Überwachung

geschrieben von Ausgabe 5-19

s6 9078Schlanders/Vinschgau - Einige Gemeinderäte im Tal haben bereits beschlossen, Überwachungskameras auf ihrem Gemeindegebiet aufzustellen, etwa Glurns und Martell. In der Gemeinde Schlanders steht diese Entscheidung noch bevor. Die Sache in Schlanders ist explosiv - denn eine Maximalstudie sieht 27 Überwachungskameras vor. Der Gemeinderat hat die Beschlussfassung vorerst verschoben.

von Erwin Bernhart

In jeder einzelnen Gemeinde des Vinschgaus wurden Standorte und die Anzahl von möglichen Überwachungskameras festgelegt.

Je ein Vertreter der Dorfpolizei, der Carabinieri und ein Techniker haben bei Dorfbegehungen diese Standorte ausgekundschaftet. Im gesamten Vinschgau sind 50 Überwachungskameras vorgeschlagen. Die Studie ist von der Bezirksgemeinschaft und vom Regierungskommissariat abgesegnet, die Umsetzung soll rund eine Million Euro kosten. Die Landesregierung hat eine Finanzierung von 50 Prozent in Aussicht gestellt, den Rest sollen die Gemeinden anteilsmäßig aufbringen.

Legt man diese Maximalstudie auf die Gemeinde Schlanders um, steht der Vinschger Hauptort quasi als „Sodom und Ghomorra“ da. Denn von den insgesamt 50 Kameras  im Bezirk Vinschgau sind für die Gemeinde Schlanders 27 vorgeschlagen. „Scharfe Sherrifs“ dürften wohl für diese verblüffend hohe Anzahl verantwortlich sein. Der Vorschlag, Schlanders mit Überwachungskameras zu überziehen, ist jedenfalls am Tisch.
„Niemand hat die Absicht, in Schlanders 27 Überwachungskameras installieren zu wollen“, sagt der Schlanderser BM Dieter Pinggera zum Vinschgerwind. Die Aussage erinnert an 1961. Der DDR Staatschef Walter Ulbricht hat damals gesagt: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“ Zwei Monate später ist die Berliner Mauer gebaut – und Ulbricht steht als einer der größten Lügner der Geschichte da. Der Vergleich ist natürlich übertrieben - die beinahe deckungsgleiche Wortwahl des BM hat dazu eingeladen.

Mitte April soll im Gemeinderat von Schlanders über eine Verordnung zu den Überwachungskameras und über die Anzahl der zu installierenden Kameras abgestimmt werden.
Dass die Sachlage diffizil, sensibel und auch emotional ist, beweist die Tatsache, dass die Beschlussfassung bei der letzten Ratssitzung vertagt worden ist. „Trotz der Bearbeitung in den Gremien ist noch Klärungsbedarf“, hat BM Dieter Pinggera die Vertagung bei der Ratssitzung begründet.
Mit „Bearbeitung in den Gremien“ meint BM Pinggera die Konsultationen und Debatten in den örtlichen SVP-Gremien: Im SVP-Sozialausschuss, in der Orts-SVP, im SVP-Wirtschafts-Ortsausschuss und auch im SVP-Koordinierungausschuss. Dort ortet Pinggera überall grünes Licht. Trotzdem sind erhebliche Zweifel aufgetaucht, deshalb die Vertagung.
An eine Bürgerversammlung im Vorfeld hat Dieter Pinggera nicht gedacht. Das gibt er offen zu. Die SVP-Gremien im politischen Vorfeld würden die Gesellschaft durchaus in genügender Weise repräsentieren. So bleibt den Schlanderser BürgerInnen eine Diskussion über Überwachungskameras erspart. Über die grundlegende Sinnhaftigkeit, über das Gefühl der Sicherheit, über Privatsphäre, über den Datenschutz. Diese Diskussions-Ersparnis trifft übrigens auch auf alle anderen Gemeinden zu, nicht nur auf Schlanders.

Allerdings ist die Diskussion im Gemeinderat von Schlanders über Videoüberwachung nicht völlig neu. Pinggera verweist auf den Umstand, dass der Gemeinderat in der vorhergehenden Periode bereits zwei Standorte für Videokameras genehmigt habe. Der Gemeinderat war damals dafür, die Bahnhofsunterführung und den Spielplatz auf dem Plawennpark überwachen zu lassen. Aufgrund der immer wieder auftretenden Vandalenakte und Schmierereien. Aufgestellt hat man bisher allerdings keine Kameras. „Wir wollten abwarten, bis ein Gesamtkonzept steht“, sagt Pinggera.

Pinggera ist sich bewusst, dass die Video-überwachung und die Handhabung der Daten ein „sehr sensibles Thema ist“. Die Entscheidungsfindung sei noch im Gange. Er habe keinen Justamentstandpunkt über die Anzahl der Videokameras in seinem Gemeindegebiet.
Grundsätzlich, so Pinggera, habe eine Videoüberwachung präventiven und abschreckenden Charakter in Punkto Sicherheit. Öffentliches Gut und Privatvermögen können so besser geschützt werden. Kleine Schäden gebe es jede Woche - Beschmierungen, Hakenkreuze an Schulgebäuden und Musikpavillon, Scherben...
Pinggera verweist darauf, dass bisher mit Hilfe privater Kameras bereits kleinere Delikte aufgeklärt werden konnten. Schlanders, das gibt Pinggera offen zu, leide weder unter großer Kriminalität, noch unter Verbrechen gegen das Vermögen. Keinen Zusammenhang mit Flüchtlingen habe die Diskussion um das Aufstellen von Videokameras.
Zum Datenschutz und zur Handhabe bzw. zur Verordnung sagt Pinggera, dass EU-Verordnungen, staatliche Normen, Privacy und notwendiger Datenschutz rigoros eingehalten würden. „Die Würde des Menschen und die Privatsphäre sind im größtmöglichen Ausmaße gesichert“, sagt Pinggera.
Auf die Frage, wie die Videoüberwachung, das Monitoring, die Echtzeit-Bilder eigentlich gehandhabt werden, wie man sich das vorstellen müsse, sagt Pinggera: „Die Echtzeitbilder können von einem vom Datenschutzbeauftragten der Gemeinde schriftlich delegierten Beamten eingesehen werden.“ Übersetzt: Der Gemeindepolizist hat mit einer schriftlichen Beauftragung des Gemeindesekretärs Zugriff zu den Life-Bildern. Denn die Daten der Kameras in einer Gemeinde laufen auf einem Monitor in der Gemeindepolizeistube.
Alle Daten aus allen Gemeinden laufen hingegen in der Carabinierikompanie in Schlanders zusammen, weil diese die einzige Exekutive ist, die 24 Stunden besetzt ist.
Eigentümerin der Daten ist die jeweilige Gemeinde. „Die Sichtung der Bilder muss beim Bürgermeister beantragt werden“, sagt Pinggera. Staatsanwaltschaft und Gemeindepolizei können dies beantragen und bei Genehmigung auf die beantragten Ausschnitte der letzten 7 Tage zugreifen. „Nach 7 Tagen müssen sämtliche Daten gelöscht werden“, sagt Pinggera. Eine Verbreitung der Bilder sei ausgeschlossen.

„Jede politsiche Entscheidung ist die Abwägung von Gütern“, sagt Pinggera. Das Bestreben sei, eine angemessene und verträgliche Anzahl von Viedeokameras an einigen neuralgischen Stellen zu platzieren. Dazu sei die Staatstraße Teil des Konzeptes, für Prävention, Sicherheit und zum Schutz der Bevölkerung. Verkehrstechnische Anwendungen seien nicht angedacht. Daten für statistische Zwecke, im engen Rahmen der Überwachungs-Verordnung, sind möglich.

Neu ist das Videoüberwachungssystem im Vinschgau nicht. Die Gemeinden im Unterland sind bereits in der Umsetzungsphase. Das Konzept der Bezirksgemeinschaft Unterland ist die Blaupause für den Vinschgau. Dort ist man von 100 Kameras für 18 Gemeinden ausgegangen. Noch steht im Unterland nicht fest, wie viele davon tatsächlich aufgestellt werden.
Wie auch immer die Gemeinderäte von Schlanders entscheiden werden: Die Bürgerinnen und Bürger müssen darüber informiert werden, wenn sie einen videoüberwachten Bereich betreten oder sich in einem solchen Bereich befinden und eventuell aufgenommen werden. Also wird Schlanders nicht nur einen Kamerawald, sondern zusätzlich einen Schilderwald erhalten.

Wie zum Thema bestellt hat ASTAT jüngst eine Erhebung zur „Sicherheit der Bürger“ veröffentlicht. Für die Frage „Inwieweit fühlen Sie sich sicher, wenn Sie bei Dunkelheit allein durch die Straßen Ihres Wohnviertels gehen?“ heißt es in der Studie: „Hervorzuheben ist hierbei das unterschiedliche Sicherheitsempfinden zwischen Stadt- und Landgemeinden: „Sehr sicher“ fühlen sich 16% der Stadtbewohner und 29% der Bewohner in den kleineren Gemeinden. Auch ist der Anteil derjenigen, die sich „Unsicher/
Sehr unsicher“ fühlen, in den Städten viel höher als auf dem Land (30% gegenüber 19%).“
Hat Schlanders - oder der Vinschgau - eine Sicherheitsstudie nötig, bevor es von Überwachungskameras bestückt wird?

 

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