Kultur: Gmånorbet* - Der Beginn eines Spaziergangs über das Gelände der ehemaligen Caserma Druso in Schlanders

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von Charlotte Aurich

Ich betrete das Gelände Anfang August über den Eingang schräg gegenüber vom Bahnhof. Leerstehende Gebäude, zwei große Kasernen Bauten stehen zwischen den Bäumen. Die Nutzung nach dem Abzug der letzten Soldaten in den 90er Jahren ist sichtbar im Gang – Pflanzen wachsen Türen und Fenster zu, die Mauern hoch, Schriftzüge und Bilder bedecken die Wände. Durch zerbrochene Fensterscheiben sind die Bewegungen jugendlicher Ein- und Ausstiege im Laufe der Jahre sichtbar. Schräg gegenüber der in Marmor gefassten Frontfassade des Hauptgebäudes stehen zwei Schafe auf einer Rasenflächen. Das Erdgeschoss des alten Wohnhauses der militärischen Führungskräfte dahinter dient ihnen als Stall. Ich gehe am verlassenen Tennisplatz vorbei und auf den großen Platz zu. Er bildet die gewaltige Mitte der vier Kasernengebäude, bedeutete Überblick und Kontrolle beim Appell. Die Soldaten umgaben dieselben Bäume, KW 01 Aurich C.Baumstümpfe weiter vorne erzählen von weiteren. Der Platz ist eine Fläche gebaut fürs Exerzieren, diesen Sommer war er groß genug für ein Zirkuszelt.
In einem der Gebäude verbringen ich den Monat August: die Palazzina Tagliamento, seit drei Jahren die „Kreativwerkstatt“. Sie ist Teil des Vereins „Basis“, dessen Akteur:innen die Initiative zu einer vielseitigen Nutzung des Geländes erstmals angestoßen haben und inzwischen grundlegend mitgestalten. Der Verein bespielt dauerhaft ein weiteres Gebäude am Gelände. Die „Kreativwerkstatt“ befindet sich in einem simplen Bau, drei Stockwerke hoch, neunzehn Fenster zähle ich pro Etage. Ein zentrales Treppenhaus in der Mitte, links und rechts davon gehen lange Gänge ab. Die Stufen sind ausgetreten von den tausenden Schritten der Personen die dort –auf und ab, auf und ab – gingen, liefen. Die Räume sind hoch, es hallt. Es waren die Schlafsäle der Kaserne, die Haken für die Pritschen sind noch in den Wänden. Viel Platz und doch so wenig Raum für die Person in der militärischen Ordnung. Als offene Säle geplant, wird hier jedes Geräusch nochmals verstärkt. Draußen tönen die Schwalben auf ihren Flügen.
KW 02 Aurich C.Heute ist dieses Gebäude in der Nachnutzung oder Zwischennutzung. Im Unterschied zu der Aneignung des Geländes durch Pflanzen und Tiere und den mutigen Einstiegen, haben sich die gegenwärtigen Nutzer:innen auf den Versuch geeinigt, die Räume als Arbeitsräume zu beziehen. Eine Bedingung der Selbstorganisation scheint die langsame Aneignung zu sein, bis jetzt gibt es Strom, aber noch keine Heizung oder Wasseranschlüsse. Das Atelier, die Werkstatt, das Vereinslokal, der Ausstellungsraum, das Materiallager, der Proberaum. Die Veränderung der Raumordnung tritt anhand der Tätigkeiten ein. Welche Dimension hat der Raum? Wandteile aus gebrauchten Tür- und Fensterrahmen ziehen neue Linien zwischen die massiven Mauern. Dahinter höre ich Stimmen, Musik wird gespielt, jemand hat Besuch im Atelier, Arbeiten werden besprochen. Weiter vorne stehen Zwei um die gemeinschaftlich genutzte Druckerpresse im Blick auf ein Blatt. Die Materialien sprechen von den Aktivitäten, die sich hier sammeln: Papierarbeiten und Malerei an den Wänden der Sitzecke im Treppenaufgang, Skizzen und Bücher. Auf den Gängen Holz aus einem alten Stadl, Marmor von Probebohrungen aus Laas und Schluderns, in einem der Zwischenräume eine Siebdruckwanne, Werkzeuge für die Steinbearbeitung.
Ich beziehe mit meiner künstlerischen Arbeit eine Fläche im zweiten Stock der Palazzina. Diese Räume sind noch zurückhaltend bespielt, es sind freigeräumte Flächen, die Räume klingen anders. Ich habe Stoffe mitgebracht, Malerei auf losen Trägern. Die Stücke lassen sich auslegen, falten, in den Raum hängen. Ich taste mich mit den textilen Fasern an die Flächen heran und stoße auf alte Mauern: „StarkimKampf,sicherimSieg“, „DemdeutschenSoldatenistnichtsunmöglich“,„ÜberGräbervorwärts“.
Hoch oben an den Wänden, die aufgemalten Lettern überschauen die Räume. Ihre Stabilität bricht mit den Spuren der Zeit am Gebäude, mit den bröckelnden Wänden und den morschen Fensterrahmen, dem Zerfall unbenutzter Flächen. Das hier ist kein Archiv. Trotzdem sind diese Worte dort im Raum gelagert worden. Wie diese Sätze aus der Nationalsozialistischen Besatzungszeit der Kaserne die Jahrzehnte an den Wänden überdauert haben, bleibt dabei eine Frage.
An diesem Punkt meines Spaziergangs treffe ich auf die Forderung nach Nutzung, die in diesen Mauern steckt. Gegenwärtig werden die Räume von ihren Nutzer:innen im Sinn einer „Kreativwerkstatt“ neu formuliert, die Forderung nach nicht kommerziellen Arbeitsräumen wird auf diesen Flächen der ehem. Kaserne in Eigenarbeit umgesetzt. In dieser Gleichzeitigkeit der Zeitdimensionen tut sich ein Riss in der herrschenden Raumordnung auf, der einer Öffnung gleichkommt. Diese verlangt nach einem aktiven Umgang mit den historischen und gegenwärtigen Verflechtungen des ehem. faschistisch militärischen Geländes mit seiner Umgebung. Die Debatten um die zukünftige Nutzung dieser, heute in Gemeindebesitz befindlichen Flächen, sind im Gang. Von den lokal-politischen Entscheidungsträger:innen ist dabei eine Beweglichkeit gefordert, die den politischen Strukturen nicht unbedingt eingeschrieben scheint. Umso mehr muss die Debatte erweitert werden um die Feststellung, dass es sich hier inzwischen um Räume der Gemeinschaft handelt. Was macht gemeinschaftliche Räume aus? Die bereits gelebten Möglichkeiten einer Nutzung wie der „Kreativwerkstatt“ deuten auf die Fülle hin, welche sich aus durch Nutzer:innen und Bewohner:innen gestalteten Räumen ergibt.
In diesem Sinne lade ich alle ein, den Spaziergang am Gelände fortzusetzen und die Bedeutung von gemeinschaftlichen Flächen mitzubestimmen. Das vor Ort sein ist ein grundlegendes Element in der Aneignung des Raums. Es bedeutet ein Erleben der Möglichkeiten, die er bereithält und der Forderungen, die sich daraus ergeben.

Anmerkung: Dieser Artikel wurde vor dem 5. Oktober verfasst. Teile der beschriebenen Gebäude sind bei den an diesem Tag begonnen Abrissarbeiten unwiederbringlich beschädigt worden.

 

Charlotte Aurich,
geb. 1993 in Meran, ist Künstlerin und lebt in Wien. Nach ihrem Abschluss des Malerei Studiums 2019 an der Angewandten in Wien pendelt sie derzeit für eine Kunst- und Kultur-theoretische Vertiefung an die Kunstuniversität in Linz. In ihrer aktuellen Arbeit beschäftigt sie sich mit textilen Bildkörpern und ihren räumlichen und performativen Möglichkeiten in Bezug zu Alltagspraktiken wie waschen, falten und einkleiden.

 

Gmånorbet*
Als Gmånorbet wird die Gemeinschaftsarbeit bezeichnet, die in Fraktionen, von Interessentschaften von den Mitgliedern gemeinsam durchgeführt worden ist und wird. Dazu gehören unter anderem das Herrichten von Viehsteigen, von Zufahrtsstraßen zu Gütern, dazu gehören das Errichten von Zäunen, um Tiere vor Abstürzen zu schützen, dazu gehörten das gemeinsame Hinauftragen von Hausrat auf die Hütten der Hirten...

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