Dienstag, 05 Juli 2016 00:00

Ich habe einen Neffen,

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ARUNDA FruhstuckWolfgang, mit dem ich schöne Reisen mache. Dabei wird viel erzählt, Geschichtliches oder selbst Erlebtes. Autogespräche auf langen Fahrten, durch Deutschland nach Thüringen bis zur Wartburg, wo Luther die Bibel übersetzt hat. Auch Erotisches wird besprochen. Höhepunkt ist die Skandalgeschichte aus einem römischen Frauenkloster um 1859.


Es war auf unserer Reise nach Santiago de Compostela, Wallfahrt zum Hl. Jakob und zum „Finisterre“, also zum „Ende der Welt“, wie man im Mittelalter meinte. Also Spanienreise mit Abstecher nach Portugal. Wir logierten zuerst in Pousada, in einem zum Nobelhotel gewandelten, ehemaligen Frauenkloster. Ursprünglich war es eine Augustinerabtei, wurde aber unter dem wirtschaftlich erstarkenden Portugal umgebaut. Für vornehme Damen, die nicht verheiratbar waren, jedenfalls nicht standesgemäß. Hier wohnten also adelige Fräulein in einer Art Käfig mit ummauertem Klosterpark.
Treppauf treppab versuchten wir uns auf den verschiedenen Stockwerken zurecht zu finden, in einer Fülle von Räumen, die jetzt dem gut zahlenden Gast dienen. Die Hauskapelle ist geschlossen, wahrscheinlich wegen Restaurierungsarbeiten. Nur im prunkvollen Zentralraum hängt das Portrait einer energisch blickenden Dame. Ist es die Stifterin oder eine Gönnerin des Klosters?
Zwei Männer in diesem ehemaligen Frauenkloster ... wir konnten uns eigentlich nur durch reichlichen Weingenuss über dieses Missverhältnis hinwegtrösten. Wir haben also redlich getrunken, was zu verwirrenden Wahnbildern führte. Für mich wurde die hier verbrachte Nacht zur Nacht der vielen Frauen ... inbrünstig betende Nonnen, ein plötzlich erscheinender Beichtvater, ein Jesuitenpater. Für die Hilfe, die sein Orden beim Prozess der Heiligsprechung der Klostergründerin Maria Agnese Firrao leisten sollte, verlangte er völlige, auch sexuelle Hingabe. Darüber gibt es genaue Aufschreibungen. Was ich hier berichte, entstammt einem Buche, in dem die Prozessakten der Inquisition minuziös aufgearbeitet werden: „Die Nonnen von Sant' Ambrogio“, ein Tatsachenbericht von Herbert Wolf, Professor für Kirchengeschichte an der Universität Münster, Verlag C.H Beck München 2013.
P1010527Eine seriös recherchierte Untersuchung, die erst wirklich offen und freizügig ausfallen konnte, nachdem die Archive des Vatikans vollständig zugänglich gemacht wurden. Und damit hat unser Papst Benedikt XVI. etwas zu tun, unter dessen Führung diese Öffnung angeordnet wurde.
Eine wahre Geschichte also. Zwar weiß man schon längst, dass in diesen Archiven Unglaubliches gehortet wird, aber die aufklärenden Historiker hatten nie den direkten Zugriff und die Beweise blieben meist Hypothesen. In dem erwähnten Buch geht es also um die kriminellen Machenschaften im Zusammenhang mit der Heiligsprechung der Gründerin des Klosters von Sant' Ambrogio, die als Heilige verehrt wurde, aber vom Heiligen Offizium nicht anerkannt und als falsche Heilige verurteilt wurde.
Zuerst muss ich einige der handelnden Personen vorstellen, die in meiner Schlaflosigkeit wie auf einer Bühne erschienen. Katharina von Hohenzollern-Sigmaringen, eine deutsche Adelige vom katholisch gebliebenen Zweig der Hohenzollern ... das war eine große Ehre für die Nonnen des römischen Klosters. Die Fürstin war 15 Jahre Novizin und erfährt von Klostergeheimnissen. Und weil sie sich einmischte, die Misstände erkannte und abschaffen wollte, wird sie verfolgt und gerät sogar in Lebensgefahr.
Da ich mich lange im Bett herumwälzte, vergeblich den Schlaf suchend, erschien mir plötzlich auch die Äbtissin, deren Bild auf der sonst kahlen Wand, drohend und alles beherrschend, im Festsaal hängt. War es die Stifterin dieses riesigen Klosters? Eine Wohltäterin, eine tugendsame Klosterfrau? Ein Vorbild für weibliche Frömmigkeit? Wie immer ihre Rolle im Kloster war, heute, in dieser unruhigen Nacht, stieg sie aus der Wand, kroch zu mir ins Bett und lag warm und ruhig neben mir. In meiner schlaflosen Phantasie erkannte ich eine weitere Person, einen ernsten Mann in Priesterkleidung. Es war Benedikt XVI.,der abgedankte Papst, der Professor Josef Ratzinger.
Den Zusammenhang zwischen den Nonnen und dem bairischen Papst muss ich kurz erklären. Tags zuvor erzählte ich meinem Neffen von meiner Bonner Studienzeit, dass ich den späteren Papst Benedikt als vortragenden Theologen kennen gelernt hatte. Und zwar als einen Denker, der mit dem fast gleichaltrigen Schweizer Theologen Hans Küng befreundet war und mit ihm in Glaubenssachen weitgehend übereinstimmte. Dann aber trennten sich ihre Wege. Hans Küng spricht vor allem über das Weltehtos und verlässt das konservativ katholische Lager; dabei wird ihm sogar die kirchliche Lehrerlaubnis entzogen.
Im Unterschied dazu macht der konservative Ratzinger Karriere, wird zum Bischof, Erzbischof und Kardinal ernannt und letztlich auch zum Papst gewählt. Vor diesem Amt war er oberster Hüter der Glaubenskongretation, die früher unter dem Namen Heilige Inquisition bekannt war. Das ist noch immer eine wichtige Schaltstelle des Vatikans, unter anderem auch zuständig für das weite Feld der Heiligsprechung.
Der gelehrte, fromme Universitätsdozent, der es vor allem mit dem gedruckten Wort zu tun hat, mit der Bibel ... sein Vertrauen ist universell. Und so ist es nicht verwunderlich, dass er die bislang geheim gehaltenen Prozessakten der Öffenlichkeit zugänglich gemacht hat, im Vertrauen, dass die Wahrheit schon den richtigen Weg finden würde. Also ein naiver Intellektueller. Ein Deutscher, der die römischen Misstände nach Möglichkeit „aufräumen“ wollte. Und nun liest er im besagten Buch von sagenhaften Zuständen im Kloster Sant' Ambrogio ... von unter psychischer Folter gestandenen sexuellen Spielen. Alles kam bei den „Beichten“ der Nonnen ans Licht, Tatsächliches und kaum Vorstellbares. Alles sorgfältig in den Prozessakten archiviert. Das der Öffentlichkeit zu überlassen, war das nicht Verletzung des Beichtgeheimisses?
Die deutsche Fürstin hat damals fluchtartig das römische Kloster verlassen. Ähnliches kann als Motiv für den Rücktritt des Papstes vermutet werden. Beide, beides Deutsche, haben nichts verstanden von den antiken Dämonen, die in Rom immer noch wirken und sich nicht verscheuchen lassen.
Hans Wielander

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