Dienstag, 08 Juli 2014 14:04

Es bewegt sich doch

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s6 1069Italien ist immer etwas säumig, wenn es darum geht, europäische Richtlinien umzusetzen. Im Jahr 2009 hat die Europäische Kommission Richtlinien in Bezug auf die Pflanzenschutzregelungen erlassen - mit dem Auftrag, dass die Mitgliedsstaaten eigene Regelungen erlassen mögen. Seit Februar 2014 hat Italien einen diesbezüglichen „Nationalen Aktionsplan“ (Vinschgerwind Nr. 9/2014). Die Landesregierung hat am 1. Juli 2014 ihre autonome Befugnis wahrgenommen und für Südtirol eine eigene, genau definierte Regelung erlassen. 

von Erwin Bernhart

Arnold Schuler, Landesrat auch für die Landwirtschaft, hat in den letzten Wochen geackert. Dafür hat er Einladungen auch aus Bauerskreisen nicht wahrgenommen und dafür öffentlich Prügel eingesteckt.

Seit 1. Juli 2014 ist ein Ergebnis von Schulers Plackerei auf dem Tisch: Auf seinen Vorschlag hin hat die Landesregierung „Leitlinien für den Pflanzenschutz“ beschlossen. Diese Leitlinien sollen die Problematik des Pestizideinsatzes in der Landwirtschaft ein Stück weit aus der öffentlichen Diskussion nehmen. Es ist kein Zufall, dass man im Land relativ rasch gehandelt hat, nachdem der nationale Aktionsplan im Februar in Rom verabschiedet worden ist. Die öffentliche Debatte wird vor allem im Vinschgau und dort vor allem in Mals mit Leidenschaft und auch heftig geführt. Denn in der Gemeinde Mals steht demnächst eine Volksbefragung an, bei der sich die Bürger für ein Verbot von sehr giftigen, giftigen, gesundheitsschädlichen und umweltschädlichen chemisch synthetischen Pflanzenschutzmitteln aussprechen können. Der Malser BM Ulrich Veith hat am vergangenen Freitag einen neuen Termin für die Abhaltung dieser Volksabstimmung anberaumt: Vom Freitag, den 22. August bis zum Freitag, den 5. September 2014 soll die Malser Bevölkerung abstimmen können. Schuler räumt durchaus ein, dass der Beschluss über die Leitlinien nicht von der Malser Diskussion abgekoppelt sei. In einer Aussendung heißt es: „Pflanzenschutzmittel, die in die Kategorie „giftig“ und „sehr giftig“ fallen, werden im Obst- und Weinbau laut Agrios-Richtlinien nicht mehr eingesetzt.“ Schuler räumt allerdings auch ein, dass an der kontinuierlichen Verbesserung der Nachhaltigkeit der landwirtschaftlichen Produktion kein Weg vorbeiführe.
Mit einem Maßnahmenpaket will man das Thema Pflanzenschutz von mehreren Seiten aufarbeiten:
Mit einer langfristig angelegten epidemiologischen Studie etwa will man Krankheitsfälle in Bezug auf die Gebiete mit unterschiedlicher landwirtschaftlicher Nutzintensität vergleichen.
Eine weitere Studie wird sich mit Rückstandsanalysen von Kräutern befassen. In einem internen Papier heißt es, dass in „naher Vergangenheit auf Kräutern nicht nur Rückstände von Pflanzenschutzmitteln nachgewiesen wurden, die in Verwendung sind.“ Will heißen, dass auch gespritzt wurde, was verboten war.
s6 tabDie Laimburg, der Imkerbund und die Universität Bozen betreiben seit heuer schon das Bienenbeobachtungsprogramm „Apistox“. Ziel dieses Bienenmonitorings ist es, herauszufinden, wie sich der Pflanzenschutz in einem Gebiet auf die Bienenvolksentwicklung auswirkt.
Auch die technische Seite des Ausbringens von Pflanzenschutzmitteln soll verbessert werden - auf Versuchsfeldern sollen  Möglichkeiten und Grenzen abdriftmindernder Techniken untersucht werden.
Und dann kommen die Landesleitlinien (sh. Tabelle), mit denen die Schnittstelle zwischen Bevölkerung und Landwirtschaft gekittet werden soll. Mit diesen Leitlininen „soll die menschliche Gesundheit durch die Anwendung des Vorsorgeprinzips geschützt werden. Überall dort, wo die Bevölkerung direkt mit dem Pflanzenschutz in Berührung kommt, muss verstärkt der Einsatz modernster Technik zur Abdriftminderung forciert und müssen entsprechende Abstandsregelungen getroffen werden“, heißt es im internen Papier. Tatsächlich gehen die Landesleitlinien über den nationalen Aktionsplan hinaus. Als sensible Zonen werden in Südtirol neben den öffentlichen  Gebäuden auch private Gebäude und private Gärten dazugenommen, Straßen und Fußwege auch und - was auch im Vinschgau Thema ist - der Radweg.
Nur bei den Sanktionen, welche bei Übertretung der Maßnahmen fällig sein können, bleibt das Land unterhalb des nationalen Aktionsplanes. Der Staat hat nämlich Strafen von 5.000 bis 20.000 Euro vorgeschlagen - in Südtirol sollen es von 1.000 bis 10.000 Euro sein. Die Gemeindepolizei wird mit dem Verhängen von Strafen betraut werden. Allerdings muss dieser Teil per Gesetz geregelt werden. Das wolle man demnächst in einem  Omnibusgesetz hineinpacken, sagt Schuler.
Die Landesleitlinien  zum Pflanzenschutz haben bereits Reaktionen hervorgerufen. Die Freiheitlichen begrüßen die Regelung als eine notwendige. „So wie die Bio-Landwirtschaft eine wichtige und zukunftsträchtige Landwirtschaft ist, so kann die konventionelle Landwirtschaft nicht auf Knopfdruck zu Bio umgestellt oder einfach nur verboten werden. Gehen kann es nur, wenn alle sich an einen Tisch setzen, miteinander reden und auch Erfahrungen austauschen. Und dies scheint nun mit dieser Verordnung auch der Fall zu sein. Das Verfallen in einen „grünen Fundamentalismus“ bringt niemandem etwas. Es braucht Aufklärung, Gespräche, Sensibilität von den Bauern und auch von Seiten der Bevölkerung gegenüber der Landwirtschaft. Wenn das zustande kommt, dann sind wir auf einem guten Weg“, schreibt etwa Sigmar Stocker in einer Aussendung.
Die Initiative für direkte Demokratie schreibt: „Ein wunderbares Beispiel für die heilsame Wirkung direkter Demokratie! Mit diesen Instrumenten haben die Bürgerinnen und Bürger jetzt das letzte Wort, um zu entscheiden, ob diese Maßnahmen ausreichend sind oder ob sie eher als eine Alibiaktion zu werten sind.“
Auch der Verband Bioland begrüßt die Landesleitlinien: „Endlich tut sich was!“ Bioland weist seit Jahren auf die Problematik von Pflanzenschutzmitteln hin, die durch Verwehungen auf benachbarten Flächen landen. Der Bioverband drängt auf eine faire Regelung, wie Biobauern vor der Abdrift von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln geschützt werden können, die im Bio-Anbau nicht erlaubt sind, und wie der Schaden, den Biobauern bei nachgewiesenen Rückständen erleiden, von den Verursachern getragen werden kann. Die Bioland-Direktorin Jutta Staffler bleibt realistisch. „Ob diese Maßnahmen Wirkung zeigen, wird sich erst noch weisen müssen“, sagt Staffler dem Vinschgerwind.
Von der Südtiroler Obstwirtschaft wurde vor kurzem eine erste Vereinbarung zu diesem Thema getroffen, die ab der Vegetationsperiode 2015 gilt. Die „Rahmenvereinbarung für ein konfliktfreies Nebeneinander von biologisch und integriert bewirtschafteten Obstbauflächen“ wurde von Vertretern der Erzeugerorganisationen VOG, VI.P, FOS, Fruttunion,  OG Bio Südtirol, OG Osiris und des Südtiroler Beratungsringes, des Südtiroler Bauernbundes, AGRIOS, Bio Vinschgau, sowie vom Bioland Verband unterzeichnet. Sie gilt für biologisch und integriert bewirtschaftete Obstflächen, die direkt aneinander grenzen, und beinhaltet verschiedene Maßnahmen, die Abdrift verhindern oder vermindern sollen. Sollte trotz dieser Maßnahmen dennoch Abdrift von Pflanzenschutzmitteln auftreten, wird es die Möglichkeit geben, ein Schiedsgericht der Handelskammer Bozen um Lösung für den entstandenen Schaden anzurufen.  In der konkreten Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen wird sich dann herausstellen, ob sie ausreichen, oder ob weitere Schritte erforderlich sind.
Das Ackern des Bauern-Landesrates Schuler wird wohl - auch, aber nicht nur, angesichts der Volksbefragung in Mals - weitergehen müssen.


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