Kleinbauernfamilie, wurde er 1943 mit 19 Jahren zur Wehrmacht einberufen und an die Front nach Leningrad geschickt. Im Februar 1944 wird er schwer verwundet, im Juni 1944, wieder genesen, flieht er aus dem Krankenhaus in die Schweiz. Dort kommt er mit anderen Deserteuren in ein Lager. Im August 1944 wird er vom schweizer Geheimdienst, der im Auftrag der Amerikaner und der Briten agiert, für eine delikate Mission angeheuert. Er soll die Verbindung zwischen den Alliierten und einer Partisanengruppe in Südtirol herstellen und dieser 500.000 italienische Lire überbringen. Zwei schweizer Zöllner begleiteten ihn bis zur Grenze, die er in der Nähe des Chavalatsch überschreitet. In Glurns trifft er sich gemäß den erhaltenen Instruktionen mit dem Pfarrer Spieß, der ihm die Adresse des Hans Egarter in Meran, des Anführers der Südtiroler Partisanen, nennt. Nach diesem Botengang ist der Auftrag Pirchers erledigt, weshalb er auf Anordnung Egarters sich der im Passeiertal agierenden Partisanengruppe anschließt. Diese bestand aus ca. 15 bis 20 bewaffneten Deserteuren, die untereinander Kontakt hielten. Sie wurden ständig von der S.O.D., einer lokalen Hilfspolizei mit guten Ortskenntnissen, den Gendarmen und der S.S. gejagt, sodass ihre Tätigkeit sich hauptsächlich auf einen Kampf ums Überleben beschränkte. Im Zuge einiger Razzien war es auch zu Schusswechseln gekommen, bei denen ein deutscher Offizier und ein S.O.D.-Mann getötet worden waren.
Damit sollte der spätere prozessuale Leidensweg Hans Pirchers seinen Anfang nehmen. Denn einige Jahre nach dem Krieg schlug die Stimmung um. Gegen Pircher und 18 Passeirer Deserteure wurde ein Strafverfahren wegen zweifachen Mordes eingeleitet. In erster Instanz wurden sie nach 3-jähriger U-Haft vom Schwurgericht in Bozen noch freigesprochen. Der Staatsanwalt legte jedoch Berufung ein. Davon erhielt Pircher keine Kenntnis, auch weil das Verfahren in seiner Abwesenheit abgewickelt wurde. In der 2. Instanz wurde das Urteil auf den Kopf gestellt. Pircher bekam 30 Jahre aufgebrummt. Der einzige Hinweis, dass Pircher an der Erschießung des Offiziers und des S.O.D.-Mannes teilgenommen hatte, war die Anschuldigung eines Mitangeklagten gewesen, die dieser später widerrufen hatte. Das Berufungsgericht in Trient machte daraus ein erdrückendes Indiz, so wie auch der ganzen Beweisaufnahme der 1. Instanz in der Weise Gewalt angetan wurde, dass die Aktionen der Passeirer Partisanen nicht als Kriegshandlungen, sondern als hundsgewöhnliche kriminelle Taten eines Haufens von Banditen angesehen wurden. 1966 wurde Pircher eher zufällig verhaftet und in das Gefängnis von Fossano bei Cuneo eingeliefert. Er brachte von dort aus eine Reihe von triftigen Gründen für die Wiederaufnahme des Verfahrens ein, die jedoch alle verworfen wurden.
Erst 1975 erlangte er durch einen Gnadenerlass des Staatspräsidenten die Freiheit wieder. Er lebte danach bis an sein Lebensende im Jahre 2002 in Vezzan bei Schlanders, wo er auch begraben ist. Er wurde leider das Opfer eines mit groben Rechtsmängeln behafteten Urteils: In der Form, weil ein Versäumnisurteil gegen den Angeklagten erging, ohne dass ernsthafte Nachforschungen über seinen Verbleib angestellt wurden. Bei der Beweiswürdigung, weil der Beschuldigung eines Mitangeklagten Beweiswert zuerkannt wurde. Und schließlich weil, obwohl alle historischen Umstände darauf hindeuteten (Zeit von 1943 bis 1945), nicht die diversen Amnestieerlässe für Kriegshandlungen angewandt und die Straftaten für erloschen erklärt wurden.
Zu allerletzt sei mir noch eine persönliche Anmerkung gestattet: Der vom Deserteur zum Partisanen gegen die Naziherrschaft gewandelte Hans Pircher hätte vielleicht von der Südtiroler Öffentlichkeit ein wenig von der Anteilnahme verdient, die zuerst den „Pfunderer Buabn“ und dann den Aktivisten der 60-iger Jahre entgegengebracht wurde. So trifft auf ihn im besonderen Maße der Titel des Buches zu, das einige unserer Historiker zum Thema Deserteure geschrieben haben: “Verfolgt, verfemt, vergessen.“
Peter Tappeiner, Rechtsanwalt
peter.tappeiner@dnet.it

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