Dienstag, 29 August 2017 12:00

Arbeitsplatzeingliederung von Menschen mit Behinderung

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s6 1 Lorena Habicher Praktikum TopHair Horrer„Das Land betrachtet die Teilhabe am Arbeitsleben von Menschen mit Behinderung als Grundrecht“. So steht es im Artikel 14 des Inklusionsgesetzes aus dem Jahre 2015. Früher wurden Behinderte versteckt und abgeschoben. Durch Staats- und Landesgesetze wird heute die Arbeitsintegration gefördert. Viele Fortschritte wurden erzielt, es bleibt aber trotzdem für alle eine große Herausforderung.

von Heinrich Zoderer

Lorena Habicher ist bereits dabei, ihrem Kollegen Peter Perkmann von der Lebenshilfe Vinschgau mit einem Haarschneider den Kopf zu rasieren, als ich um 11 Uhr im Friseursalon „TOPHAIR“ von Horrer Sabine in Schlanders eintrete.

Seit dem 14. März  kommt Lorena jeden Dienstag von 10:30 bis 12 Uhr mit einem Betreuer bzw. einer Betreuerin in den Friseursalon, um Bekannten oder Klienten der Lebenshilfe die Haare zu schneiden. Lorena zeigte bereits in der Schule großes Interesse für den Friseurberuf und Talent für kreatives Zeichnen. Nach Gesprächen mit den Eltern und der Inhaberin des Salons wurde das Projekt gestartet. Vereinbart wurde, dass Lorena im Rahmen eines Praktikums vom 14. s6 Gutschein 4März bis 24. Juli 2017 wöchentlich im Salon jemand die Haare wäscht, rasiert und föhnt. Außerdem muss sie Zeitungen aufräumen, Scheren und Bürsten einordnen, das Waschbecken reinigen, Wäsche in die Waschmaschine geben, die Wäsche aufhängen und die Blumen gießen. Zusätzlich gestaltet Lorena Gutscheinvorlagen mit Friseurmotiven für die Kunden. Lorena bekommt einen Platz im Kasten, wo sie ihre Arbeitsschürze ablegen kann. Sie freut sich auf jedes Praktikum, verrichtet die angewiesenen Aufgaben sehr gewissenhaft und gestaltet fleißig Gutscheine. Dieses Projekt „Praktikum bei der Friseurin“ ist das letzte Projekt zur Arbeitseingliederung von schwer behinderten Menschen in der Lebenshilfe Vinschgau. Seit mehreren Jahren gibt es die „Hoppegruppe“, d.h. mehrere Personen der Lebenshilfe arbeiten bei der Firma Hoppe in Laas. In Schlanders macht eine Arbeitsgruppe Klebe-, Verpackungs- und Montagearbeiten für die Firma Hoppe und für andere Firmen aus dem Vinschgau. Die „Gemeinde-Gruppe“ pflegt Parkanlagen und Spielplätze. In der Lebenshilfe Vinschgau bzw. in der Behindertenwerkstatt Prad sind jene Menschen mit den größten körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen. Und selbst hier sucht man nicht nur nach sinnvollen Beschäftigungen innerhalb der eigenen Strukturen, sondern auch die Annäherung und Eingliederung in die Arbeitswelt.

Pflichteinstellung und Projekte zur Arbeitseingliederung

Die Abteilung Arbeit und die Sozialverbände sind seit Jahrzehnten dabei, die Arbeitseingliederung von Menschen mit Behinderung voranzutreiben und konkrete Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen. Durch das Staatsgesetz Nr. 68 vom 12.03.1999 sind Betriebe mit mehr als 15 Beschäftigten verpflichtet, Menschen mit Behinderung einzustellen. Mit dem Landesgesetz Nr. 7 vom 14.07.2015 soll die Sensibilisierung der Arbeitgeber und die Durchführung von Projekten zum Einstieg oder Wiedereinstieg in die Arbeitswelt gefördert und unterstützt werden. Deshalb gibt es beim Arbeitsvermittlungszentrum Schlanders, dem ehemaligen Arbeitsamt, auch zwei Personen, die für die Arbeitseingliederung zuständig sind: Annamaria Grüner und Simone Paulmichl. Bei den Sozialdiensten in der Bezirksgemeinschaft Vinschgau ist Martha Tragust für die Arbeitsplatzbegleitung zuständig. Wie Robert Grüner, der Leiter des Arbeitsvermittlungszentrums erklärt, gibt es bei der Arbeitseingliederung zwei Schwerpunkte: Die Projektarbeit und die gezielte Vermittlung. Die Projektarbeit, die „individuelle Vereinbarung zur Arbeitseingliederung“, dient dazu, dass Menschen mit Behinderungen konkrete Arbeitserfahrungen machen können. Zu diesem Zwecke wird ein „Abkommen“ zwischen der Person mit s6 2 Gruner PaulmichlBehinderung, dem aufnehmenden Betrieb und der Abteilung Arbeit abgeschlossen. Dem Betrieb entstehen dabei lediglich Kosten für das Mittagessen und für die Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Arbeitsplatz. Die Abteilung Arbeit ist für das „Taschengeld“ in einer max. Höhe von 492€ im Monat, sowie für die Versicherung zuständig. Von beiden Seiten kann das Projekt jederzeit abgebrochen werden. Simone Paulmichl und Annamaria Grüner erklären, dass bereits im ersten Halbjahr 2017 insgesamt 9 neue individuelle Vereinbarungen für ein Praktikum zur Arbeitseingliederung abgeschlossen wurden, insgesamt laufen derzeit im Vinschgau 51 Projekte. Zum anderen dienen diese Projekte als Vorarbeit für die sogenannte „gezielte Vermittlung“. Betriebe ab 15 Mitarbeiterinnen sind lt. Ges. 68/99 verpflichtet, eine Person mit Behinderung aufzunehmen, Betriebe ab 35 Mitarbeiterinnen deren zwei und jene mit mehr als 50 Mitarbeiterinnen 7% der gesamten Belegschaft. Um dieser Verpflichtung nachzukommen, wird ein Aufnahmeprogramm abgeschlossen. Dieses regelt die schrittweise Erfüllung der Anstellungspflicht, sowie die Arbeitszeiten und Eingliederungsmaßnahmen. Hauptaufgabe der zuständigen Personen für die Arbeitseingliederung ist es, den passenden Betrieb für die Personen mit Beeinträchtigungen zu finden und über die Eingliederungsprojekte eine reguläre Anstellung zu erreichen. Vermittelt werden Menschen mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen, Menschen mit psychischen Problemen, Menschen nach Arbeitsunfällen oder Schlaganfällen, Suchtkranke, Gehörlose und Blinde. Zum Großteil gelingt es, dass die betroffenen Personen nach einem Eingliederungsprojekt auch eine reguläre Anstellung bekommen. Einige Personen machen ein solches bei mehreren Betrieben, bis sie den geeigneten Arbeitsplatz erhalten. Für einige Personen ist es auch nach einer Projektzeit von fünf Jahren ganz schwierig bzw. unmöglich eine reguläre Anstellung zu erreichen. Spätestens dann gehen diese Personen an die Sozialdienste der Bezirksgemeinschaft über, wo ihnen neue Möglichkeiten angeboten werden können. In der ersten Jahreshälfte sind bereits 12 Personen zu einem regulären Arbeitsverhältnis gekommen. Privatbetriebe können mit einem Beitrag von max. 30% des Bruttolohnes rechnen, abhängig von der Art und Höhe der Invalidität. Die Höchstdauer dieser Förderung wurde von acht auf max. 25 Jahre erhöht.

Arbeitsplatzbegleitung

Die Arbeitseingliederung ist ein Gemeinschaftsprojekt der Abteilung Arbeit und der Sozialdienste. Aufgaben und Kompetenzen werden durch ein Einvernehmensprotokoll aufgeteilt. Sobald eine individuelle Vereinbarung zur Arbeitseingliederung abgeschlossen ist, wird die betroffene Person vom Sozialdienst begleitet. Im Bezirk Vinschgau ist Martha Tragust dafür zuständig. Es ist eine abwechslungsreiche Arbeit, die Feingefühl und Einfühlungsvermögen erfordert. Damit das Projekt erfolgreich starten kann, braucht es eine gründliche Vorbereitung. Der Betrieb muss sensibilisiert werden und es braucht eine Bezugsperson an der Arbeitsstätte und eine Bezugsperson im Sekretariat. So können Schwierigkeiten und Missverständnisse leichter besprochen und ausgeräumt werden. Die betreuten Personen sollen autonom und s6 3 Martha Tragustselbständig arbeiten, ihre Fähigkeiten einsetzen können, aber auch die richtige Arbeitshaltung wie Pünktlichkeit, Verlässlichkeit und Ausdauer einbringen. Das ist nicht immer einfach. Von den Betrieben, Altersheimen, Kindergärten, Gemeinden und anderen öffentlichen Einrichtungen, sowie den Sozialgenossenschaften ist Toleranz und Verständnis gefordert. Die Integrationsarbeit ist ein ständiges Geben und Nehmen, ein langer Lernprozess, meint Tragust. Emotionen spielen eine große Rolle, es gibt Leistungsschwankungen und Missverständnisse. Aber die Behinderten müssen auch gefordert werden, sie müssen sich an Vereinbarungen halten, sollen aber nicht überfordert werden. Das richtige Maß zu finden, ist eine große Herausforderung. Persönliche Beziehungen, besonders mit den Bezugspersonen sind ganz wichtig. Es gibt kein Scheitern, sondern nur neue Erkenntnisse, meint Tragust. Und aus den neuen Erkenntnissen müssen die richtigen Schlüsse gezogen werden. Das hört sich einfach an, in der Realität ist es aber nicht so einfach und vor allem ist es jedes Mal ganz anders.

Das Friseurprojekt wird fortgesetzt

Für Sabine Horrer, Chefin des Salons TOPHAIR und ihre Mitarbeiterinnen war dieses Praktikum eine neue Erfahrung, auch eine neue Herausforderung. Es hat alles belebt, viele positive Reaktionen gegeben und besonders die selbst gestalteten Gutscheine sind bei den Kundinnen gut angekommen. Tanja Horrer war für Lorena die wichtigste Bezugsperson im Friseursalon. Wichtig war auch, dass Lorena von Betreuern der Lebenshilfe begleitet wurde. Lorena hat ihre Aufgaben sehr fleißig ausgeführt. Mit strahlendem Gesicht und großer Freude hat sie die Arbeit begonnen und beendet. Im Herbst soll das Projekt fortgeführt werden.

Gesetzliche Grundlagen:
Staatsgesetz Nr. 68 vom 12.03.1999 – Pflichteinstellung
Landesgesetz Nr. 7 vom 14.07.2015 – Inklusionsgesetz
Landesregierungsbeschluss Nr. 824 vom 25.07.2017 – Beitragskriterien
Maßnahmen zur Arbeitsintegration:
Individuelle Vereinbarung zur Arbeitseingliederung: Projekte: 3 - 12 Monate bis max. 5 Jahre
Gezielte Arbeitsvermittlung: reguläre Anstellung nach Gesetz 68/99
Individuelle Vereinbarungen zur Arbeitsbeschäftigung: Projekte für Personen mit hoher Invalidität und für welche eine gezielte Vermittlung nicht möglich war.

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