Mittwoch, 11 Juli 2012 00:00

„Lai koan Kriag mea…“

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Portrait – Elsa Wieser Riedl, geboren 1925, Lichtenberg.

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Die „Josefsblattln“ für die Monate Mai  und Juni hat Elsa soeben verteilt. Sechsmal im Jahr geht sie mit dem Gehstock, ihrem „Rössl“, in Lichtenberg von Haus zu Haus. Sie steckt die Ausgaben der Zeitschrift in die Briefkästen oder übergibt sie persönlich. Jeden Herbst kassiert sie die Förderbeiträge. „Friaer sain 80 Mitglieder gweesn, heint sains lai mea 50“, sagt sie. Seit ihrem zehnten Lebensjahr leistet sie diesen Dienst für die St. Josefs Missionare.  Die Aufgabe hatte sie von ihrer Großmutter übernommen, die nach dem Tod der drei Töchter die Botendienste nicht mehr tätigen konnte. „Si sain drkronkt unt gschtorbm, i woas nit wrum“, erklärt Elsa.

Sie war zwei Jahre alt, als ihre Mutter starb. Die Großeltern umsorgten die Kleine. Die Familie lebte von der kleinen Landwirtschaft mit vier Stück Vieh. „Olz hot ma tian gmiaßt, wos oamol unt Gott meigla gweesn isch“, meint sie.
Zusammen mit 40 Schülerinnen und Schülern drückte sie die Schulbank. „I honn nia Teitsch glernt“, betont sie. Trotz der widrigen Umstände mit dem Unterricht im faschistischen Geist stellt Elsa ihrer Lehrerin ein gutes Zeugnis aus. „Mir hoobm gonz guat gleart“, erinnert sie sich. Und als das Telefon läutet, stellt sie ihre Italienisch-Kenntnisse eindrucksvoll unter Beweis. Der Dame einer Telefongesellschaft erteilt sie resolut und in gutem Italienisch eine Abfuhr. Den Religionsunterricht verfolgte Elsa in deutscher Sprache, heimlich im Widum. „I konn heint nou olle Gebete auswändig“, betont sie. Hie und da beherbergten die Großeltern Waisenknaben aus Heimen, die im Sommer bei den Bauern der Umgebung arbeiteten. Für Elsa bedeutete das eine willkommene Abwechslung. Mit einem, dem Franz blieb sie in Kontakt. Nachdem die Familie für Deutschland optiert hatte, verbreitete sich in Lichtenberg das Gerücht, dass die Optanten nach Elsass Lothringen ausgesiedelt würden. Franz, der während seines Militärdienstes gute Kontakte zu einem italienischen Offizier geknüpft hatte, beruhigte. „Olz lei Propaganda, hot er gsogg, unt es isch jo norr a lari fari gweesn“, sagt Elsa.
Als bedrückendste Stunden in ihrem Leben empfand Elsa, als ihre jungen Alterskollegen in den Krieg ziehen mussten. „Wenn di Buabm kemman sain Obschied nemman, ischas herzzerreißend gweesn“, beschreibt sie und kann ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Der Abschied von ihrem Vetter Willi vom Pinet-Hof lässt sie nicht los. Am Spondiniger Bahnhof schaute sich dieser weinend zum Hof um. Er spürte, dass er diesen nicht mehr sehen würde. Und er sollte recht behalten. Auch Franz zog für Hitler in den Krieg und kehrte nicht mehr zurück.
Oft steht Elsa am Kriegerdenkmal und denkt an die vielen Gefallenen und Vermissten, die sie gekannt hatte, und sie betet um den Frieden: „Lai koan Kriag mea, es isch für olle hort gweesn.“ Zu Kriegsende herrschte im Gasthof in ihrer Nachbarschaft  reges Treiben. Deutsche Soldaten wechselten sich mit italienischen Offizieren ab. Oft hatte Elsa Angst vor Repressalien. Schließlich verschwanden alle und das Leben normalisierte sich.
Friedolin Riedl, ein 14 Jahre älterer Mann aus der Nachbarschaft, interessierte sich für Elsa, und er lud sie zu einer Fahrt übers Stilfser Joch nach Bormio ein. Beide saßen auf der Ladefläche eines Lastwagens. Während der abenteuerlichen Reise kamen sie sich näher und beschlossen zu heiraten. Die Hochzeit sollte am 10. April 1950 stattfinden. Doch einen Tag vorher starb Elsas Großmutter. „I hon nimmr heiratn gwellt“, sagt sie. Der Pfarrer drängte sie nach der Beerdigung zur Hochzeit, aus Sorge, das Paar könnte in wilder Ehe zusammen leben. „Drweil isch dr Fridolin jedn Tog homgongan“, unterstreicht Elsa. Das junge Paar fügte sich und heiratete am 25. April. Fridolin arbeitete als Schlosser und Elsa war Bäuerin. Sie schenkte fünf Kindern das Leben und war dankbar für die Harmonie in der Familie. „Miar hoobm olm guat gschoffn“, betont sie. Es war für sie schwer zu verkraften, als ihr Mann 1982 nach einem Schlaganfall starb. Trost gaben ihr die Kinder. Diese waren ihr stets wichtig, und sie ist glücklich, dass alle mit beiden Beinen im Leben stehen.
Wichtig waren ihr auch die „Josefsblattln“. Bis zum Dezember teilt sie diese noch aus, dann will sie die Verantwortung abgeben.

Magdalena Dietl Sapelza

Zeitung Vinschgerwind Bezirk Vinschgau


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